Eigentlich war alles ganz einfach. Einen einzigen letzten Sprung zum Abschluss von vier Tourneestationen musste er noch ohne Macken herunterbringen. Einen Vorsprung von zirka 16 Metern hatte er ja gehabt, als unten die norwegischen Fahnen und auch etliche andere geschwenkt wurden. Ein besonderer Moment ist das immer, wenn der letzte von 320 Erstdurchgangs- und Finalsprüngen nach vier Tourneestationen bevorsteht; da kann viel Nervosität im Spiel ist, können noch entscheidende Fehler passieren. Doch Halvor Egner Granerud aus Asker im Süden Norwegens dachte gar nicht an Sicherheit.
Der Führende hat dann eine seiner typischen Darbietungen durchgezogen. Er stürzte sich nach oben und zugleich nach vorne, justierte sodann schnell und ohne Tempoverlust seine Reiseposition und erreichte eine Geschwindigkeit, so hoch, dass Graneruds typische Schräglage mit hängendem rechten Ski und justierendem linken Arm den Flug auch nicht bremsen konnte. Vielleicht wollte er noch einmal ein Statement setzen, nach dem zweiten Platz zuvor in Innsbruck, wo sein Vorsprung auf gut 13 Meter geschmolzen war. Vielleicht aber kann er auch nicht anders, als immer derartig skizuspringen, nämlich in diesen spektakulären Rechtsdriften, als würde er von einer unsichtbaren Strömung ans Ufer getrieben. Am Ende der 71. Tournee lag er in der Gesamtwertung deutlich vor dem Polen Dawid Kubacki (33 Punkte zurück) und Anze Lanisek (62,2) aus Slowenien, gemeinsam bildeten sie jenes Trio, das diese Tournee beherrschte.
Für die Deutschen brachte der Schlussabend Licht und Schatten. Einerseits hatten die beiden sonst besten Springer von Bundestrainer Stefan Horngacher, Karl Geiger und Markus Eisenbichler, noch nicht wirklich eine Tendenz nach oben gezeigt; auf der besonders langen Anfahrtsspur gelang ihnen nicht der Schwung, der für einen guten Flug erforderlich war. Karl Geiger, der über die Lucky-Loser-Regel ins Finale fand, bekam ähnlich wie in Innsbruck zu wenig Luft unter die Skier: "Jetzt ist langsam der Ofen aus. Ich bin froh, dass es heimgeht, es waren lange Tage", sagte Geiger. Andreas Wellinger gab mit abklingendem Magendrücken sein Bestes, mehr als Platz 20 wurde es aber nicht. Und Weggefährte Markus Eisenbichler verpasste abermals den Finaldurchgang, der überwiegende Rest der Mannschaft konnte keinen entscheidenden Lichtblick dagegensetzen.
Gar keinen? Doch, denn da war ja noch Philipp Raimund, der 22-jährige Oberstdorfer, dessen Senkrechtstart in den Weltcup nun in Bischofshofen weiter nach oben ging. Seine Platzierungen bei dieser Tournee: Oberstdorf 14., Garmisch-Partenkirchen 15., Innsbruck 13., und Bischofshofen: Platz 12. "Ich hätte nie gedacht, dass ich auf meiner ersten Tournee so stark springen kann", sagte er. Und "nie gedacht" hätte er auch nicht, dass er "ausgerechnet auf den beiden Tournee-Schanzen, die ich am wenigsten leiden kann, die besten Sprünge mache."
Im Finale dagegen hatten die drei Besten dieses bisherigen Winters die Show für sich alleine. Stefan Kraft, der lange dieses Trio zu einem Quartett ergänzt hatte, der 20 Autominuten von Bischofshofen groß geworden war, hatte am Ende nicht mehr die Energie vor seinen zahlreichen Fans seine Klasse zu bestätigen. Nach gutem ersten Durchgang fehlten ihm doch mindestens zehn Meter im Flug. Auch dieser erfahrene Skispringer sprang zu früh und zu aggressiv ab, "wollte zu viel", wie es immer heißt, und fiel dann entsprechend zu früh bei 127,5 Meter wieder herunter. Stark waren dagegen die beiden Österreicher Michael Hayböck und Jan Hörl, die in der Tageswertung auf die Plätze vier und fünf kamen.
Weil Dawid Kubacki schon im ersten Durchgang, vielleicht auch wegen einer Anlaufverkürzung, zu kurz gesprungen war, bot sich Lanisek die Chance, sich davor zu setzen. Der Springer, der seine Gesamtsieg-Chancen schon in Oberstdorf vergeben hatte, setzte sich mit zwei fabelhaften, symmetrischen und weit geöffneten Skiflügeln auf Platz zwei. Dann aber wusste er - Granerud wartet noch oben, jener Springer der keine halben Sachen macht.