Helden tragen goldene Anzüge. Und sie schenken tolle Sachen. Jedenfalls musste dies der junge slowenische Skispringer Anze Lanisek im Winter 2005, bei der Weltmeisterschaft in Oberstdorf, fortan glauben. Denn sein Held machte ihm das schönste Geschenk.
Neun Jahre war Lanisek damals alt, Kinder vergessen so etwas nicht, sie werden älter, aber die Motivation aus diesem Geschenk wirkt lange nach. Laniseks Held damals hieß Rok Benkovic, dessen Klub war ebenfalls der SSK Menges, aus der Kleinstadt nicht weit von Ljubljana. Benkovics Karriere endete kurz nach diesem WM-Erfolg. Die Goldmedaille behielt er, den goldenen Anzug gab er Anze.
Auch diese Motivation trug ihn neben anderen Erlebnissen spät noch in die Weltspitze. Laniseks große Zeit hat, wenn sie denn noch länger dauert, gerade erst begonnen, in diesem Winter. Aktuell ist er einer von denen, die gute Chancen auf das Siegerpodest und sogar noch kleine Chancen auf den Gesamtsieg bei dieser Vierschanzentournee haben. Anders als der vor dem dritten Tournee-Springen in Innsbruck nahezu gleich weit distanzierte Deutsche Andreas Wellinger war Lanisek als Zweiter in Garmisch-Partenkirchen mit einem sehr weiten Flug der Spitze wieder näher gekommen. Und dem 26-Jährigen sind weitere große Sprünge zuzutrauen. Sein Patzer, der ihn zuvor in Oberstdorf zurückgeworfen hatte, entsprang weniger eigenen Fehlern, sondern schlechten Bedingungen: Er war der Erste in einer Phase mit stärkerem Rückenwind, auf den die Jury erst nach Laniseks Sprung reagierte, indem sie den Anlauf streckte.
Als Junge schmiss er den Helm weg und feuerte die Ski in den Schnee
Dass es so lange dauerte, bis er diese höchsten Fähigkeiten erwarb, hatte mit den Hemmnissen des Skispringens zu tun, mit Malaisen und den üblichen rätselhaften Formtiefs. Darüber hinaus war schon früh deutlich geworden, dass sich Lanisek selbst im Weg stand. Wie die slowenische Zeitung Delo berichtete, war Lanisek schon als Junge keiner dieser Schüler, die dem Skilehrer stets Freude bereiten. Obwohl das beispielsweise im Sprungsport absolut verpönt ist, machte der heranwachsende Lanisek seinem Zorn über kurze Sprünge Luft. Er schmiss den Helm in den Schnee oder feuerte die soeben abgeschnallten Skier von sich.
Damit stört man oft nur das innere Gleichgewicht, andererseits hatte diese impulsive Seite wohl auch Vorteile, denn Lanisek wusste, was er wollte, und sorgte dafür, dass er dies auch bekam. Reporter aus seiner Heimat erinnern sich noch, wie er mit 13 Jahren einmal die Ferien an der Küste verbringen sollte, um zu baden, zum Spielen, zur Erholung. Alle Kinder waren glücklich und stürzten sich ins Wasser, nur Anze vermisste das Springen. Nach drei Tagen brachte ihn sein Begleiter zurück nach Menges, an die Mattenschanze.
Das bedeutet viel Stress für sein Umfeld, aber sein Umfeld war auch längst von seinem Talent überzeugt, weshalb sich sein Jugendtrainer Ales Selak mit ihm besonders befasste. Für Lanisek erschien offenbar eine Spezialmethode optimal, die mit den Eiern.
"Ich denke nicht über den nächsten Sprung nach", sagt Lanisek
Um seine Aufwallungen zu bändigen, als Übung zur Konzentration und überhaupt für ein sensibles Körpergefühl, sollte Lanisek im Training mit speziellem Ballast fliegen, nämlich mit einem Ei in der rechten und einem in der linken Hand. Die Aufgabe bestand darin, einen guten Sprung vorzuführen und gleichzeitig beide Eier heil nach unten zu bringen. Als Lanisek nach den ersten Versuchen unten ankam, war überhaupt nichts in seinen Händen, auch keine Ei-Schale-Masse, denn er hatte oben auf der Schanze die ganze Schachtel weggeworfen.
Offenbar hatte Lanisek schon früh eine starke eigene Überzeugung, die ihm zwar viele Auseinandersetzungen bescherte, die ihn trotz Rückschlägen aber an den Erfolg glauben ließ. So gewann er mit 15 Jahren das Springen beim European Youth Olympic Festival (EYOF), womit eine Karriere voller kurzer Höhen und langen Tiefen startete, die nun womöglich endlich in einer längeren Erfolgsphase mündet.
Lanisek sagt, er plane seine Sprünge nicht, er setze sich keine Ziele und jage keinem Ideal hinterher. "Ich denke nicht über den nächsten Sprung nach", erklärte er zuletzt, alles andere müsse sich von selbst ergeben. Bislang ist dieser Nicht-Plan voll aufgegangen. Und diese Haltung gilt ja nur für den nächsten Sprung. Ansonsten hat Lanisek durchaus feste Pläne. Zum Beispiel wird er wohl, wie es Brauch ist in Slowenien, seine alten Sprungkleidung nach der Saison an die Vereine weitergeben, damit die Eltern aus dem speziellen Stoff neue Anzüge für die Jugendspringer schneidern können. Und sollte Anze Lanisek am Ende dieser Tournee sogar einen Sieganzug tragen, so wird er ihn vielleicht einem Kind vermachen, vielleicht einem Neunjährigen.