Slopestyle bei Olympia:Überschlagen für frische Woohoos

Snowboard - Winter Olympics Day 1

Sage Kotsenburg: Erster Olympiasieger im Slopestyle

(Foto: Getty Images)

Zum ersten Mal ist Slopestyle olympisch, mit irren Drehungen in der Luft gewinnt der Amerikaner Sage Kotsenburg Gold. Die Szene erreicht in Sotschi nur ein Kenner-Publikum, auch weil keine Russen dabei sind und Branchenprimus Shaun White fehlt.

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Die Gitarrenakkorde brüllen sofort, das Publikum erst später. Wenn Slopestyler auf die Piste gehen, schauen die Zuschauer ahnungslos dem Berg entgegen. Von den Rails und den ersten Kickers oben am Berg bekommen sie kaum etwas mit, doch die Spannung wird greifbar. Mit jedem Meter, den die waghalsigen Männer dem Ziel näher kommen.

Vor dem letzten Sprung verschwinden sie hinter der weißen Wand, eine lange Sekunde, dann schießen sie nach oben, drehen und überschlagen sich. Das Publikum brüllt vereinzelt "Aaaah" und "Ohhh", vor allem aber "Wooohooo". Der Pistensprecher ist ganz offensichtlich Amerikaner und komplett aus dem Häuschen: "Oh my god. Look at this, man. What an unbelievable guy, man."

Wer jetzt noch Fragen hat, ob diese Disziplin frischen Wind zu Olympia bringt, sollte dringend mal zum Slopestyle gehen.

1998 in Nagano waren die Snowboarder erstmals bei Olympia dabei, in der Halfpipe. 16 Jahre später in Sotschi debütieren nun die Kollegen im Slopestyle. Den Sport gibt es in der Ski- und der Snowboard-Variante, es geht darum, einen hügeligen Hindernis-Parcours auf möglichst spektakuläre Art zu bewältigen. Eine Fahrt dauert 40 bis 50 Sekunden, über Rails (Geländer) und Kickers (Rampen) geht es nach unten. Die Tricks heißen "backside wall", "bonk" oder "crippler air", anschließend werden Schwierigkeitsgrad, Ausführung und Akrobatik bewertet. Wer sich bei der Landung nur kurz auf den Hosenboden setzt, ist quasi raus.

Zum Halbfinale am Samstagmorgen ist noch nicht viel los im "Extreme Park" in den Bergen über Rosa Chutor, dem neu geschaffenen Ortsteil von Krasnaja Poljana. Das Panorama ist wie gemalt, die Sonne strahlt, keine Wolke zeigt sich am Himmel. Im Hintergrund erheben sich die schneebedeckten Gipfel der Kaukasus-Berge wie weiße Kronen über der Szenerie.

Viele der weißen Sitzschalen an der mobilen Tribüne bleiben jedoch zunächst leer. Nur die engste Freestyle-Gemeinde hat sich um halb zehn versammelt: Amerikaner, Kanadier, eher weniger Russen, denen der Sport, der das frische Gesicht von Olympia zeigen soll, doch suspekt erscheint.

Zum Finale um die Mittagszeit, der ersten Entscheidung bei Olympia 2014, ist die 6000-Zuschauer-Tribüne zwar annähernd voll, tosende Stimmung will jedoch nicht aufkommen. Gejubelt wird nur im Zielbereich, erstaunt bis interessiert blicken vor allem die Russen drein, als könnten sie die Bewertungskriterien beim Slopestyle nur schwerlich nachvollziehen. Auch ist kein Landsmann im Finale, was im patriotischen Russland das Ambiente stets merklich drückt.

Gemeinsam für die Show

Erster Olympiasieger im Slopestyle und erster Goldmedaillengewinner von Sotschi wird der Amerikaner Sage Kotsenburg, ein blonder Zottelkopf aus Park City in Utah. Seine 93,5 Punkte aus dem ersten Finallauf kann niemand mehr toppen. "Als ich herkam, wollte ich ins Finale", jubiliert Kotsenburg unter breitestem Grinsen, "ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben. Das ist so cool."

Er siegt vor dem Norweger Staale Sandbeck (91,75) und dem Kanadier Mark McMorris (88,75), die ihn im Zielberereich unter einem Jubelknäuel begraben. Alle drei wurden 1993 geboren, kennen sich seit vielen Jahren, sind eng befreundet. "Ich liebe diese Jungs", sagt Kotsenburg. Der Zusammenhalt im Freestyle ist immer noch anders als in anderen Winter-Disziplinen. Es geht zwar um den Sieg, jedoch auch um die gemeinsame Show.

Kotsenburg ist ein verdienter Olympiasieger, er gewinnt jedoch in Abwesenheit von Shaun White, dem Branchenprimus, der Mitte der Woche eine denkwürdige Pressekonferenz gegeben hatte. Seine Verletzung am Handgelenk sei nahezu auskuriert, erklärte White gut gelaunt. Zehn Minuten nach Ende der Audienz gab sein Verband im Internet jedoch Whites Verzicht auf die Slopestyle-Konkurrenz bekannt.

Deutsche Männer sind im Slopestyle ebenfalls nicht am Start. Sie sind zu deutlich von der Weltspitze entfernt; und der einzige, der sich hätte qualifizieren können, hatte keine Lust. Elias Elhardt, 24, stammt aus Oberstaufen. Er ist hoch angesehen in der Szene, hat sich jedoch frühzeitig entschieden, nicht bei Olympia zu starten.

Es ist der ewige Kampf unter den Snowboardern um die eigene Identität. Zu viele Rennserien drohen die Sportart zu verändern. Der Weltverbands Fis, der für die Olympiaqualifikation verantwortlich ist, drängt die Sportler in eigene Wettkämpfen, statt die Qualifikation in bereits bestehenden Rennserien auszutragen.

Elhardt arbeitet lieber als freischaffender Snowboard-Künstler, dreht Filme, startet bei den Rennen, die ihm passen. Er hat entschieden, dass er Olympia nicht braucht. Dabei zeigt seine Sportart in Sotschi gerade, wie gut sie Olympia tut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: