Süddeutsche Zeitung

Shoot-out im Snooker:Zack, zack, schnell der nächste Stoß

  • Shoot-out-Turniere polarisieren: Viele Fans sehen die Weiterentwicklung der klassischen Snooker-Variante kritisch.
  • In Abwesenheit der meisten Topspieler gewinnt der Thailänder Thepchaiya Un-Nooh das Turnier in Watford.
  • Branchenprimus O'Sullivan findet das alles "zum Kichern".

Von Carsten Scheele

Als sich Thepchaiya Un-Nooh über den Tisch beugt, strecken sie im Publikum schon die Arme aus. Der Snookerprofi visiert Gelb an, die Kugel fällt in die Tasche - auf den Rängen startet eine La Ola. Als der Thailänder sich kurz darauf die blaue Kugel vornimmt, sind die Zuschauer wieder dran. Als Blau einwandfrei in die Tasche plumpst, fängt das Publikum ohne erfindlichen Grund an zu buhen.

Stillstand bedeutet Rückschritt, heißt es ja. Doch ob dieses Motto für erfolgreiche Sport-Veranstaltungen gelten soll, wird auch im Snooker debattiert. Shoot-out ist eine Weiterentwicklung der klassischen Snooker-Variante - und seit 2017 gar keine reine Spaßveranstaltung mehr, sondern ein reguläres Ranglistentunier; es gibt also Weltranglistenpunkte, 32 000 Pfund für den Sieger obendrein. Seit 2017 findet die Veranstaltung im Watford Colosseum in Watford unweit von London statt.

Thepchaiya Un-Nooh, eigentlich nur die Nummer 53 der Welt, war dort nicht zu schlagen, er siegte 74:0 im Finale gegen Michael Holt. Nach Frames? Nein, nach Punkten. Die Shoot-out-Regeln widersprechen vielem, was im Snooker ansonsten üblich ist.

Nur 10 bis 15 Sekunden haben die Spieler Zeit pro Stoß

Snooker ist normalerweise der Sport der zelebrierten Entschleunigung und Erhabenheit. Gerade bei großen Turnieren erstrecken sich die Matches häufig über mehrere Stunden - in Watford dauert eine Partie maximal zehn Minuten. Während der ersten fünf Minuten haben die Spieler 15 Sekunden Zeit pro Stoß, danach nur noch zehn. Sonst gibt es ein Fünf-Punkte-Foul. Nur ein Frame wird ausgespielt, das führt zu wilden Szenen, manchmal rennen die Spieler unter Zeitdruck um den Tisch, spielen Bälle, die sie normalerweise nie erwägen würden: Zack, zack, schnell der nächste Stoß. Die Spiele enden mal hoch, 139:0, oder knapp: 26:25.

Vielen Fans, gerade den Traditionalisten, gefällt das nicht. Es wäre schließlich, als würde ein Tennis-Satz plötzlich bei drei enden, Fußball im Elfmeterschießen beginnen oder ein Handballspiel abgepfiffen, wenn die erste Mannschaft fünf Tore geworfen hat. Die sozialen Medien sind voller kritischer Bemerkungen. Weltverbandschef Barry Hearn verteidigt das Format, die Sportart müsse ja innovativ bleiben, sagt er. Doch auch Hearn hat gesehen, dass etliche Spitzenspieler ihre Teilnahme erneut abgesagt haben. Mark Selby, Mark Williams und Ronnie O'Sullivan, die Top drei der Weltrangliste, mieden Watford. Auch Judd Trump, die Nummer fünf, verzichtete.

Andere Top-Ten-Profis traten zwar an (nicht wie üblich im feinen Zwirn, sondern im Polohemd), schieden aber spätestens in der dritten Runde aus. Auch Shaun Murphy, die Nummer vier der Welt, der in der Vergangenheit schon durchblicken ließ, dass er den Spaß nicht so ganz ernst nimmt. "Du kaufst dir ein Lotterie-Ticket", sagte Murphy, "und hoffst, dass du der Letzte bist, der noch steht." Und der Letzte, der sich in all dem Getöse halbwegs konzentrieren kann.

Herrschen beim "richtigen" Snooker strenge Etikette und absolute Ruhe, wenn ein Spieler an den Tisch tritt, werden die Fans beim Shoot-out zu Zwischenrufen sogar ermuntert. Es wird gesungen und gegröhlt, dazu gibt es eine Zuschauerwelle bei jeder gelochten gelben Kugel, das Gebuhe bei Blau - es ist wie beim Darts, nur mit weniger Alkohol. "Man muss es mögen. Es ist zum Kichern, oder?", sagte Branchenprimus O'Sullivan, der das Turnier im englischen Fernsehen kommentierte und seinen Spaß hatte. Weshalb er nicht mitspielen wollte? "Das war ein Fehler", urteilte O'Sullivan.

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