Süddeutsche Zeitung

Skispringer Janne Ahonen:Getrieben vom olympischen Fluch

Janne Ahonen hat alles gewonnen, was es im Skispringen zu gewinnen gibt. Nur eines nicht: eine Einzel-Medaille bei Olympia. Vor Sotschi hat der Finne sein zweites Comeback gegeben. An den ersehnten Erfolg glaubt allerdings kaum einer mehr.

Von Lisa Sonnabend

Nachdem das Flugzeug in Helsinki gelandet war, begaben sich die finnischen Olympiateilnehmer in die Empfangshalle, wo die Fans bereits warteten. Sie jubelten all ihren Athleten zu. Nur einer hatte sich durch den Hinterausgang davongestohlen: Janne Ahonen. Die Enttäuschung war einfach zu groß. Als Vierter hatte der Skispringer bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano die Bronzemedaille auf der Normalschanze verpasst, einen schlappen Punkt hinter dem Österreicher Andreas Widhölzl.

Auch vier Jahre später in Salt Lake City galt Ahonen als Kandidat für eine Medaille, auch diesmal reichte es nur für Platz vier auf der Normalschanze. Erneut vier Jahre später schlich Ahonen bei den Spielen von Turin apathisch durch das Olympiadorf. Neun Weltcups hatte der erfolgreichste Skispringer aller Zeiten in der Saison 2005/2006 zuvor gewonnen, doch bei Olympia reichte es wieder nicht für eine Einzelmedaille, nur für Platz sechs.

Diese Anekdoten sind wichtig, um zu verstehen, warum Janne Ahonen, mittlerweile 36 Jahre alt, in diesem Winter noch einmal auf die Sprungschanze zurückgekehrt ist. Fünfmal gewann der Finne die Vierschanzentournee, so oft wie kein anderer Springer. Er stand bei 36 Weltcup-Springen ganz oben auf dem Podest, er holte fünf Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften und beendete die Saison zweimal als Gesamtweltcup-Sieger. Doch eines hat er nie gewonnen: eine Einzel-Medaille bei Olympia.

2008 beendete Ahonen seine Karriere. Er hatte das viele Reisen satt und wollte mehr Zeit mit seiner Frau und den beiden Kindern verbringen. Bald darauf erschien seine Biografie "Der Königsadler", die von seinen Erfolgen erzählt, von Alkoholeskapaden und natürlich von den geplatzten Träumen bei Olympia. Das Buch wurde ein Bestseller, auch in Deutschland verkaufte es sich prächtig.

Im olympischen Winter 2010 war Ahonen dann plötzlich wieder da, in seinem Buch wurde noch schnell das Kapitel "Das Comeback" ergänzt. Ahonen hatte hart trainiert, seine Sprungkraft war besser denn je. Die Vierschanzentournee beendete er als Dritter, bei der letzten Station in Bischofshofen saßen 1,6 Millionen Finnen vor dem Fernseher, fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung. Doch bei Olympia in Vancouver reichte es wieder nur für einen vierten Platz auf der Normalschanze.

Kurze Zeit später verkündete Ahonen das zweite Mal sein Karriereende. Er wolle nun wirklich mehr Zeit mit der Familie verbringen. Doch seit 2013 - rechtzeitig vor Olympia - springt er wieder. "Ich fragte mich, ob ich immer noch das Zeug dazu habe, mit den besten mitzuhalten", sagte Ahonen zu Saisonbeginn. "Ich vermisste das Skispringen." Als sein großes Saisonziel hat er ausgegeben: die Einzel-Medaille in Sotschi. Ob es nun endlich klappt?

Was kein gutes Zeichen ist: Ahonen ist in diesen Wochen noch stiller als gewöhnlich. Nach den Springen verlässt er schnell den Zielbereich, die Lippen fest aufeinandergepresst. Nur den finnischen Reportern beantwortet er ein paar Fragen, andere Journalisten ignoriert er, auch wenn sich viele noch immer für den Senior interessieren. Gelächelt hat Ahonen in dieser Saison so gut wie noch nie. Nur nach dem zweiten Durchgang von Oberstdorf verteilte er grinsend Küsschen in die Linse einer TV-Kamera. Es war ironisch gemeint, der Wind hatte einen weiten Sprung unmöglich gemacht.

Ahonens beste Saisonplatzierung war ein fünfter Platz in Titisee-Neustadt. Das war Mitte Dezember. Bei der Vierschanzentournee reichte es für den Rekordsieger nur für Gesamtrang 23. Ahonen ging allerdings geschwächt an den Start, er litt an den Folgen einer bakteriellen Lungenentzündung. Drei Wochen musste er daraufhin pausieren.

Am vergangenen Wochenende in Willingen, beim letzten Weltcup vor Olympia, kehrte Ahonen zurück. Seine Form allerdings nicht: Die Probleme beim Absprung waren noch immer eklatant. Es reichte nur für Platz 30 und Platz 20. "Ich weiß, dass alle sehr skeptisch sind", sagte Ahonen in Willingen. "Doch ich habe mich seit September nicht so gut gefühlt. Alles ist möglich." Es klang so, als mache sich einer Mut, als wolle einer die Hoffnung nicht aufgeben.

Die Hoffnung eines ganzen Landes ist der 36-Jährige sowieso. Die Skisprungnation Finnland, für die einst ein Matti Nykänen, ein Toni Nieminen und eben ein Janne Ahonen große Erfolge errangen, steckt tief in der Krise.

Im Gesamtweltcup liegt Ahonen auf Rang 29, als zweitbester Finne. Nur der ehemalige Kombinierer Anssi Koivuranta hat ein paar Weltcup-Punkte mehr gesammelt als er. Koivuranta gewann das Tournee-Springen in Innsbruck, allerdings unter nicht gerade fairen Umständen. Der Wettbewerb war vom Winde verweht und wurde im zweiten Durchgang abgebrochen. Eine Medaille bei Olympia traut Koivuranta niemand zu. Über die desolate Situation der finnischen Springer sagte Ahonen in dieser Saison einmal: "Unser Land braucht verzweifelt Erfolge, so wie ich."

Bei den Winterspielen in Sotschi hat Ahonen nun seine wohl letzte Chance auf die ersehnte Einzel-Medaille. Zwar kündigte er an, er wolle mindestens bis zur Ski-WM in seiner Heimatstadt Lahti 2017 weiterspringen. Wirklich glaubt daran jedoch niemand.

Es könnte allerdings bald ein neuer Ahonen in der Weltspitze mitspringen. Sein Sohn Mico soll ähnlich talentiert sein wie sein Vater. Mico ist zwölf, er springt bereits 125 Meter weit.

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