Slalom in Madonna di Campiglio:"Wenn ich die Bilder vom Drohnenabsturz ansehe, zittere ich"

Warum fiel die Drohne beim Slalom in Madonna di Campiglio vom Himmel? Gingen die TV-Rechte-Inhaber zu weit? Der gruselige Zwischenfall ist nicht der erste dieser Art.

Von Gerald Kleffmann

Am Mittwoch hat sich Marcel Hirscher noch mal gemeldet. "Hi Leute, sitze gerade im Auto am Heimweg von Italien", begann der Skiprofi aus Österreich seinen letzten Blog vor Weihnachten und schrieb: "Verrückt, was da abgegangen ist. Ehrlich: Wenn ich mir die Bilder vom Drohnenabsturz im Internet ansehe, bekomme ich feuchte Hände und zittere."

Hirscher, der Ausnahmekönner, hatte wahrlich ein Novum der gruseligen Art erlebt. Am Dienstag im Nacht-Slalom von Madonna di Campiglio war der vier- malige Gesamtweltcup-Sieger im zweiten Lauf "nur knapp einer Katastrophe entgangen", wie Fis-Weltcup-Renndirektor Markus Waldner sagte. Eine Drohne, die TV-Bilder lieferte, war nach einem Rechtsschwung Hirschers hinabgesaust und schlug derart hart einen Meter hinter ihm auf, dass sie wild zerbarst. "Man darf gar nicht nachdenken, was passieren könnte bei einem Gewicht von zehn Kilo, das von 20 Metern runterfällt", sagte das Fast-Opfer. "Es gibt viele coole Sachen, die modern sind. Aber man muss auch die Sicherheit gewährleisten können - das war heute eigentlich ein Wahnsinn."

Ein Wahnsinn, der Reaktionen des Bedauerns und eine Debatte um die Sicherheit auslöste. Der Sieg des Norwegers Henrik Kristoffersen (vor Hirscher) verkam zur Notiz, wie auch das Abschneiden der Deutschen Fritz Dopfer (formverbesserter Sechster) und Felix Neureuther (Ausfall im zweiten Lauf) aus Sicht des Deutschen Ski-Verbandes. "Das hat Konsequenzen", kündigte Waldner zum Unfall an, "es war ausgemacht, dass der Pilot nicht über die Strecke fliegt, sondern nur über den Korridor. Doch im zweiten Lauf ist der immer weiter reingeflogen." Die Kritik des Südtirolers zielte auf den verantwortlichen TV-Rechte-Inhaber Infront, der sich bei Hirscher entschuldigte und eine Untersuchung versprach.

"Die Drohne muss weg. Das höchste Gut ist die Gesundheit aller"

Warum die Drohne blitzartig an Höhe verlor, konnte vorerst nicht geklärt werden, nach Sicht der Bilder würde Charly Waibel auf einen "leeren Akku" schließen. Verlieren Drohnen etwa den WLAN-Kontakt, setzt eine automatisierte, sanfte Notlandung ein. Der Wissenschaftskoordinator des DSV kennt sich aus - in seinem Verband hatten sie sich selbst eine Drohne für Trainingszwecke vor zwei Jahren angeschafft. "Der Akku verliert bei hohen Minustemperaturen extrem an Leistung", erklärt Waibel, für fünf bis zehn Minuten reiche dann die Energie. Inzwischen verstaubt das Objekt in Waibels Wohnung, Aufwand und Ertrag stehen noch nicht in einem vernünftigen Verhältnis zueinander. Günstig sind die Geräte, das schon, "unser Consumerprodukt hat 400 Euro gekostet", sagt Waibel. Aber es braucht auch einen Experten zum Steuern, nur selbst die können nicht jede Gefahr minimieren, wie Christian Neureuther, Vater von Felix und einst auch erfolgreicher Profi, weiß. "Es gibt ja noch Faktoren wie das Wetter, den Wind, die Sicht, dann laufen auch Fans rum - die sind besonders gefährdet", sagt er. Seine Conclusio: "Die Drohne muss weg. Das höchste Gut ist die Gesundheit aller."

Wie der internationale Skisport mit diesem Zeitgeistphänomen umgeht, bleibt abzuwarten, noch fehlen, wie Neureuther zurecht anmerkt, "klare Regeln". Beispielhaft dazu gab es widersprüchliche Aussagen darüber, ob nun in Italien andere Fluggesetze für Drohnen gelten als in Deutschland oder Österreich. Auch handhabt jeder Rennveranstalter die Bildgestaltung im Detail für sich. Einige verwenden schon länger Drohnen, etwa die Schweizer bei der Lauberhornabfahrt in Wengen, aber auch in Deutschland waren sie schon im Einsatz, in Ofterschwang und in Garmisch-Partenkirchen; dort fiel bei der letzten Kandahar-Abfahrt eine vom Himmel - weitab der Piste.

Bei der WM in Vail wurde in eine teure, sichere Seilzugkamera investiert, die über der steilen Birds-of-Prey beeindruckende Bilder zeigte - Bilder, die der Ski-Zirkus braucht. "Ich bin hin- und hergerissen", gesteht Wolfgang Maier. Der Sportdirektor des DSV erkennt einerseits, "dass wir in einer medialen Welt die Dynamik des Skisports vermitteln müssen". Andererseits: "Die Sicherheit der Menschen muss gewährleistet sein."

Maier ist nicht der einzige, der grübelt. Vor einem halben Jahr sagte Hirscher noch im SZ-Interview: "Im Skisport sind die Bewegtbildsequenzen seit Jahrzehnten nahezu gleich. Das kann es nicht sein!" Nun aber mahnt er, auch angesichts des neu eingeführten, nicht ungefährlichen Parallel-Riesenslaloms: "Fis, bitte macht euren Job!"

Aktuelles Lexikon: Kamera-Drohne

Filmemacher, die Aufnahmen aus großen Höhen machen wollen, mussten früher in Helikopter steigen, von Türmen filmen oder die Kamera an einen Kran montieren. Drohnen dagegen sind relativ leicht, schnell und im Einsatz viel billiger. Sie jagen über Felsklippen ins Weite, steigen über Baumwipfel oder fliegen über reißende Flüsse. Mindestens vier Rotoren halten das Flugobjekt in der Luft, deshalb wird es auch Quadrocopter genannt.

Der Kameramann steht mit der Fernsteuerung am Boden und kann die Bilder auf einem Monitor live sehen. Gefährlich wird es dort, wo sich viele Menschen aufhalten. Beim Weltcup-Slalom in Madonna di Campiglio krachte am Dienstag kurz hinter Skifahrer Marcel Hirscher eine Drohne auf die Piste. In Deutschland ist der Einsatz von Drohnen streng geregelt: Überflüge über Menschen sind verboten, auch Privatgrundstücke sind tabu. Wer zudem höher steigt als 100 Meter oder den Sichtkontakt zum Gerät verliert, muss mit Geldbußen rechnen. Wer Drohnen gewerblich betreibt, benötigt eine Aufstiegsgenehmigung der Luftfahrtbehörden. Eine Haftpflichtversicherung ist Pflicht für Hobby- und Profipiloten. Auch ein kurzer Hinweis an die Polizei empfiehlt sich vor dem Start: Manchmal halten Spaziergänger die Drohnen für Ufos - und wählen aufgeregt die Notrufnummer 110. Annette Zoch

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