Skispringen:Zeit? Gibt es für Kasai nicht

FIS Ski Jumping Worldcup Planica - Day 1

Noriaki Kasai: Ein eigenes Zeit-Phänomen

(Foto: Jan Hetfleisch/Getty Images)
  • Noriaki Kasai will immer noch nicht aufhören mit dem Skispringen - er plant, seine Karriere bis Olympia 2026 fortzuführen.
  • Dann wäre er fast 54 Jahre alt.
  • Für ihn ist die Zeitrechnung eine besondere Größenordnung.

Von Volker Kreisl

Es gibt Sportler, die tun sich durch Rekorde hervor. Sie gewinnen eine WM, dann noch eine, dann fangen sie an zu sammeln, bis sie die meisten Titel haben, und sammeln weiter, bis man den Überblick verliert. Andere Sieger bestechen durch ihr Charisma oder dadurch, dass sie sich besonders gut die Lunge aus dem Hals rennen können, wieder andere, weil sie schon lange dabei sind und Erfahrung haben. Es gibt unter den Besten überragende, schöne, fleißige und ältere Sportler. Und es gibt Kasai.

Kasai - das Wort kriegt allmählich eine Bedeutung, die übers Skispringen hinausgeht. Es ist einerseits der Name des 44 Jahre alten Weltcup-Springers Noriaki Kasai aus Japan. Es könnte aber auch die Bezeichnung sein für ein kognitives Phänomen wie das Déjà-vu-Erlebnis. Ein Kasai ist etwas Vergangenes, Vergessenes, das plötzlich wieder vorbeifliegt und einen daran erinnert, dass es in Wirklichkeit keine Zeit gibt.

Noriaki Kasai jedenfalls hat nichts mit dem zu tun, was man im Sport allgemein unter Zeit versteht. Da geht es immer um die gemessene Zeit. Um Hundertstelsekunden, um Trainingsphasen, Spielzeiten, Karriere-Epochen und - die Zeit nach dem Sport. Der lächelnde Japaner aber hat irgendwann beschlossen, die Grenzen zu sprengen, er fliegt einfach immer weiter. Und es ist nicht so, dass er seine Karriere wie andere stückweise verlängert, denn etwas, das nicht aufhört, muss man nicht verlängern.

Er ist schon im Weltcup gesprungen, als noch der Kalte Krieg herrschte

Es gibt diese Beispiele. Kasai wurde geboren, als auch die Eltern seiner jetzigen Konkurrenten gerade auf die Welt kamen. Er ist schon im Weltcup gesprungen, als noch der Kalte Krieg herrschte zwischen Ost und West. Kasai hatte als Schüler die Ski in der Luft noch parallel gehalten. Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung wurde er Weltmeister. Und vor knapp zweieinhalb Jahren gewann er seinen 17. Weltcup-Wettbewerb, aber der ist auch schon wieder so weit weg, weil die Vergangenheit bei Kasai irgendwie verfließt. 1972 jedenfalls kann er gar nicht geboren sein, denn Kasai ist doch auch schon bei den Olympischen Winterspielen in St. Moritz 1928 dabei gewesen, damals eben als Kombinierer, weil es noch kein Skispringen gab als eigenständige Disziplin.

Irgendwann in dieser langen, unmessbaren Zeit erklärte Kasai einmal, er denke nie an den nächsten Sprung, er sagte: "Ich mache ihn einfach." Damit ist er bislang gut geflogen. Diese Saison läuft zwar nicht so gut, aber Kasai, der sich so oft an neue Ski, Bindungen und Anzüge anpassen musste, macht das nichts aus, im vergangenen Winter war er ja noch unter den zehn Besten. Gerade hat er erklärt, er werde bis zu den Olympischen Spielen 2026 weitermachen, aber das ist sicher nur ein vager Richtwert.

Jetzt, in Lahti in Finnland, kann es jederzeit passieren, dass einen in dem ganzen WM-Trubel und Zeitdruck unvermittelt ein Kasai streift. Ein gutes Gefühl.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: