Daniela Iraschko-Stolz:Große Freiheit auf der Schanze

Daniela Iraschko-Stolz: Die Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz beendet ihre Skisprung-Karriere.

Die Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz beendet ihre Skisprung-Karriere.

(Foto: Christian Walgram/GEPA pictures/Imago)

Skispringerin, Fußballerin, Freigeist: In Daniela Iraschko-Stolz tritt nicht nur eine Olympiazweite und große Skispringerin zurück - das Leitmotiv ihrer Karriere war es, Grenzen zu sprengen.

Von Volker Kreisl

Der Sprung zurück, in die Anfänge des Berufslebens, kann weit sein. Bei Daniela Iraschko-Stolz ist es schon schwer, diese genau zu orten. Jedenfalls war es noch im Grundschulalter, in dem Schülerinnen Poesiealben pflegen und dort ihren heimlichen Berufswunsch hineinschreiben: Ärztin, Bäckerin, Mondfahrer, Erfinder. Die achtjährige Iraschko schrieb: "Ich will zu Olympia."

Und wenn sie etwas wollte, dann trat es auch ein, bei Iraschko-Stolz sogar doppelt. Sie wurde Fußballerin in der höchsten Liga Österreichs und noch mehr. Ihre Skisprungkarriere, die teils parallel zum Fußball verlief, machte sie im Wintersport weltbekannt. Weniger wegen ihrer Erfolge, etwa der Silbermedaille bei Olympia 2014 in Sotschi hinter der deutschen Carina Vogt, sondern wegen ihrer Hartnäckigkeit. Trotzdem hat sie in den vergangenen Wochen erkannt, dass es nicht weitergeht, ihr Körper konnte die Belastungen dieses Sports immer weniger verarbeiten. Nun hat sie ihre lange Karriere beendet.

Der Trainer wollte sie nicht übernehmen, dann wurde er ihr größter Fan

Die Frage zunächst war: Geht das? Kann man gleichzeitig Fußballtorhüterin und Skispringerin sein? Eigentlich nicht. Der Fußball will dicke Schenkel und einen robusten, muskulösen Körper, das Skispringen fordert Sprungkraft und ansonsten möglichst wenig Gewicht. Man müsste also im Sommer stark wie ein Gorilla sein und im Winter leicht wie eine Möwe, eigentlich undenkbar, nicht aber bei Iraschko.

Das Thema ihrer Karriere, ihres Lebens war es, Grenzen zu sprengen. 1995, im 4000-Einwohner-Örtchen Eisenerz in der Steiermark. Ein Skiort mit Skisprungschanzen in einem nahegelegenen Hochtal - aber auch noch mit gewissen Werten der Elterngeneration. Skispringen war nichts für Mädels, Langlauf schon, basta. Langlauf war aber nichts für Iraschko, das machte schon ihre Schwester, außerdem war sie zu klein dafür, überhaupt - sie wollte nicht laufen, sie wollte springen. Das Unfairste, erzählte sie vor zwei Jahren: "Alle Jungs dürfen skispringen, aber ich nicht." Iraschko war noch klein, hatte aber die Willenskraft einer Zwölfjährigen, die gerade die Welt entdeckte. Sie gab keine Ruhe, bis erst die Mutter nachgab und dann noch der Trainer des Skiklubs, "der", wie sie später sagte, "heute mein größter Fan ist."

In der Zeit, in der Iraschko von den Übungsschanzen sprang, spielte sich eine größere Revolte ab. Iraschko war ja nicht die einzige zunächst frustrierte Skispringerin. Auch in Deutschland waren längst junge Frauen skigesprungen, ernsthafte Serien wie einen Weltcup oder gar Weltmeisterschaften waren aber undenkbar. Ein Zeichen musste gesetzt werden. Deshalb überrumpelte eine Gruppe von 17 Frauen uneingeladen die Veranstalter bei der Junioren-WM 1998 in St. Moritz, um die erste Skisprung-Weltmeisterin zu küren. Der Weltverband Fis gab nach, die Finnin Heli Pomell gewann - die 17 Eindringlinge nach Hause zu schicken, war wohl fürs Fis-Prestige zu riskant. Diese Art von Hartnäckigkeit hatten die Männer des Schanzensports damals geradezu provoziert. Und eine wie Iraschko passte ins Bild, auch wenn sie ihre eigenen Skisprungkapitel schrieb.

