Snooker-Weltmeister Stephen Hendry tritt zurück:Rekordmann, Revolutionär, Leisetreter

"Es war eine leichte Entscheidung": Snooker-Idol Steven Hendry erkennt, dass er mit der Weltspitze nicht mehr mithalten kann, und beendet im Alter von 43 Jahren seine Karriere. Er hinterlässt schockierte Kollegen - und eine Sportart, die er mit seinem mutigen Spiel maßgeblich verändert hat.

Jürgen Schmieder

Stephen Hendry stand am Tisch und grübelte einen Moment lang. Die Gesichtsmuskeln waren angespannt, seine Augen folgten der schwarzen Kugel, die langsam über den Filz rollte und dann in die Ecktasche plumpste. Es war der 36. Ball, den der 43 Jahre alte Hendry innerhalb eines Spielabschnittes in richtiger Reihenfolge eingelocht hatte.

Stephen Hendry

"Meine Karriere war ganz ordentlich": Snooker-Weltmeister Stephen Hendry.

(Foto: AP)

Es war ein Maximum Break bei der Weltmeisterschaft, das beim Snooker ungefähr so selten ist wie ein Hattrick in einem Champions-League-Spiel. Hendry stand da und schien zu überlegen, ob er als Mitglied des Order of the British Empire nun wirklich die Contenance verlieren und sich freuen durfte.

Ja, er durfte. Er musste sogar. Die Zuschauer im Crucible Theatre in Sheffield sprangen auf und johlten, sein Erstrunden-Gegner Stuart Bingham applaudierte artig, Ken Doherty und Neil Robertson hatten ihre Partie am Nebentisch längst unterbrochen, um Hendrys magischen Spielabschnitt zu erleben. Also riss Hendry die rechte Faust nach oben, zwei Mal sogar, lachte und ließ sich feiern.

In einem Hollywood-Film hätte der Protagonist in genau diesem Moment seine Karriere beenden und zu melancholischer Musik aus der Halle gehen dürfen - im wahren Leben geht es einfach weiter. Hendry gewann gegen Bingham, besiegte Weltmeister John Higgins deutlich und wurde am Dienstagabend im Viertelfinale von Stephen Maguire mit 2:13 gedemütigt. Erst dann durfte er zurücktreten.

"Ich genieße das Training nicht mehr"

"Es war eine leichte Entscheidung, aber ich habe sie schon vor ein paar Monaten getroffen", sagte Hendry, "ich spiele nicht mehr so Snooker, wie ich es gerne täte. Ich genieße das Training nicht mehr. Es ist die richtige Zeit, auch wenn ein Abschied mit Titel noch schöner wäre - deshalb habe ich mich über mein Maximum Break so gefreut." Dann sagte der 43-Jährige: "Meine Karriere war ganz ordentlich." Das ist so, als würde Michael Jordan seine Laufbahn als ganz ordentlich bezeichnen.

Die neun Minuten und 34 Sekunden, die Hendry für das elfte "Maximum Break" seiner Karriere brauchte, sie stehen exemplarisch dafür, wie der Schotte in den vergangenen 27 Jahren die Sportart Snooker nicht nur verändert, sondern eine neue Disziplin erfunden hat. Als er 1986 zum ersten Mal an der WM teilnahm, da gab es die Taschen in der Mitte nur deshalb, weil ein Billardtisch nun mal sechs Löcher hat. Auch das Einlochen in den Ecktaschen probten die Akteure nur, wenn Spielball und anzuspielende Kugel nahe beeinander lagen.

Der Unbesiegbare

Dann kam dieser junge Schotte und versenkte wie selbstverständlich lange Bälle. Es wurde zu seinem Markenzeichen, die blaue Kugel krachend in einer der Mitteltaschen zu versenken und den Spielball mit derart viel Topspin zu versehen, dass der die roten Kugeln auseinander trieb.

Stephen Hendry

Ein Bild aus alten Zeiten: Stephen Hendry im Jahr 1999 im Crucible Theatre.

(Foto: AP)

Es war eine spielerische Revolution, denn von nun an galt: Wer gewinnen möchte, muss zum einen lange Bälle versenken und zum anderen auch Kugeln in die Mitteltaschen einlochen. Viele Spieler kamen damit nur schwer zurecht, Hendry galt vor allem bei Weltmeisterschaften als unbesiegbar. In den 90er Jahren wurde er sieben Mal Weltmeister und gewann 25 weitere Ranglisten-Turniere. Erst im neuen Jahrtausend kopierten jüngere Spieler Hendrys Stil und besiegten ihn. Vor sechs Jahren erreichte Hendry letztmals ein Endspiel, zuletzt musste er sich gar durch eine Qualifikationsrunde quälen, um noch einmal an der WM teilnehmen zu können.

Und dann gab es diese deutlich Niederlage im Viertelfinale gegen Stephen Maguire, der danach sagte: "Ich bin schockiert. Das habe ich überhaupt nicht erwartet. In meinen Augen ist er der beste Spieler, der jemals einen Queue in der Hand hatte. Da muss jemand eine Menge Turniere gewinnen, um ihm auf Augenhöhe begegnen zu dürfen." Dann stand Maguire auf und schüttelte Hendry die Hand.

Hendry vs. O'Sullivan

"Ich kann nicht sagen, welches der schönste Moment meiner Karriere war", sagte Hendry, "der erste Titel, der letzte Titel - oder auch dieses letzte Maximum Break gegen Bingham. Ich könnte ein Buch über all meine Erinnerungen schreiben." Doch nun wolle er sich erst einmal um seine Geschäfte in China kümmern, danach womöglich ein paar Spaßturniere spielen.

Hendry hält quasi jeden Rekord, der in dieser Sportart relevant ist: die meisten Turniersiege, die meisten WM-Siege, die häufigsten Century Breaks. Mit dem perfekten Spielabschnitt gegen Stuart Bingham zog er in der Kategorie "meiste Maximum Breaks" mit seinem Nemesis Ronnie O'Sullivan gleich. Der Umgang mit dem dreifachen Weltmeister O'Sullivan - gegen den er übrigens nie in einem WM-Finale antreten musste - zeigt übrigens, wie sich Hendry abseits des Tisches verhielt. Als ihn O'Sullivan beleidigte und zurück nach Schottland wünschte, da lud ihn Hendry dorthin zum Training ein. Seitdem sind die beiden Freunde.

Opernhäuser und Theater brauchen Mythen, Geister und Flüche. Das Crucible Theatre in Sheffield etwa ließ noch nie einen Spieler, der seine erste Weltmeisterschaft gewonnen hatte, den Titel im darauf folgenden Jahr verteidigen. Auch Hendry schaffte das nicht. "Das habe ich schon zu Beginn meiner Karriere verbockt", sagte er - und lächelte. Er weiß: Spätestens jetzt gehört auch er zu den Legenden dieses Theaters.

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