Nordische Ski-WM:Drei Jahre Anlauf zum perfekten Flug

Nordische Ski-WM: Zurück an der Weltspitze: Andreas Wellinger jubelt über Platz zwei und Silber bei der Nordischen Ski-WM in Planica.

Zurück an der Weltspitze: Andreas Wellinger jubelt über Platz zwei und Silber bei der Nordischen Ski-WM in Planica.

(Foto: Memmler/Imago/Eibner)

Andreas Wellinger gelingen auf der Normalschanze zwei beeindruckende Sprünge. Nach langer Zeit des Misserfolgs gewinnt er WM-Silber hinter dem Polen Piotr Zyla und vor dem Dritten Karl Geiger.

Von Volker Kreisl, Planica

Das Ideal hatte Andreas Wellinger erst vor drei Monaten in Engelberg skizziert. Wie man perfekt skispringt, das konnte er bestechend präzise vortragen, denn er war soeben erst wieder durch die Schule gegangen.

Im Sommer 2019 hatte er sich einen Kreuzbandriss zugezogen, gerade noch versuchte er, eine enttäuschende Saison hinter sich zu lassen, da stürzte er in tiefere Tiefen seines Sports. Doch Wellinger hatte, wie sich dann herausstellte, dreieinhalb Jahre vor sich, in denen er zunächst offiziell gesund wurde, wieder Sport betreiben und schließlich wieder springen konnte. Aber Springen ist nicht gleich Springen, denn um im Wettkampf weit zu kommen, braucht es diese mürrische und unberechenbare Begleiterin, die Form.

Jetzt, in Planica bei der Weltmeisterschaft, hat er sie zurückgewonnen. Wellinger, 27, ist am Samstag auf der Normalschanze Zweiter geworden, mit ein bisschen mehr Großzügigkeit der Punktrichter wäre er auch Weltmeister geworden in diesem außerordentlich spannenden und knappen Finale. Doch gravierend waren die Punktabweichungen auch wieder nicht, somit gewann der Ruhpoldinger Silber hinter dem Polen Piotr Zyla, der im Alter von 36 Jahren noch einen fabelhaften Wettkampf zeigte und sich von Platz 13 auf Rang eins verbesserte. Auf Platz drei landete Karl Geiger.

Auch ohne höhere Punkte entsprach Wellingers Sprung dem Ideal, das er eingangs dieser Saison vorgetragen hatte, so als würde er tatsächlich Anlauf nehmen: Die Herausforderung für ihn, sagte er, das sei die Anfahrtsposition, "mein Knie ist zu weit vorne, der Oberkörper passiv". Kalt war es nun in Planica, die Nacht war hereingebrochen, die Skispringer beschlossen diesen Tag bei launischem Wind, doch Wellinger war pünktlich. Seine Hocke im ersten Durchgang passte, sonst wäre er hier schon nicht unter die besten zehn Springer gekommen.

Dominator Granerud wird durchgereicht und verpasst die Top Ten

Früh bereits zeichnete sich ab, dass der Wettkampf wieder das WM-Symptom tragen würde. Dass dieser einzelne, mit viel Bedeutung aufgeladene Ablauf seine eigene Spannung und auch andere Sieger als bei Weltcup und Tournee hervorbringen würde. Vier Favoriten hatten sich schon früh in diesem Winter herausgebildet: Stefan Kraft, Anze Lanisek, Dawid Kubacki und Halvor Egner Granerud. Der Österreicher, der Slowene, der Pole und der Norweger indes scheiterten an dieser Schanze. Keiner kam mit dem Rhythmus dieses Anlaufs zurecht, sogar Granerud, der im Weltcup weit vorne liegt, wurde durchgereicht und verpasste die Top Ten.

Wellinger aber war wieder in seinem Element. Schon in den zwei Wochen zuvor hatte er einen entscheidenden Schritt geschafft mit seinem Sieg, dem ersten seit 2017, der ihm kürzlich in Lake Placid in den USA gelungen war. Er hat ihm wohl die letzten Zweifel an sich selbst genommen, auch weil er seinem Ideal eines richtigen Sprungs präzise folgte. Wenn sich der Oberkörper bei der Anfahrt gut über der Hocke befinde, "dann kann ich meine Stärken ausspielen", sagte er, denn dann ist "Energie im Sprung".

Jedoch die Stärken auszuspielen, ist leicht gesagt. Wenn man oben am Balken sitzt und der Wind, wie an diesem Abend, von rechts und von links bläst und von hinten und vorne, wenn der Springer dann doch wieder vom Balken zurück rutschen und abermals warten muss, dann kann man nicht mehr alle Ideale erreichen. Im zweiten Durchgang hatte dann auch noch der Pole Piotr Zyla einen einmaligen Satz in seiner Karriere erwischt, als er einen neuen Schanzenrekord aufstellte, was einige andere der besten Cracks ein bisschen entmutigte.

Der perfekte Absprung für die windschlüpfrigste Flugposition

Wellingers bester Moment dürfte dann dennoch der Absprung gewesen sein. Denn es ist ihm das gelungen, was Flughöhe und Flugweite garantiert. Die Kraft seiner Beine hatte endlich auch die nötige Wucht für ein Drehmoment erzeugt. Schulmäßig, also ganz von selbst, rotierten Beine, Oberkörper, Kopf, Helm und Ski nach vorne in die windschlüpfrigste Flugposition. Mit anderen Worten, ihm ist endlich wieder bei einem Ereignis gelungen, bei dem alle zuschauen, einen nahezu perfekten Sprung vorzuführen.

Wer so lange in seinem Sport weg war vom Fenster, der wird, auch wenn er Wellinger heißt und gerne mal einen frechen Spruch abgibt, etwas vorsichtiger, auch im Erfolg. So ärgerte sich auch Andreas Wellinger nicht allzu lange über die etwas knickerigen Haltungsnoten der Punktrichter, die ihm womöglich die entscheidenden zweikommasechs Punkte vorenthielten, die ihm zu Gold fehlten.

Er brach die Klage von selbst ab, vielleicht weil längeres Ärgern in einer Großveranstaltung nur ablenkt, einem Event, das noch weitere Aufgaben wie etwa das Mixed-Springen am nächsten Abend vorsah. Stattdessen sagte Wellinger noch: "Ich bin unglaublich happy über die zwei Sprünge". Denn die waren fast perfekt, mit anderen Worten "saugeil".

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