Favoriten der Vierschanzentournee:Kobayashi macht's spannend

Ryoyu Kobayashi

Fliegt er wieder allen davon? Ryoyu Kobayashi ist einer der Favoriten auf den Sieg bei der Vierschanzentournee.

(Foto: dpa)
  • Im Verlauf der Skisprung-Weltcupsaison hat sich wie immer ein Favoritenkreis für die Vierschanzentournee gebildet.
  • Vier Kandidaten sprangen nach vorne, der Kreis muss aber wegen wechselnder Witterungsbedingungen und Formschwankungen nicht vollständig sein.

Von Volker Kreisl

Mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnt am Samstagnachmittag die 68. Vierschanzentournee. Im Verlauf der Skisprung-Weltcupsaison hat sich wie immer ein Favoritenkreis gebildet. Vier Kandidaten sprangen nach vorne, der Kreis muss aber wegen wechselnder Witterungsbedingungen und Formschwankungen nicht vollständig sein. Näheres weiß man am Sonntag nach dem Springen ab 17.30 Uhr.

Neo-Japaner

Ryoyu KOBAYASHI JPN Aktion Einzelbild angeschnittenes Einzelmotiv Portraet Portrait Porträt Skis; 4ST

Ryoyu Kobayashi.

(Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago)

Seine Entwicklung verlief schnell, trotzdem brauchte er noch eine Saison. Und dann folgte ein ganzer Sommer, in dem die Experten auf ihren Beobachtungsposten neben den Schanzen schon raunten und später erklärten, sie hätten es da schon gesehen: Dieses überragende Talent, das dieser 22-Jährige habe, dieser großartige Absprung, als gebe es kein Umschalten von Kraft auf Gefühl, von Sprung auf Flug. Nur die richtige Vollendung hatte damals eben noch nicht gepasst.

Schneller als gedacht, in der folgenden Saison schon, hatte sich der Schmetterling Ryoyu Kobayashi dann entpuppt, und er flog allen davon. Er gewann die Tournee 2019 mit vier Siegen in vier allen Springen, er gewann die Raw-Air-Serie in Norwegen, er gewann die Gesamtwertung des Weltcups. Heute ist er 23 und mit inzwischen 15 Siegen ganz gut in der Spur, um die restlichen 39 ersten Plätze zu gewinnen, mit denen er Gregor Schlierenzauers 53 Weltcupsiege überbieten würde.

Nur, mit einer Entpuppung ist ein Talent eben auch dem echten Leben ausgesetzt. Und Ryoyu Kobayashi musste danach auch die üblichen Erschwernisse des jungen Topstars bewältigen: die Verantwortung für eine junge Mannschaft, die Ambitionen seines Klubs Tsuchiya Home Ski Team, zudem seines Heimatverbandes, der gerne wieder den Ruhm der Neunzigerjahre zurückhätte, die Zeit von Noriaki Kasai, Kazuyoshi Funaki und Hidaharu Miyahira, dem heutigen Teamcoach. Kobayashi begegnete dem Druck auf die naheliegende Art: Er flog darüber hinweg. Er lächelte in Pressekonferenzen und antwortete höflich, aber nichtssagend. Er erklärte auf bohrende Fragen nach seinem Wesen: "Ich bin ein Neo-Japaner", was nicht ernst gemeint war und übersetzt vielleicht hieß: "Was weiß ich, was für ein Typ ich bin, Skispringer halt, momentan läuft's gut."

Und er dachte vermutlich die meiste Zeit ans Fliegen, denn sein Sprung wurde immer besser.

Dennoch, auch in seiner großartigen Saison 2018/2019 verpasste Kobayashi im Februar einen Sieg bei der Weltmeisterschaft, und nun ist er zwar Gesamt-Erster im Weltcup, hat aber erst zwei Siege, wenngleich er stets unter den besten Sechs war. Bei jedem anderen würden die Konkurrenten da von einem Top-Favoriten sprechen, bei Kobayashi heißt es mit dezenter Erleichterung: Er ist nicht ganz unerreichbar. Der Neo-Japaner macht's spannend.

Losgelöst

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Stefan Kraft.

(Foto: imago)

Skispringen ist eine Frage des richtigen Timings. Skispringer wissen exakt, wann sie im Ruheraum des Schanzenturms noch einen letzten Riegel vertilgen, wann sie die Schuhe schließen und auf dem Absprungbalken Platz nehmen, auf welchem Punkt der Spur sie sich in den Wind werfen und wann es fällig wird zu landen.

Alles hat seinen Zeitpunkt, nur die Skispringer-Form, die macht, was sie will. Die wird von der Psyche bestimmt, tief drinnen im Unterbewusstsein. Meistens verspätet sie sich und kommt gegen Ende des Winters daher, und manchmal steht sie plötzlich vor der Tür: Stefan Kraft beschreibt es so: "In Nischni (Nischni Tagil, Weltcuport in Russland, Anm.) ist mir die Handbremse aussi-g'ruckt, und dass es in Klingenthal gleich so weitergeht, mit Mut und Herz und viel Vertrauen, das hat mir dann richtig getaugt." Um nicht zu sagen: "Das war echt geil."

Stefan Kraft aus Schwarzach im Pongau, Doppel-Weltmeister und Bester im Weltcup 2017, ist ein Wintersportler, wie ihn sich jeder Trainer wünscht: gut gelaunt, teamfähig, nie unterzukriegen. Vor sechs Jahren hat der Krafti, wie er eigentlich heißt, die Tournee gewonnen, nun ist er wieder einer der Favoriten, einer, dem die Auftakt-Schanze in Oberstdorf bestens liegt. Die Handbremse blieb jedenfalls draußen bei ihm, und Kraft konnte sich so früh in der Saison austoben wie nie. Dem Nischni-Sieg folgten zwei zweite Plätze, bei seinem Rückschlag zuletzt in Engelberg hatte er wegen des Windes Pech.

