Mirko Slomka in Hamburg:"Die HSV-Mannschaft ist toll zusammengestellt"

Psychologie statt Pragmatismus: Mirko Slomka stellt sich euphorisch als Trainer beim Tabellenvorletzten Hamburger SV vor. Dennoch bleibt es im Klub turbulent - fünf Aufsichtsräte treten zurück, der Verein kommt längst noch nicht zur Ruhe.

Von Jonas Beckenkamp

Da saß also der Mann, über den es in Hamburg in den vergangenen zwei Tagen einiges zu berichten gab. Mirko Slomka hatte auf dem Podium Platz genommen, denn es stand eine Verkündung an. Der Hamburger SV, jener durchgeschüttelte Krisenverein der Bundesliga, präsentierte seinen neuen Trainer - und es war dann doch nicht Felix Magath oder Aale-Dieter vom Hamburger Fischmarkt, sondern ein alter Bekannter des Fußball-Betriebs. "Ich freue mich, Mirko Slomka als neuen Trainer vorzustellen - das ist ja keine Überraschung mehr", erklärte Präsident Carl Jarchow nordisch-brummig, "er soll jetzt möglichst schnell die Möglichkeit haben, mit dem Team zu arbeiten."

Die Stimmungslage war so rasch umrissen: Slomka möge bitte umgehend loslegen mit dem Projekt Klassenerhalt, denn nach dem 2:4 gegen Eintracht Braunschweig und einer selten dagewesenen Pleitenserie steht es denkbar schlecht um den HSV. Nachdem der Klub in dieser Saison bereits Thorsten Fink und am Sonntagabend dessen Nachfolger Bert van Marwijk in die Ferne schickte, gilt Slomka nun als letzte mögliche Lösung.

Er sei ein "hervorragender Trainer", wusste Sportdirektor Oliver Kreuzer zu berichten", mit ihm habe man die Chance, doch drinzubleiben in Liga eins und überhaupt wolle man "möglichst schnell unten weggekommen". Slomka als Soforthelfer, aber dalli - mit dieser Erwartungshaltung begrüßten die Vereinsoberen den Neuen gleich bei seinem ersten Auftritt.

Welche Qualitäten Slomkas in Hamburg im Besonderen gefragt sind, erklärte Kreuzer recht präzise: "In unserer Situation war es wichtig, jemand zu finden, der so eine Lage kennt. Mirko war in Hannover in einer ähnlichen Situation und hat den Klub damals mit einem unglaublichen Lauf befreit." In der Bundesliga vergessen sie nicht, was früher war und so haben sie sich beim HSV offenbar bewusst für einen Coach entschieden, der eine gewisse Erfahrung in puncto Krisenbewältigung mitbringt.

Slomka selbst wirkte um Optimismus bemüht, was bleibt ihm auch anderes übrig angesichts der verheerenden Ereignisse im Klub. Der Absturz auf den vorletzten Tabellenplatz, die desolaten Vorstellungen der Mannschaft, das Chaos zwischen Aufsichtsrat und Vorstand - all das will der 46-Jährige möglichst euphorisch anpacken. "Ich freue mich sehr auf diese Aufgabe. Es ist ein großartiger Verein mit einer tollen Mannschaft - und durchweg kompetenten Verantwortlichen im Vorstand", sagte der frühere Trainer des FC Schalke, was fast ein wenig zu euphorisch klang, wenn man sich die Realität vor Augen führt.

Aber das Drunter und Drüber im Verein scheint Slomka nichts auszumachen - vorerst. "Wir sind uns einig, dass wir die Lage hier verändern wollen. Ich hoffe, dass die Mannschaft das Ziel nicht aus den Augen verliert: Dranbleiben und drinbleiben", sagte er, "es gilt jetzt, einen guten Auftakt zu haben, leichte taktische Maßnahmen zu ergreifen und am Samstag eine großartige Partie gegen Dortmund zu zeigen".

Wenn es doch alles so einfach wäre. Zuletzt hatte das Team eher wie ein taumelndes Baugerüst gewirkt denn als intakte Mannschaft. Von der Qualität der Elf sei er aber überzeugt, gab Slomka zu erkennen: "Die HSV-Mannschaft ist toll zusammengestellt. Unsere Spieler sind ausgewählt für den HSV und sie sind auch in der Lage, den Klassenerhalt schaffen."

Slomkas Vertrag gilt auch für die zweite Liga

Mit welchen Mitteln er sein verunsichertes Personal wieder aufrichten will, ließ der gebürtige Niedersachse nicht durchblicken - im Gegensatz zum nüchternen Pragmatiker van Marwijk soll nun aber vor allem die Psychologie zum Einsatz kommen. "Es gilt, der Mannschaft wieder das Erfolgsgen einzuhauchen", erklärte Slomka, "wir sollten der Mannschaft die Chance geben, ihre Stärken wieder herauszukehren."

Sollte es mit dem Klassenerhalt nicht klappen, stünde er dank eines Vertrages bis ins Jahr 2016 auch bereit, mit dem Klub in die zweite Liga zu gehen, bekräftigte der Coach. Aber noch sei der Abstieg kein Thema, weshalb er sich erfreut über die vielen Gesichter im Verein zeigte, "die sagen: 'Ja, ich will das auch schaffen.'"

Intern brodelt es natürlich weiterhin beim HSV. Nach der überraschenden Absage von Felix Magath, den Teile des Aufsichtsrates als Trainer ablehnten, haben sich mit der jetzigen Entwicklung fünf Mitglieder aus dem Gremium verabschiedet. Die Rücktritte der Aufsichtsräte Manfred Ertel, Björn Flohberg und Ali Eghbal wurden bereits vom Hamburger Abendblatt kolportiert - sie hatten ihren Abschied angekündigt, sobald ein neuer Coach gefunden ist. Bereits am Sonntag waren Marek Erhardt und Uli Klüver aus der Führung ausgeschieden.

Besonders deutliche Worte fand dabei Ertel auf seiner Facebook-Seite: "Ich habe mich in den letzten Tagen manipuliert, instrumentalisiert und genötigt gefühlt. Ich bin unter Vortäuschung falscher Tatsachen in eine Personaldebatte über eine mögliche Zusammenarbeit mit Felix Magath getrieben und anschließend durch gezielte Indiskretionen über Medien (...) genötigt worden, der Personalie um jeden Preis zuzustimmen", schrieb der Journalist dort - eine öffentliche Erklärung, die zeigt, was hinter den Kulissen beim HSV für Kämpfe toben.

Der Aufsichtsrat ist somit auf nur noch sechs Personen geschrumpft, doch vielleicht ist gerade das im aufgeregten Umfeld des Klubs ein Segen. Präsident Jarchow bestätigte den Weggang seiner Kollegen, er mache sich wegen der chaotischen Zustände aber keine Sorgen. "Sechs Personen reichen aus, um handlungsfähig zu bleiben. Wir als Vorstand machen unsere Arbeit und konzentrieren uns darauf, dass der Worst Case Abstieg nicht passiert." Das klang nicht unbedingt nach großer Einigkeit, sondern eher nach blankem Überlebenskampf. Es dürfte auch mit dem Trainer Mirko Slomka noch einiges zu berichten geben über den HSV.

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