Skispringen:Schlierenzauer sucht die Freude am Sport

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Skispringer a.D.: Der Österreicher Gregor Schlierenzauer schaut derzeit bloß zu.

(Foto: Eibner/Imago)
  • Österreichs Rekord-Skispringer Gregor Schlierenzauer nimmt sich wegen Erschöpfung eine Auszeit.
  • Ob er bei der Vierschanzentournee starten kann, ist ungewiss.

Von Volker Kreisl, Engelberg

Einer fehlt. Österreichs Verband hat immer noch genügend Skispringer, und er reist mit seinen Siegkandidaten von Weltcup zu Weltcup, die springen, geben Pressekonferenzen. Und doch unterscheidet sich ihr Auftritt in diesen Zeiten von früher. Denn Gregor Schlierenzauer fehlt, und wenn der eine Auszeit nimmt, dann ist diese Abwesenheit spürbar.

Die Vierschanzentournee steht bevor, und im Mediengespräch beim Weltcup in Engelberg drehten sich viele Fragen um den mehrmaligen Weltmeister und Rekord-Weltcupgewinner. Cheftrainer Heinz Kuttin nimmt sich Zeit, spricht so offen wie möglich, kann aber keine befriedigenden Antworten geben im Falle eines irgendwie aus dem Rhythmus und auch aus der Begeisterung geratenen Weltklasse-Athleten, der jetzt erst mal, wie Kuttin sagt, "weg von den Schanzen ist".

Keine Diagnosen, keine Prognosen, keine Zeitlimits

Aber keine Diagnosen, keine Prognosen und auch keine Zeitlimits zu bieten, das ist in Schlierenzauers Fall die verantwortungsvollste Methode. Wird er bei der Tournee dabei sein? "Ich kann es nicht sagen", sagt Kuttin. - Bis wann wollen Sie Bescheid wissen? "Bei der Mannschaftsführersitzung in Oberstdorf. Da muss das Team genannt sein." - Das ist sehr knapp! "Natürlich. Das macht uns das Leben nicht leichter. Aber es gibt in dieser Situation für mich kein Ablaufdatum." - Haben Sie Kontakt zu ihm? "Wenn ich das Gefühl hab', ruf' ich ihn an; wenn er will, ruft er mich an." - Ist er erschöpft? "Sicher. Das ist er sicher gewesen, weil er so akribisch gearbeitet hat." - Muss man von einer Vorstufe zum Burnout sprechen? "Ich bin kein Arzt, aber er ist in medizinischer Behandlung, ich habe klargemacht, dass wir in dieser Situation Gewissheit brauchen."

Schlierenzauer hat vor ein paar Tagen in seinem Internet-Blog geschrieben: "Die vergangenen Tage haben mir mentale Energie wieder gegeben, jetzt gilt, es den Hunger und die Freude an der Sache zu maximieren." Aus seinem Umfeld wird Entwarnung gegeben.

Markus Prock, sein Onkel und Manager, sagte der Tiroler Zeitung, Schlierenzauer werde bald die ersten Trainingssprünge machen, "er ist fest entschlossen, bei der Tournee zu starten". Toni Innauer, Olympiasieger und langjähriger Wegbegleiter, hat Schlierenzauer kürzlich getroffen. Er glaubt nicht an einen Burnout, "sonst bekommst du nicht solche Leistungen wie seine derzeitigen athletischen Werte: Die sind hervorragend".

Der Cheftrainer will Klarheit und macht sich durchaus Sorgen um seinen Athleten, der Athlet und das Umfeld achten darauf, dass die Sache nicht zu hochgehängt wird. Insgesamt steht es vielleicht auch gar nicht so bedenklich um Schlierenzauer, wie es bei einem konsequenten Abtauchen zunächst wirkt. Unbegründet sind Kuttins Sorgen dennoch nicht.

Trainer Kuttin will ihn auch ohne aktuelle Leistungsnachweise wieder im Team aufnehmen

Denn das Skispringen ist ein Sport, der hin und wieder Fälle von Motivationsstörungen und auch von Depressionen hat. Er gibt dem Körpergewicht Grenzen vor, er unterliegt oft technischen Neuerungen, und er ist zuletzt rasant gewachsen, präsentiert heute eine imposante Gruppe von Siegspringern. Das ist förderlich für alle möglichen Quoten, aber auch eine Herausforderung für das Selbstbewusstsein - sogar eines Rekord-Athleten, der sich niemandem mehr etwas beweisen muss.

Schlierenzauer hat zwei harte Jahre hinter sich. Bei den Olympischen Spielen in Sotschi blieben die Österreicher hinter den Erwartungen zurück, im Sommer darauf gab es einen Trainerwechsel, zudem stieg der 25-Jährige verspätet auf das neue Bindungssystem um.

Er fiel zunächst zurück, zeigte dann mit seiner Medaille bei der WM in Falun, dass er trotz Rückständen zu Höchstleistungen fähig ist und hoffte für den Winter 2015/2016 wieder auf Stabilität. Den letzten Grand Prix des Sommers gewann er souverän, doch in den ersten Weltcups des Winters wurde er dann 14., 18. und Elfter und da, sagt Kuttin, "ist für ihn wahrscheinlich irgendwo ein Kartenhaus zusammengebrochen".

Top-Athlet, der die anderen mitträgt

Die Mannschaft könnte einen wie Schlierenzauer durchaus gebrauchen, einen Top-Athleten, der die anderen mitträgt, allein schon durch seine Ausstrahlung als Dauer-Winner. Denn auch die zwei anderen Hochkaräter des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV), Stefan Kraft und Michael Hayböck, Erster und Zweiter der Vierschanzentournee 2015, suchen noch nach jenem Optimum, ohne das man nicht mehr auf das Podium kommt. "Wenn du heute einen verhaust, bist du nicht mehr dabei", sagt Kuttin: "Da sind so viele gute Skispringer, da hast du keine Chance, auch nicht Gregor."

Aber Schlierenzauer wartet momentan noch darauf, dass ihn die Freude an seinem Sport wieder packt. Vielleicht sitzt er kommende Woche in Oberstdorf beim Tournee-Auftakt auf dem Balken, vielleicht fliegt er danach sogar ganz weit nach vorne, was wohl ein Riesen-Happy-End ergäbe.

Vielleicht verlängert er aber auch die Auszeit von seinem Sport und entzieht sich dessen Mechanismen für längere Zeit. In jedem Fall dürfte ihm die Einstellung seines Trainers Kuttin helfen, der ihn ohne aktuelle Leistungsnachweise im Team wieder aufnehmen würde. Schlierenzauer brauche jetzt "das komplette Vertrauen", sagt Kuttin, "deswegen ist es wichtig, dass wir ihn dann alle unterstützen, wenn er sagt, ich bin wieder da."

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