Skispringen:Hauptsache in der Luft

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Der unscheinbare Dawid Kubacki aus Polen zählt mit 28 Jahren plötzlich zu den Allerbesten. Kein Wunder, er fliegt ja auch am meisten.

Von Volker Kreisl, Predazzo/München

Im Grunde geht Dawid Kubacki auch im Beruf seinem Hobby nach: Auch beim Skispringen trimmt er zunächst die Kraftzellen auf volle Leistung. Auch hier feilt er an den technischen Feinheiten von Rumpf und Tragflächen. Und vor dem Start versetzt sich Kubacki ebenfalls in die Fluglage, spürt Luftbewegungen nach und antizipiert plötzliche Windwechsel. Schließlich setzt er das Flugzeug in die Spur - und lässt es los.

Nur dass das Flugzeug sein eigener Körper ist. Einmal hat der Pole Dawid Kubacki gesagt, er versuche nichts zu erzwingen: "Ich achte auf der Schanze nur darauf, was ich gerade in die Tat umsetzen muss." Gelinge ihm das, "kann ich hinterher in der Ergebnisliste schauen, wie gut der Sprung war". Wie alle Skispringer vertraut er darauf, dass seine Beine, sein Oberkörper und seine Arme im Moment des Absprungs alles von selber richtig machen.

Jahrelang hatte er immer wieder einen neuen Anlauf zur Bestform unternommen und war dann doch wieder in ein Tief geraten. Jetzt hat er diese Top-Form endlich erreicht. In Predazzo in Val di Fiemme/Italien, gelang ihm am Sonntag sein erster Weltcupsieg, was Kubacki nun über Polen hinaus bekannt macht, denn er hält erstmals über längere Zeit dieses höchste Niveau durch. Bei der Vierschanzentournee war er zuletzt zweimal Zweiter, Kubacki entwickelt sich zum Favoriten für die Weltmeisterschaft in fünf Wochen. Und er hat mit diesem Sieg auch verhindert, dass der japanische Tournee-Gewinner Ryoyu Kobayashi mit sieben ersten Plätzen nacheinander einen neuen Weltcup-Rekord aufstellt.

Das alles ist das Ergebnis eines mühsamen langen Weges, den er schon vor elf Jahren beim Weltcupdebüt begonnen hatte. Wie alle Skispringer, die nicht irgendein Wundertalent haben, oder einen Körper mit Idealmaßen und Beinen wie Sprungfedern, feierte Kubacki zwar kleinere Etappensiege, verschwand aber wieder in den Bereichen jenseits der Top 30. In solcher Form packt der Springer nach der Landung die Ski auf die Schulter und wandert gleich wieder aus dem Stadion. Ein Glück ist es dann, wenn er ein Hobby hat, das ihn abends in eine andere Welt entführt. Kubacki lässt Modellflugzeuge fliegen.

Er bastelt einfache Exemplare oder auch Hubschrauber. Er vertieft sich im Internet auf Bastelforen in die Geheimnisse der Aerodymanik und der Flugstabilität. Er optimiert Geräte oder er entdeckt Neues. "Wenn ich mit den Modellen arbeite, dann ist mein Verstand komplett von der Außenwelt abgeschnitten", sagt Kubacki, "manchmal vergesse ich die Zeit." Das klingt nach einsamem Sonderling, nach Computer-Nerd. Doch können Computer-Nerds Skisprungsieger sein?

Kubacki ist verspielt, aber er kennt auch die echte Welt, und er hat sich ihren Tücken lange genug gestellt. Denn er liebt das echte Fliegen so sehr, dass er aus seinen Formkrisen immer wieder herausfand. Mit dem Team hatte er schon früher Medaillen gewonnen, 2013 Mannschafts-Bronze bei der Weltmeisterschaft in Val di Fiemme. Einen großen Schritt in seiner Entwicklung schaffte er erstmals, nachdem der Österreicher Stefan Horngacher im Sommer 2016 das Training der Polen übernommen hatte. Er führte einige neue Methoden und Ideen vom effizienteren Abspringen ein, und er förderte das Leben neben dem Skisprungalltag. An den langen und dunklen Abenden spielen die einen im Hotel Poker, ein anderer klampft im Zimmer auf seiner Gitarre, und Kubacki lässt seinen Helikopter steigen. Weil das auf Reisen meistens nicht geht, schließt er seine Fernsteuerung an den Simulator im Laptop an und hebt eben virtuell ab.

Interessanterweise sagte Trainer Horngacher einmal, als er Dawid Kubacki als Typ beschreiben sollte: "Er steht mit beiden Beinen auf dem Boden." Kubacki hänge zwar ständig am Smartphone, und wenn einmal das Internet im Hotel nicht funktioniert, dann mache man sich schon fast Sorgen um ihn, aber trotz der Spielerei sei auf ihn immer Verlass. Kubacki kann seine Flug-Sphären offenbar gut trennen. In der einen holte er sich Geschick und Entspannung für die andere. "Modellfliegen zwingt mich zur Geduld", sagt er, "du brauchst einen Haufen Übung, um die Dinger oben zu halten und nicht zu crashen." Horngacher sagt: "Er ist ein unaufgeregter Typ, der alles, was zu erledigen ist, extrem gut im Griff hat."

Endlich aus dem Schatten von Kamil Stoch & Co. gesprungen: Dawid Kubacki. (Foto: Stefanie Oberhauser/imago/Eibner Europa)

Zurzeit hat Dawid Kubacki seine Laufbahn als Skispringer im Griff. Er ordnet sich ein in die Reihe der ehemaligen Ergänzungsspringer, die in dieser Saison plötzlich selber auf dem Podest des Führenden warten, und nach jedem gescheiterten Konkurrenten in die Kamera winken dürfen. Im Gesamtweltcup ist er aufgerückt auf Rang vier und damit tritt seine Karriere nun in eine interessante Phase. Steigert er sich weiter, dann könnte er bei der WM in Seefeld in Österreich noch eine große Einzelmedaille holen. Aber dazu braucht es Ruhe, Ausgeglichenheit und Konzentration, und er weiß, wo er sich das holen kann.

Manchmal findet er ja auch auf Winterreisen einen geräumigen Ort, einen leeren Parkplatz zum Beispiel, wo er eines seiner kleineren Modelle aus der Tasche ziehen, an die Fernsteuerung anschließen und hinauf in die Luft schicken kann.

© SZ vom 15.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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