Sie hatte ihre langjährige Freundin geheiratet - und machte wieder eine Entwicklung durch

Sie sprang noch mit alten Schuhen und Skiern aus der Materialkammer der Männer, aber sie stellte keine Ansprüche. Trotz der schwierigen Bedingungen blühte sie auf. Iraschko musste gleich auf eine 40-Meter-Schanze, eine kleinere stand nicht im Hochtal von Eisenerz. Aber sie sagte sich: "Wennst mal oben weggefahren bist, dann kannst unten nicht mehr aus, weil du eh nicht mehr umdrehen kannst."

Jedoch - gleich der erste Sprung gelang, samt Landung. Und Iraschko hatte Zutrauen bekommen. Stück für Stück vergrößerte sie den Anlauf und traute sich immer mehr, bis die Schanze zu klein war und sie auf die nächsthöhere wechselte, so wie es halt geht in der Erziehung der Skispringer, bis sie die damals größten Frauen-Schanzen beherrschte.

Abseits dieser schon gewöhnlichen Sportgrenzen-Suche bewegte sie eine zweite Herausforderung. Im Jahr 2013 wurde aus Iraschko Iraschko-Stolz. Sie hatte ihre langjährige Freundin geheiratet, und Iraschko-Stolz machte abermals eine Entwicklung durch. Zunächst wurde ihr klar: "Es war mir immer schon wurscht, was die Leute denken." Andererseits spürte sie, dass hinter dem Gerede das nicht Gehörte auch belasten kann. "Munkeln ist noch viel schlimmer", sagte sie, weshalb sie in die Offensive ging und das, was die Öffentlichkeit eigentlich nichts angeht, erklärte: "Ich dachte, ich sag es selber einfach, dann kann niemand mehr was sagen, und so war es auch."

Manche Karrieren klingen langsam aus, andere finden im Herbst der Laufbahn zu späten Höhepunkten. 30 Jahre war Iraschko-Stolz alt, als sie Silber bei den Winterspielen 2014 gewann, drei Jahre zuvor war sie bereits Weltmeisterin geworden, und doch ging es da erst richtig los. Sieben WM-Titel sammelte sie noch, darunter zweimal Einzel-Bronze und diverse Team-Podeste, ehe sie eine Phase von Verletzungen mehr und mehr bremste.

Dennoch hat die Erinnerung an Iraschko-Stolz' Karriere auch Spontanes und Radikales zu bieten, vielleicht sogar eine Art Sportkunst, etwa im Jahr 2003. Die Sache auf der Riesen-Flugschanze in Bad Mitterndorf hatte sie gereizt und im Nachhinein hatte sie da eine schöne Anekdote für ihre Art als Skispringerin und frei denkenden Charakter geschaffen. Denn Iraschko hatte sich unter den Vorspringern eingereiht, mit dem Plan, einen Weltrekord aufzustellen. Und tatsächlich: 200 Meter erreichte sie da, geflogen mit 19 Jahren. Alles, was im Frauenspringen je gesprungen wurde, hatte sie in den Schatten gestellt.

Ungültig!, erklärten die Regelhüter, das war gar kein echter Wettkampf, nur das Vorspringen, da gibt es keine Weltrekorde. Doch vermutlich hatten sie die Absicht dieser spontanen, stets Selbsterfahrung suchenden und einzigartigen Skispringerin auch nicht verstanden.

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