Skispringen:Wellinger gibt Rätsel auf

Andreas Wellinger

Skispringer Andreas Wellinger ist der Anführer des deutschen Sprungteams.

(Foto: dpa)
  • Beim Saisonauftakt in Wisła in Polen ist Wellinger der Anführer des deutschen Sprungteams.
  • Er könnte die Tournee gewinnen und gilt als Olympiahoffnung, Wellinger aber sagt: "Ich konzentrier mich auf die Sachen, die ich beeinflussen kann."
  • Im Sommer plagte ihn ein Formtief. Nun sagt Wellinger, seine Sprungform sei schon länger nicht mehr so unterirdisch wie im Sommer.

Von Volker Kreisl

Das ist alles so schwer zu erklären, sagt Andreas Wellinger. Dieses Formtief im Sommer, diese, wie er sagt, "unterirdische Sprungform". Wellinger hat keinen Druck an die Kante bekommen, hat die Flugkurve unterschnitten. Und dann kann sich ein Skispringer strecken, so weit er will, dann wird es nur ein Hopser.

Skispringer leiden mehr als andere Sportler unter rätselhaften Schwankungen, manche vergraben sich, grübeln über Technik oder Material, experimentieren, verfluchen sich. Wellinger ist da anders. Er, 182 Zentimeter groß und 65 Kilogramm schwer, verkörpert das Prinzip Leichtigkeit mehr als die meisten seiner ebenfalls leichten Kollegen. Schwere Probleme löst er mit dem Grundsatz: "Mit Gewalt geht bei uns gar nichts." Weitere Ausführungen beendet er gerne mit der Standard-Ausflucht: "Mal schauen."

Als Kind fuhr er Ski - am liebsten über Kanten, da konnte er weit springen

Jetzt ist er 22, und mit dieser Luftigkeit hat er es weit gebracht. Beim Saisonauftakt in Wisła in Polen ist Wellinger der Anführer des deutschen Sprungteams. Die zweite Hälfte der zurückliegenden Saison hat er zusammen mit dem Österreicher Stefan Kraft dominiert und drei WM-Medaillen errungen. Weil der mehrmalige Weltmeister Severin Freund wegen eines Kreuzbandrisses auch in diesem Winter ausfällt und die anderen Springer im deutschen Team noch ein Stück zurückliegen, schauen jetzt alle auf Wellinger. Er könnte die Tournee gewinnen und gilt als Olympiahoffnung, Wellinger aber sagt: "Ich konzentrier' mich auf die Sachen, die ich beeinflussen kann."

Wenn einer derart plötzlich und unbekümmert in die Szene der weltbesten Springer einbricht wie Wellinger mit 17 im Winter 2012, dann belädt er sich nicht mit Zweifelballast. Geboren ist er in Ruhpolding, aufgewachsen in Weißach in der Gemeinde Schneizlreuth, mitten im Wintersportgebiet. Sein Vater war Skirennfahrer, auch der junge Wellinger stürzte sich die Hänge hinunter, eins kam zum anderen. Er suchte sich auf der Piste Kuppen und Kanten, um zu springen, irgendwann sah er die richtigen Skispringer im Fernsehen.

Im Prinzip ging es immer höher und immer weiter, das erste Podium 2012, der erste Weltcupsieg 2014, Olympiagold 2014 mit dem Team, der erste prominente Werbevertrag - von Sieg zu Sieg fliegend wird man eben immer leichter. Die Kunst aber ist es, seine Selbstsicherheit auch dann nicht zu verlieren, wenn man abstürzt.

Im Dezember 2014 erwischte ihn eine Böe in Kuusamo in Finnland. Vielleicht hatte sich der damals 19-Jährige unverwundbar gefühlt, jedenfalls sprang Wellinger aggressiv wie immer ab, also flach und mit der Nase auf Höhe der Skispitzen, womit der Körper leicht vornüberkippen kann. Dann verlor er die Balance, sein linkes Bein kippte weg, er drehte sich in der Luft und fiel auf den Rücken. Das reicht für einen Knacks im Selbstbewusstsein, aber Wellinger hatte Glück, er erlitt nur eine Schulterluxation und bekam einen Schrecken.

Die Sprungform? Sei schon länger nicht mehr so unterirdisch wie im Sommer, sagt Wellinger

Letztlich half ihm seine Unbekümmertheit auch da, als es erstmals darum ging, wieder aufzustehen. Im Januar kehrte er ins Training zurück, im Februar gelangen ihm die ersten Sprünge. In manchen Disziplinen müssen Sportler Kraft bolzen, an die Grenzen gehen. Im Skispringen ist das anders, und die Worte "mal schauen" sind tatsächlich so gemeint. Es geht um Intuition, darum, dass der Körper nach unzähligen Wiederholungen die richtige Hundertstelsekunde für den Absprung erwischt. Wellinger sagt: "Das gute Gefühl kann man nicht erzwingen, man muss es passieren lassen."

Manchmal geht es schnell, manchmal dauert es lange, manchmal werden Springer nach ein paar Wochen vergeblicher Formsuche ins B-Team zurückgeschickt, manchmal verkündet ein Trainer nach Monaten trotz fehlender Resultate: "Ich trau' ihm zu, demnächst ein Siegspringer zu sein." Bundestrainer Werner Schuster war das, im Januar. Gemeint hatte er Wellinger, der gerade einen Finaldurchgang verpasst hatte. Eine Woche später sprang er aufs Podest, und da oben blieb er für den Rest des Winters, die Bilanz: ein Sieg, achtmal Platz zwei, dreimal Dritter.

Wellinger hat also schon einen Comeback-Prozess durchgemacht, was eine gute Voraussetzung ist für die Karriere eines Champions. "Er hat diesen Rückschlag in Kuusamo erlebt, das hat ihn reifen lassen", sagt Schuster. Sein Team hat im Oktober noch ein paar Tage im Süden Europas ausgespannt, danach setzte Wellinger seine Wiederholungen auf der Trainingsschanze in Oberstdorf fort.

Seiner rätselhaften Sprungform wird das Programm gefallen haben. Er selber sagt, sie sei schon länger nicht mehr so unterirdisch wie im Sommer, und wer weiß - vielleicht entfaltet sie sich diesmal früher im Winter. Vielleicht zur Tournee, vielleicht bei der Skiflug-Weltmeisterschaft in Oberstdorf, vielleicht auch erst im Februar, zu Olympia. Man muss es passieren lassen.

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