Ski-alpin-Weltcup in Gurgl:Straßers Frust beim Favoriten-Rodeo

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Sichtlich angefressen: Linus Straßer am Sonntag im Ziel von Gurgl. (Foto: Harald Steiner/Gepa/Imago)

Der Männer-Slalom in Gurgl wird zur großen Favoritenfalle. Zahlreiche Mitfavoriten scheiden bereits im ersten Durchgang aus, auch Linus Straßer, der mit seinem Material hadert - und reichlich angefressen eine weitreichende Entscheidung revidiert.

Von Korbinian Eisenberger, Gurgl

Im Ötztal gibt es eine Gondelbahn, die Skifahrer von Obergurgl nach Hochgurgl und zurück transportiert. „Topexpress“ wurde diese Bahn einst getauft, also mit einem Namen, der komplett auf die falsche Fährte führt. Der Topexpress ist eher eine Bummelbahn – und dort, wo die Gondeln eine Kurve machen, stehen sie nahezu still. All das sei erwähnt, weil sich der Münchner Skirennläufer Linus Straßer am Sonntag in Gurgl ähnlich vorgekommen sein muss: wie dieser Topexpress, der in der Kurve mehr zum Stoppexpress avanciert.

Ungläubig schauten die knapp 10 000 Gäste am Sonntagfrüh Richtung Kirchenkar hinauf. Was war da denn los? Klar war dieser Slalomlauf auffällig drehend gesteckt, schwierig zu bewältigen. Aber so?  Linus Straßer, einer der weltbesten seines Fachs, war mit Startnummer eins unterwegs, was ein Vorteil sein kann – doch vom ersten Tor an hatte er sichtlich Mühe, im Lauf zu bleiben. Er stellte die Skier teils komplett quer zum Hang, stand in einigen Kurven mehr, als dass er carvte oder schwang. Wie ein geschlagener Boxer kurz vor dem K.o. rettete er sich irgendwie über die Ziellinie. Und auch wenn es noch keine Vergleichszeit gab, wirkte Straßer, wie er da auf dem Sessel des Gesamtführenden saß und vor sich hin starrte, als wüsste er es bereits: Das lief diesmal gründlich schief.

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Es entwickelte sich ein bemerkenswerter erster Durchgang, an dessen Ende sich kein einziger deutscher Starter fürs Finale qualifizierte. Sebastian Holzmann schied als Lauf-35. aus, Linus Straßer als 38., Alexander Schmid wurde 41. Und um den Frust im Team des Deutschen Skiverbands (DSV) zu vervollständigen, verpasste der tagesbeste DSV-Mann Anton Tremmel als 31. Lauf zwei um, natürlich: eine Hundertstelsekunde.

„Das war vom ersten bis zum letzten Tor nur ein Kampf. Ich war nie im Wettkampf richtig drin“, sagte Linus Straßer nach dem Rennen. Im Zielraum gab es zwar Trost von seiner kleinen Tochter, die sich an ihn schmiegte und an einer Salzbrezel kaute. Angefressen war aber vor allem der Papa, wie sich alsbald zeigte. „Das war nur das Material“, sagte Straßer. Also Ski und Bindung. „Ich war nie am Pokertisch gesessen, ich stand davor und hab an der Tür geklopft und bin nicht reingekommen.“ Er und sein Servicemann hätten zu Beginn dieser Saison mit neuem Material experimentiert. „Das ist natürlich mit einem Risiko verbunden, wie man heute gesehen hat“, so Straßer. Er werde vorerst „wieder komplett auf mein altes Material zurückgreifen“.

Die Kirchenkarpiste wurde an diesem Sonntag zum Favoriten-Rodeo. Manuel Feller, der Vorjahressieger von Gurgl und bei den Heimfans größter Hoffnungsträger, leistete sich nach sehr schneller Zwischenzeit einen Einfädler und damit das frühe Aus. Ähnlich erging es dem Rückkehrer Lucas Braathen, auch er fädelte ein, ehe Minuten später Altmeister Marcel Hirscher nach einem Fahrfehler ausschied. Der 35 Jahre alte Österreicher, der seit dieser Saison für die Niederlande startet, stellte gar sein Comeback-Projekt infrage. Er fühle sich „ein bisschen fehl am Platz“, sagte er. Auch Hirscher, der ja mit seiner eigenen Skimarke fährt, haderte mit der Materialabstimmung. „Es scheint schon so, dass der Grat, welches Set-up auf diesen Verhältnissen funktioniert, immer krasser wird.“

Gewonnen hat den Slalom von Gurgl am Ende wie zuletzt im finnischen Levi überlegen der Franzose Clement Noël vor dem Schweden Kristoffer Jakobsen und Atle Lie McGrath aus Norwegen. Und während sie in Gurgl ihren Local Hero Fabio Gstrein für Platz neun und als besten Österreicher feierten, war die deutsche Delegation längst über alle Berge – sehr wahrscheinlich mithilfe des Topexpresses.

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