Als Glück empfindet er dagegen die derzeitige Verfassung seines Teams. Das ist unter dem neuen Trainer Andreas Felder zusammengewachsen, auch Gregor Schlierenzauer erlebt gerade eine zarte Renaissance, in Nischni wurde er Vierter. Am Abend werden im Hotel Witze gerissen, "und jeder", sagt der Krafti, "nimmt den Schmäh mit einem Lächeln". Vier Österreicher sind unter den besten Elf, man schaukelt sich gegenseitig hoch, und nun weiß man wohl gar nicht, was zuerst da war, der Erfolg - oder der Schmäh? Wahrscheinlich der Schmäh.

Wind-Spieler

Skisport Nordisch 22 10 2018 39 FORUM NORDICUM FISCHER Abend Kamil STOCH POL Skispringen Foto Eberha; 4ST

Kamil Stoch.

(Foto: Eberhard Thonfeld/Imago)

Seit acht Jahren zählt Kamil Stoch zu den besten Skispringern. Seit dieser Zeit ist er auch dafür bekannt, die Dinge aus der Distanz zu beobachten und seine Form in aller Ruhe zu perfektionieren. Stoch hält sich lange im Hintergrund, wie ein Langläufer im großen Feld, der fast schon geschlagen wirkt, aber im entscheidenden Moment die Skispitze vorne hat. Der Pole hatte in der Saison 2017/2018 fast alles gewonnen. Ein Dominator über mehrere Winter war er jedoch nicht, auch wegen Verletzungen. Was ihn indes auszeichnete, war seine Top-Form zu den Höhepunkten.

Nützlich ist ihm dabei die Fähigkeit, sich von widrigen Umständen motivieren zu lassen, viele Trainer bewundern seine Möglichkeiten, mit den Elementen in der Luft umzugehen. Dass man Stoch nie abschreiben sollte, unterstrich insbesondere der Auftakt zu seinem Tourneesieg 2018, als er in der Qualifikation von Oberstdorf 28. wurde, dabei allerdings mächtigen Rückenwind auf den Schultern trug. Zehn Tage später hatte er die Tournee gewonnen - per Sieg auf allen vier Stationen.

Drei Olympiasiege in Einzelspringen holte er insgesamt, zwei WM-Titel und zwei Tournee-Gesamtsiege. Während andere in langen Formkrisen versinken, verarbeitet Stoch Rückschläge schnell. In der aktuellen Saison belegte er die Plätze 3, 16, 9, 15, 10, das ist nicht schlecht, aber doch weit weg von Siegerweiten, wie es halt bei 32-jährigen Sportlern vorkommt: Jüngere werden besser, die Welt dreht sich weiter.

Doch dann: Vor einer Woche, in seiner 15. Weltcupsaison, da tauchte er auf wieder auf: Kamil Stoch gewann in Engelberg, mit zwei weiten Flügen. Und weil dies sein 34. Weltcupsieg war, womit er Jens Weißflog überholte, den großen Segler der Achtziger und Neunziger, war wieder klar: Mit Stoch-Siegen muss man schon seit einem Jahrzehnt rechnen. Wie nur, wie konnte man das schon wieder vergessen?

Aufsauger

Favoriten der Vierschanzentournee: Karl Geiger.

Karl Geiger.

(Foto: Thomas Kienzle/AFP)

Richtigerweise müsste dieser Name auf Platz drei dieser Liste stehen, schließlich ist Karl Geiger Dritter im Gesamtweltcup. Aber weil ihm dies erst in Engelberg gelang, weil die Windverhältnisse dort unberechenbar waren und zum Beispiel der Norweger Daniel Andre Tande schwer zu kämpfen hatte, geht das wohl in Ordnung. Außerdem sagt Geiger selber, er fühle sich zwar gut, "aber für einen richtig guten Sprung muss ein bisschen mehr zusammenstimmen". Das sind durchaus Chancen, aber Außenseiterchancen.

Geiger, 26, hat früh gelernt, dass er arbeiten muss, um aufs Podium zu kommen und seine Erfolge waren redlich verdient. Olympiasilber gewann er mit dem Team 2018, WM-Zweiter wurde er 2019 in Innsbruck, zudem Team- und Mixed-Gewinner. Vor einem Jahr war er schon einmal die Weltcupliste weit hinaufgeklettert und machte sich Hoffnungen auf die Tournee. Hatte er nicht als Oberstdorfer beim Auftakt ein exklusives Heimspiel? Doch dabei kam er nicht weit, seine Tourneechancen waren bald verflogen.

Deshalb geht Geiger die Dinge heute anders an. Entscheidend ist für ihn die Ausarbeitung der Kernelemente seines Sprunges. Und da hat er mit der Justierung seiner Anfahrtshocke einen großen Schritt nach vorne gemacht. Lange hat er trainiert, heute sagt Geiger: "Wenn die Hocke stimmt, ist die Chance auf einen guten Absprung hoch, und dann komme ich in Flugform." So stabil wie bislang in dieser Saison war er noch nie. Geiger war immer unter den besten Zehn und zweimal auf dem Podium. Vor der nächsten Vorführung vor Oberstdorfer Publikum, in dem er mehr Menschen kennt, als die meisten anderen zusammen, da geht er tief in die Hocke: "Ich werde die Kulisse aufsaugen, aber mich nicht ablenken lassen."

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