Skispringen in Wisła:Mit dem Charme eines Roulettetisches

Skispringen in Wisła: Markus Eisenbichler aus Siegsdorf landet am Samstag auf dem Matten von Wisła als zweitbester Deutscher auf Rang 13.

Markus Eisenbichler aus Siegsdorf landet am Samstag auf dem Matten von Wisła als zweitbester Deutscher auf Rang 13.

(Foto: Mateusz Birecki/Imago)

Erstmals sind die Skispringer zum Auftakt des Winter-Weltcups auf Kunststoffmatten gelandet. Eine spezielle Erfahrung, die den ein oder anderen dazu bringt, die ganz großen Fragen zu stellen.

Von Korbinian Eisenberger

Karl Geiger wirkte wie einer, der gerade alles auf Schwarz gesetzt hatte - und dann kam Rot. Geiger ist ja eher selten in Casinos anzutreffen, er hat den Beruf des Skispringers erlernt, also in der Wintersportbranche. Insofern hatte er sich hier durchaus nicht in der Adresse vertan. Wisła, Polen, erster Skisprung-Weltcup der gerade begonnenen Wintersaison. Aber diese grünen Kunststoffmatten als Hangzierde, mit ihren weißen und roten Querstreifen, die haben nun mal eher den Charme eines Roulettetisches. Und Roulette scheint nicht Geigers Spezialdisziplin zu sein.

Einer der Besten in Reihen der Adler des Deutschen Skiverbands (DSV) hatte also mit dem ersten Sprung schon alle Chancen auf Punkte verspielt. Rang 34, Durchgang zwei verpasst. Das passte alles in allem zu dem, was die deutschen Athleten in den ersten beiden von insgesamt 40 geplanten Weltcupspringen zustande brachten. Bester war an Tag eins Pius Paschke auf Rang zwölf vor Markus Eisenbichler (13.) und Rückkehrer Andreas Wellinger (23.). Ganz weit vor den dreien landete der Pole Dawid Kubacki vor Norwegens Granerud und Österreichs Kraft.

Es ging an diesem Wochenende von Wisła um mehr als um Punkte und Weiten. Weil wegen der anstehenden Fußball-WM der Skisprungstart so früh wie nie vollzogen wurde, ging es zugleich irgendwie auch um die Zukunft dieses Sports. Und vielleicht ging es gar um die Existenz einer ganzen Branche, die für Profis und Hobbysportler in Gefahr sein könnte, weil die Winter global immer weniger und unzuverlässiger Schnee bereithalten, um darauf zu landen oder zu carven.

Das sind zumindest Gedanken, die offenbar auch den DSV-Teammanager Horst Hüttel intensiver beschäftigen, wie er am Samstag nach dem Springen in der ARD erahnen ließ. "Die Frage der Zukunft wird nicht sein, was wir wollen - sondern was wir können. Was ist in unserer Gesellschaft noch darstellbar? Es ist schon die Frage: Was ist der richtige Weg?"

Glücksspiel ist beim Skispringen schon immer ein Thema gewesen

Im Fall von Wisła führte der Weg an beiden Tagen über eine Anlaufbahn aus Eis. Fazit nach Tag eins: "Es war okay, ich bin schwierig reingekommen hier, speziell mit der Spur", erklärte Eisenbichler am Samstag. "Hier ist es einfach durch die warmen Temperaturen und durch den Regen ein bisschen anders. Und es sind natürlich auch die Damen vorher runtergerauscht."

Damit hatte der Analyst Eisenbichler im Grunde recht, wenngleich "runterrauschen" im Oberbairischen eine massive Schnelligkeit andeuten soll - und in diesem Punkt hatten sich zumindest die DSV-Frauen an besagtem Samstag ähnlich schwer getan wie ihre männlichen Kollegen. Aus den Gesichtern von Selina Freitag (19.), Agnes Reich (20.) und der achtmaligen Weltcupsiegerin Katharina Althaus (21.) ließ sich vergleichbar viel Begeisterung lesen wie bei Roulettespieler Geiger. Am Sonntag - unter trockenen Verhältnissen - wendeten sich die Dinge zumindest für die derzeit beste deutsche Springerin Althaus, die diesmal nur von der Österreicherin Eva Pinkelnig übertroffen wurde. "Heute regnet es Gott sei Dank nicht, ich bin gleich ab dem ersten Sprung besser reingekommen", erklärte die Zweite Althaus im Ersten, ehe sie die Roulette-Matten mit einem Lächeln verließ.

Glücksspiel ist beim Skispringen schon immer ein Thema gewesen. Das liegt vor allem an dem Element Luft, welches sich bisweilen bewegt - das hat bei diesem Sport hohe Relevanz -, egal ob auf weißem Schnee oder auf grünem Stoff.

DSV-Teamchef Hüttel warb am Wochenende regelrecht für Wiederholungen. "Der Klimawandel ist real. Skispringen hätte mit Eisspur und Matte eine Lösung und ein Konzept, um dem entgegenzuwirken. Das funktioniert gut", sagte er am ARD-Mikrofon. Karl Geiger sagte erst mal nichts - und sprang einen Tag später immerhin in Durchgang zwei und am Ende auf Rang 18 hinter Paschke (16.) und vor Philipp Raimund (20.) und Eisenbichler (21.). Kubacki holte im eigenen Land den Doppelsieg. Und die Deutschen haben mit Wisła nun eine Rechnung offen, nicht am Roulette- sondern am Schanzentisch.

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