Skisprung-Weltmeister Freund:Abschied vom Nervenbündel

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Severin Freund: Entzügelt nach dem Titel-Sprung (Foto: AP)

Früher verbissen, heute gelöst: Severin Freund wird Weltmeister, weil er besser springt als je zuvor. Aber auch, weil er seine Nerven in den Griff bekommen hat.

Von Lisa Sonnabend

Als Severin Freund vor seinem zweiten Sprung die Schanze hinaufstapfte, war klar, dass nichts mehr schief gehen würde: Denn der 26-Jährige lächelte. Er blies die Backen, er wirkte gelöst. Wenige Minuten später glitt Freund die Schanze hinab. Er vermasselte den Absprung nicht, er ruderte nicht mit den Armen in der Luft, er stürzte nicht. Nein, er sprang am Donnerstagabend 135,5 Meter weit - neuer Schanzenrekord. Severin Freund ist Weltmeister, als erster deutscher Skispringer seit Martin Schmitt vor 14 Jahren. Das hätte der Sportler aus Niederbayern bis vor kurzem niemals so reibungslos hinbekommen.

Viel zu oft stand sich Freund selbst im Weg. Die Nervosität, die Anspannung, der Druck waren zu groß, wenn es wichtig wurde. Der Deutsche blickte vor großen Wettkämpfen nicht entspannt, sondern presste die Lippen aufeinander, kniff die Augen zusammen. Wie beim Einzelspringen bei Olympia 2014, als er im ersten Durchgang bei der Landung stürzte. Auch bei der diesjährigen Vierschanzentournee wurde er als Favorit gehandelt, doch schon beim ersten Springen in Oberstdorf patzte er derart, dass er keine Chance mehr auf den Gesamtsieg hatte.

Bei der Nordischen Ski-WM in Falun nun holte Freund nach Silber auf der Normalschanze und Gold im Mixed-Wettbewerb seine dritte Medaille. In seinem silber-goldenen Sprunganzug schritt er durch den Auslaufbereich, den Kopf in den Nacken gelegt. Er genoss seinen ersten ganz großen Titel. Es war ihm eine Genugtuung.

"Ich hatte zweimal brutal viel Spaß", sagte Freund. Sein Teamkollege Richard Freitag meinte: "Diesen Sprung wird er nie vergessen. Jetzt darf er sich die Medaille getrost um den Hals hängen."

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Severin Freund gewinnt mit sagenhaftem Vorsprung den WM-Titel von der Großschanze. Auch seine Vorgänger waren unerschrocken - manch einer auch abseits des Sports. Die sechs deutschen Skisprung-Weltmeister.

Bundestrainer Werner Schuster stand noch auf dem Trainerturm. Er hüpfte, als Freund gelandet war, und langte sich ungläubig mit den Händen an den Kopf. "Er ist wie ein Flugzeug geflogen. Ich bin sehr gerührt", sagte der 45-Jährige dann. "Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einen Weltmeister abwinken darf."

Seit sieben Jahren arbeiten Schuster und Freund zusammen, der Trainer kennt seinen Springer gut. Auch seine Schwächen. "Severin ist ein Mann der kleinen Schritte", hatte Schuster erst vor ein paar Tagen gesagt. Freund ist keiner wie der Österreicher Stefan Kraft, der in diesem Jahr fast aus dem Nichts die Vierschanzentournee gewann. Freund ist kein Toni Nieminen, der Anfang der neunziger Jahre als 16-Jähriger die Skisprungszene dominierte. Freund hat viel länger gebraucht, um konstant richtig weit zu springen. Er musste erst zu sich finden.

Der introvertierte Athlet galt lange als verbissen, ihm fehlte die Lockerheit, er wirkte oft nicht mit sich im Einklang. Caroline Otterbein, die Physiotherapeutin im deutschen Team, meinte einmal: "Er war anfangs eher eigenbrötlerisch und oft "fest", wie man in Skispringerkreisen sagt."

Das lässt sich auch an den Resultaten ablesen. 2007 sammelte Freund seinen ersten Weltcup-Punkt, 2011 stand er erstmal auf dem Podest ganz oben. Bis zu seinem ersten großen Titel musste er allerdings drei weitere Jahre warten. Nach dem verkorksten Einzelspringen in Sotschi wurde er mit dem Team Olympiasieger, im entscheidenden Moment versagte die Nerven mal nicht. Es war ein Durchbruch für den 1,85 Meter großen Athleten, das Selbstvertrauen und die Selbstsicherheit nun da. Den Rest der Saison dominierte Freund, holte bei der Skiflug-WM in Harrachov den Titel. Auch die Saison 2014/2015 begann der Deutsche stark, ehe er bei der Vierschanzentournee dem Druck doch wieder nicht stand hielt.

Doch danach begann sein Lauf: Bei den vergangenen acht Weltcups durfte Freund am Ende sieben Mal auf das Podest steigen. Beim Skifliegen in Vikersund segelte er 245 Meter weit, so weit war kein anderer deutscher Skispringer zuvor geflogen. Der 26-Jährige reiste als Favorit nach Falun - und war den Erwartungen gewachsen.

Nach der Siegerehrung am Donnerstagabend strahlte der neue Weltmeister noch immer, gelöst gab er ein Interview nach dem anderen. "Das braucht ein bisschen Zeit, bis ich das begriffen habe", sagte er. In der Karriere von Freund dauert manches eben ein bisschen länger als bei anderen. Er schafft es irgendwann aber trotzdem.

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