Snooker-Masters in Berlin:Wrestler in Lackschuhen

Snooker-Masters in Berlin: Wenn er stößt, ist die Welt sowieso in Ordnung: Snooker-Legende Ronnie O'Sullivan (Archivbild).

Wenn er stößt, ist die Welt sowieso in Ordnung: Snooker-Legende Ronnie O'Sullivan (Archivbild).

(Foto: Andrew Yates/AFP)
  • Einmal im Jahr kommen die weltbesten Snookerspieler nach Deutschland, um in Berlin das German Masters auszuspielen.
  • Sie kleiden sich wie Gentlemen und geben sich Namen wie Wrestler. Der Held der Sportart ist Ronnie O'Sullivan, genannt "The Rocket".
  • Doch seine Popularität allein reicht nicht, dem Snooker eine größere Reichweite zu verschaffen. Der Sport könnte olympische Sportart werden, doch einige Argumente sprechen dagegen.

Von Carsten Eberts, Berlin

99 Punkte, nur noch die blaue Kugel in die Mitteltasche. Sie fällt, auf der Anzeigetafel leuchtet die 104 auf. Für die Zuschauer im Tempodrom in Berlin ist es das Signal zum dosierten Ausrasten. Füße trappeln, Klatschen, Johlen - so ein "Century Break", also 100 Punkte oder mehr nacheinander, darf im Snooker gefeiert werden.

Zuvor waren die Fans zum Schweigen verdammt. Wenn ein Spieler mit seinem Queue stößt, mögen die Zuschauer doch bitte "zu Salzsäulen erstarren", hatte Rolf Kalb gesagt, der Hallensprecher und Deutschlands bekanntester Snooker-Kommentator. Nimmt der Spieler im Augenblick der höchsten Konzentration im Augenwinkel auch nur eine Regung wahr, könnte die ganze Aktion verpfuscht sein. Die Fans gehorchen Kalb, bis Ronnie O'Sullivan sein "Century" zaubert. O'Sullivan, da ist die Welt sowieso in Ordnung.

O'Sullivan ist der Held der Sportart

Mächtig viele Kugeln klackern an den Tischen im Tempodrom. Einmal im Jahr kommen die weltbesten Snookerspieler nach Deutschland, um in Berlin das German Masters auszuspielen: 31 Spiele an fünf Tagen. Die Spieler lieben die Halle, die steilen Ränge, auf denen an Wochenendtagen mehr als 2000 Zuschauer sitzen. Fünf Tische, an denen gleichzeitig gespielt wird, im Kreis angeordnet, sorgen für außergewöhnliches Flair.

Da spielen sie dann: "The Thunder From Downunder", "The Fearless", der "Wizard Of Wishaw". Alle herausgeputzt, in Anzug, Hemd und Lackschuhen. Sie kleiden sich wie Gentlemen - und geben sich Namen wie Wrestler.

Am Tisch ganz in der Mitte spielt "The Rocket", O'Sullivan also, der Held der Sportart. Der einzige, den man in Berlin vielleicht auf der Straße erkennen würde. Ein Brite durch und durch, mit fiesem Akzent aus den West Midlands. Die meisten Zuschauer sind wegen ihm gekommen, nicht nur, weil er der bestimmende Spieler ist und sämtliche Rekorde hält. Sondern weil er sich durch rüpelhaftes Auftreten und Skandälchen ein gewisses Image erarbeitet hat.

Doch O'Sullivan, 39, Vater dreier Kinder, ist ruhiger geworden. Auch hat er schon lange nicht mehr mit Rücktritt gedroht. Die dritte Runde am Donnerstag bewältigt er problemlos, 5:1 gegen Mark Davis. Tolle Bälle sind dabei, vor allem seine langen Einsteiger. Die Berechnung der Laufwege der Bälle ist höhere Mathematik, dazu die mentale Leistung, die fortwährende Konzentration unter Druck. Nur manchmal, wenn ihm ein Stoß misslingt, zuckt seine voluminöse Augenbraue nach oben. Die Zuschauer bewundern ihn sehr. Am Wochenende werden die Turniertage ausverkauft sein - wegen O'Sullivan.

Snooker soll olympisch werden

Es hat etwas von einem Wanderzirkus, wenn die besten Snookerspieler durch die Welt reisen und ihre Kunst vollführen. Weltweit gibt es nur 130 Profis, die Spitze umfasst rund 30 Spieler, die Duelle sind oft dieselben. Gegen Davis spielte O'Sullivan bereits vor wenigen Tagen in der Champions League (da verlor er). Doch die Turniere nehmen stetig zu, die Preisgelder auch, die Fernsehverträge in Großbritannien und China sind stattlich. Auch in Berlin werden die ausländischen Profis verehrt, denn Deutsche sind mal wieder nicht am Start.

Im Foyer steht Lukas Kleckers. Dem 18-Jährigen wäre der Sprung zu den Profis am ehesten zuzutrauen. Trotz seines jungen Alters ist er Deutschlands bester Spieler. Gerade versucht er alles, um die Lücke zu den Profis zu schließen. Er hat Geld gesammelt, um die Snooker-Akademie in Sheffield zu besuchen, um noch besser zu werden. Für 2015 plant er drei weitere Aufenthalte in England. Beim German Masters 2016 wäre er gern dabei. "Aber das wird hart", sagt er.

In Nordamerika existiert die Sportart quasi nicht

Diesmal darf Kleckers zumindest nah ran. Er hat eine Kooperation mit einem Fernsehsender abgeschlossen, hilft zudem in der Players Lounge aus, bringt den Profis schon mal ein Wasser. "Ein Traum" wäre es, selbst im Tempodrom zu spielen, sagt er. Doch mit viel Hilfe kann Kleckers nicht rechnen. Für deutsche Talente gibt es keine Förderung, jeder ist auf sich allein gestellt. Und der Abstand zur Spitze, zu den Briten, Australiern und Asiaten, ist groß. Fünf, vielleicht sechs Nationen teilen sich die Weltspitze auf. Trotzdem soll der Sport, so will es der Weltverband, ab 2020 olympisch werden.

Doch wie soll das funktionieren? Nicht nur in Deutschland, wo es nur 4000 Spieler gibt, ist das Interesse, sich selbst an den Tisch zu stellen, vergleichsweise gering. In Nordamerika existiert Snooker quasi nicht, auch gibt es so gut wie keine Frauen, die den Sport auf Spitzenniveau betreiben. Das alles sind Punkte, die dem Olympischen Komitee beim Aufnahmeverfahren nicht sonderlich gefallen werden, zumal es mit Baseball einen starken Konkurrenten gibt. Doch der Snooker-Weltverband bleibt optimistisch.

Denn bei den Zuschauern ist die Faszination groß - auch in Berlin. O'Sullivan hat sein Match beendet, durch das "Century" hat er seinen Rekord auf 782 Hunderter-Breaks geschraubt, eine unwahrscheinliche Karriereleistung. Er winkt ins Publikum, später berichtet er, wie gerne er in Deutschland spielt, in dieser "fantastischen Halle", vor diesen "begeisterungsfähigen Leuten". Der Held ist auch als Botschafter seines Sports unterwegs.

Am Freitag traf O'Sullivan auf seinen Landsmann Joe Perry, wieder eine klare Angelegenheit: 5:0. Alles andere wäre auch eine Desaster gewesen. Die Fans haben teure Karten gekauft, um ihn spielen zu sehen. Und um ihm zuzujubeln, wenn sie kurz aus ihrem Salzsäulendasein erwachen dürfen.

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