SZ: Die Bindungsdebatte begann bei Olympia, als Simon Ammann plötzlich eine neue Bindung hatte und dominierte. Es gab Proteste, doch laut Fis entsprach die Bindung den Regeln - und sie hat die Regeln im Sommer auch nicht im Sinne der Protestierer verändert. Warum?
Seit 35 Jahren im Skisprung-Geschäft: Toni Innauer, 52.
(Foto: imago sportfotodienst)Innauer: Mir hat die ganze Geschichte zwei Dinge gezeigt. Erstens: Wie wichtig Materialregulative sind. Zweitens: Dass man die Reglements im Sport von Außenstehenden kontrollieren lassen sollte, die nicht absolutistisch die Gesetze schaffen und sie gleichzeitig selber überprüfen. Im Skispringen wäre das ein außenstehender TÜV, der die in den Gremien festgesetzten Regeln kontrolliert und darüber unabhängig entscheidet. In Vancouver ist es einfach sehr unpopulär gewesen, gegen den sympathischen Ammann zu entscheiden. Und jetzt meinen eben manche, es tut dem Image des Skispringens gut, wenn mehr Ingenieurskunst einfließt. Vielleicht ist es so. Ich glaube, dass die Unberechenbarkeiten größer sind. Ich wäre dafür gewesen, das zu diskutieren und die Bindung auf sehr einfache Dinge zu reduzieren.
SZ: Geht die jüngste Entwicklung zu einem athletischeren Springen und gegen die Vorteile der Leichtgewichte wieder rückwärts durch die neue Bindung?
Innauer: Ich hätte das vermutet. Die Weltcup-Resultate lassen hoffen, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist. Es würde mich für den Sport freuen, wenn ich mich getäuscht hätte. Die Athleten, die vorne sind, kann ich unmöglich auf ihre Bindung reduzieren, die sind sprungtechnisch und von ihrer Kraft und Dynamik am Schanzentisch her exzellent. Man weiß nur nicht, ob das das Ende der Entwicklung ist. Wie kommen ganz junge superleichte Sportler damit zurecht? Das Horrorszenario wäre der Einsatz von 13-, 14-Jährigen Leichtgewichten im Weltcup. Je leichter und kleiner der Sportler ist, desto mehr profitiert er von der konstanten Skibreite, weil ja nur die Länge an die Körpergröße orientiert ist. Es wäre nicht undenkbar, dass ein technisch hervorragend entwickelter 14-Jähriger plötzlich mithalten könnte, auch wegen dieses offenen Bindungs-Reglements, weil er mit der Bindung den Ski im Flug plan führen kann. Durch die deutlich größere Segelfläche im Verhältnis zum Körpergewicht ergeben sich Vorteile bei der Nutzung der auftretenden Luftkräfte. Kinder an der Weltspitze tun keinem Sport gut. Und noch gibt es keine Regel, die Überehrgeizige in diesem Szenario bremsen könnte.
SZ: Österreich spielt in gewisser Weise den deutschen Boom zur Jahrtausendwende nach. Mit großem Aufwand, was die Betreuung der Sportler betrifft. Bringen die im ÖSV-System erzogenen Sportler noch Ihren Idealismus mit?
Innauer: Ich möchte mich nicht darauf festnageln lassen, dass ich der naive Idealist bin, der mit der Zeit nicht ganz mitkommt. Es geht immer um Schwerpunkte, um die Gewichtung. Wie viel lässt man sich jetzt ansaugen von den Bedürfnissen des Marktes, und wie sehr bleibt man am Boden. Da muss man den jungen Sportler ein bisschen mehr behüten. Es hat nun mal eine gewaltige Faszination, berühmt zu sein, dass man sehr leicht mal den Bezug zu sich verliert dabei.
SZ: Leben Sportler wie Olympiasieger Thomas Morgenstern oder Rekord-Weltcup-Gewinner Gregor Schlierenzauer noch nach den Werten ihres Sports?
Innauer: Letztlich kann man das erst beantworten, wenn sie mit dem Sport aufhören. Die Antwort jetzt lautet: Wer sich verliert in der Öffentlichkeit und im Getriebe, der wird nicht mehr gut skispringen. Es ist einfach notwendig, die Sache zu lieben, den Mut und die Besessenheit zu haben, äußerst eifrig zu trainieren, sonst verliert man sportlich den Anschluss. Dazu muss man bei sich bleiben.
SZ: Schaffen die Genannten das?
Innauer: Schlierenzauer (derzeit verletzt und im Weltcup weit zurück, d. Red.) ist jetzt in der Phase, wo dieser Beweis ansteht. Morgenstern hat schon einiges mitgemacht, der hat schon einen vermeintlich begabteren Jüngeren mittelfristig an sich vorbeiziehen lassen müssen, der war im Schatten und hat es wieder hoch geschafft. Das glückt den Wenigsten. Morgi hat sich schon mehrmals und erfolgreich zum Thomas gehäutet.
SZ: Österreich bringt weiterhin erstklassige Skispringer hervor. Was wird aus denen neben Morgenstern, Tournee-Titelverteidiger Kofler oder Schlierenzauer, die alle noch jung sind?
Innauer: Die arbeiten und hoffen unter starkem Selektionsdruck auf einen Einsatz, verschärft auch durch die Entscheidung der Fis, den Topnationen einen Startplatz zu streichen. Zukunftsszenario? Keine Ahnung. Bosman hat den Fußball verändert, ob etwas Ähnliches im Skispringen kommt, dass gut ausgebildete Sportler möglicherweise einen Nationenwechsel suchen - das kann ich nicht abschätzen. Aber das sind Ideenfelder, die sich plötzlich auftun könnten.
SZ: Auf dem Trainersektor ist es schon so, viele Nationen beschäftigen Finnen oder Österreicher.
Innauer: Deshalb gleichen sich auch die Systeme immer mehr. Den Unterschied machen dann die verfügbaren Talente. Da haben wir den Vorteil, dass wir schon vor 15 Jahren konsequent und mit viel Gefühl unterschiedlichste Nachwuchsinitiativen gestartet haben.