Süddeutsche Zeitung

Karl Geiger bei der Vierschanzentournee:Fröhlicher als der Sieger

  • Karl Geiger wird beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee Zweiter hinter dem großen Favoriten Ryoyu Kobayashi.
  • Für den deutschen Springer ist es eine Erlösung, denn in seinem Heimatort hat er "schmerzhafte Erfahrungen machen müssen".
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Vierschanzentournee.

Von Lisa Sonnabend, Oberstdorf

Karl Geiger legte bei der Siegerehrung den Kopf in den Nacken, er blickte in den Himmel. Der war so dunkelschwarz, wie er es nur im Gebirge ist. Die Umrisse des Schattenbergs waren nicht mehr zu erkennen, nicht einmal die Kabel der Nebelhorn-Gondelbahn. Doch Karl Geiger wusste genau, wo er war. Er war zu Hause - und es fühlte sich gut an.

Jedes Jahr treffen sich die besten Skispringer zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf, dem Heimatort von Geiger. Doch bislang endete der Wettkampf für den 26-Jährigen jedes Mal enttäuschend. Im vergangenen Jahr reiste er als Mit-Favorit an, aber als abgeschlagener Zwölfter weiter zur zweiten Station in Garmisch. Doch an diesem Sonntagabend hielt er dem Druck der Erwartungen stand. Als Dritter im Gesamtweltcup ging er in die Tournee, beim Auftaktspringen belegte er einen starken zweiten Platz und hat nun sogar Chancen, den wichtigsten Skisprung-Wettbewerb zu gewinnen.

"Das Publikum war Hammer, ich bin megaglücklich, das wird mir immer im Gedächtnis bleiben", sagte Geiger nach dem Wettkampf. Wenn sich Geiger oben auf der Schanze zum Sprung bereitmachte, lärmten die Zuschauer im Oberstdorfer Stadion besonders laut, sie tröteten, sie schwenkten die Fahnen wild. Doch Geiger ließ sich von dem Trubel nicht beirren. Seinen ersten Sprung landete er nach 135 Metern, das bedeutete Platz zwei nach dem ersten Durchgang. Als er beim zweiten Sprung 134 Meter geschafft hatte, wedelte er mit seinem Zeigefinger durch die Luft, er schrie laut auf. Teamkollege Markus Eisenbichler kam angerannt und umarmte ihn überschwänglich. Geiger übernahm die Führung, der immense Druck fiel von dem Allgäuer ab. Am Ende überholte ihn nur der große Favorit Ryoyu Kobayashi - doch das war nahezu egal.

"Ich habe in Oberstdorf schmerzhafte Erfahrungen machen müssen"

Im Stadion klopften Geiger zahlreiche Menschen auf die Schulter. "Viele Helfer kenne ich", erzählte er später. "Sie waren entweder in meiner Klasse, in meiner Parallelklasse oder sind die Eltern von Bekannten." Durch die Gassen des Ortes zogen noch lange nach dem Wettkampf die Fans, sie grölten, als wäre er ein Fußballer: "Kaaaaarl Geiger."

Auf der Pressekonferenz sah Geiger fröhlicher aus als der Gewinner. "Ich habe in Oberstdorf schmerzhafte Erfahrungen machen müssen", sagte er. "Aber daraus habe ich gelernt." Bundestrainer Stefan Horngacher berichtete, sein derzeit bester Springer sei sehr angespannt gewesen in den vergangenen Tagen. "Wenn du Lokalmatador bist, musst du die Karre ganz allein aus dem Dreck ziehen." Er habe ihn deswegen nicht mit Anweisungen überfrachtet, nur kleine Anregungen gegeben. Es klappte. Geiger blieb fokussiert.

Wie fast alle Kinder in Oberstdorf begann Geiger früh mit dem Skifahren. Als er sechs Jahre alt war, sprang er bei einer Skiclub-Meisterschaft erstmals von einer Schanze. Er war begeistert. Weit zum Training hatte er es fortan nicht, die Wohnung seiner Eltern lag in der Mitte zwischen der Oberstdorfer Skisprung- und der Skiflugschanze. Geiger machte schnell auf sich aufmerksam, doch in seiner Karriere musste er auch Dämpfer verkraften. 2014 wurde er vom A- ins B-Team versetzt, er musste beim zweitklassigen Continental Cup antreten, während seine Teamkollegen von Olympia in Sotschi mit der Goldmedaille aus dem Teamwettbewerb heimkamen.

Doch Geiger kam zurück, steigerte sich in den vergangenen Jahren langsam, aber kontinuierlich. 2018 in Pyeongchang holte er Silber mit dem Team. Im Dezember 2018 gewann er in Engelbert seinen ersten Weltcup, ein weiterer Sieg folgte im Februar 2019 in Willingen. Kurz darauf wurde er mit dem Team Weltmeister in Seefeld.

Zuletzt feilte Geiger an seiner Technik, arbeitete an der Anfahrtshocke, er ist nun noch dynamischer. Zwar hat er in dieser Saison noch keinen Weltcup gewonnen, aber er kam in allen sieben Springen unter die besten Sieben. Geiger kann sich auf seine Konstanz verlassen. Sogar wenn der Druck groß ist, wie er nun weiß.

An diesem Montag reist der Vierschanzen-Trupp weiter nach Garmisch-Partenkirchen, danach stehen noch die Springen in Innsbruck und Bischofshofen an. Horngacher sagte in Oberstdorf: "Wenn Geiger gut springt, ist keine Schanze für ihn ein Problem." Geiger kündigte an: "Wir werden wieder Attacke geben."

Vor 18 Jahren konnte Sven Hannawald als letzter deutscher Springer die Tournee gewinnen. Ob es nun Geiger gelingt? Kobayashi zu bezwingen, dürfte extrem schwierig werden. Der Japaner, der zu Beginn der Saison etwas schwächelte, wirkt nun wieder locker, seine Sprünge haben etwas Selbstverständliches und Unbeschwertes. In der vergangenen Saison gewann Kobayashi alle vier Tourneespringen, in Oberstdorf holte er nun den fünften Tournee-Sieg in Serie. Sein Puffer auf Geiger beträgt bereits 9,2 Punkte, etwa fünf Meter. Aber Horngacher prophezeite am Sonntagabend: "Irgendwann macht auch der Kobayashi einen Fehler."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4739907
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/tbr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.