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Gregor Schlierenzauer:Ein Springer, der Maßstäbe setzte

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Elastische Gelenke, gute Luftlage: Gregor Schlierenzauer, der gefühlt alte, aber noch 31 Jahre junge Rekord-Skispringer, beendet seine Karriere. Seine großartige Form der frühen Jahre ließ ihn zuletzt im Stich.

Von Volker Kreisl

Er hatte zuletzt das, worauf ehrgeizige Sportler gerne verzichten: Zeit zum Nachdenken über die Karriere. Gregor Schlierenzauer war einer von denen, die im Spätsommer und Herbst stets ihre sportliche Form schliffen und sich auf die Winterluft und die Sprünge auf beschneiten Schanzen freuten. Diesen Sommer aber blieb die Vorfreude aus. Schlierenzauer musste Für und Wider abwägen, und letztlich fiel die Entscheidung dann nicht schwer. Der Tiroler, einer der besten Skispringer, beendet seine aktive Karriere.

Er hatte eine für seine Ansprüche indiskutable Saison hinter sich, kaum ein Sprung gelang so, wie er es sich wünschte, am Ende landete Schlierenzauer auf Platz 65 der Weltcup-Gesamtwertung. Seine Form war ihm sozusagen verlorengegangen, was natürlich auch an den Verletzungen lag. Im vergangenen Winter warf ihn zunächst eine Corona-Erkrankung zurück, dann erlitt er einen Kreuzbandriss, die Aussicht auf eine Rückkehr unter die Formbesten, jene, die wie im Schlaf das Timing und die blitzschnelle Verwandlung in ein effektives Flugobjekt vollziehen, diese Aussicht war trübe. Und Schlierenzauer ist nun nach einigen solcher Phasen in seiner beachtlichen Karriere erfahren genug, um realistisch Bilanz zu ziehen. Am Ende lohnte sich der ganze Aufwand nicht mehr. Zum Abschied erklärte er: "Es war eine einzigartige und gefühlsintensive Reise, die nun anders weitergeht."

Wie genau sie weitergeht, sagte er noch nicht, aber das hat ja noch Zeit. Schlierenzauer war gefühlt schon seit den Anfängen des Skispringens in den 1880ern dabei, dabei ist er nun, bei seinem Rücktritt erst 31 Jahre alt. Es ist halt viel passiert in dieser Laufbahn, und die Verdichtung der Ereignisse dehnt die Zeit. Die erfolgreiche Jugendphase hatte er schnell hinter sich, weil er mit 15 schon so gut war wie ein durchschnittlicher Weltcupspringer. Seinen ersten Sieg in dieser obersten Kategorie errang er mit 16 Jahren, seine Bestmarke mit 53 Siegen ist bis heute unerreicht.

Den neuen Bindungsstab, der Wunder wirkte, hatte er lange nicht nötig

Seine beste Zeit war die erste Hälfte der Karriere. Schlierenzauer gewann insgesamt 12 WM-Medaillen, davon fünf goldene, zudem wurde er viermal Weltmeister im Skifliegen. Je ein Einzeltitel bei Sprung- und Flug-Weltmeisterschaften war dabei, ein Einzelsieg bei Olympischen Spielen gelang ihm jedoch nicht. Dennoch, Schlierenzauer setzte Maßstäbe, nicht nur in irgendwelchen Listen.

So weigerte er sich lange, mit dem gekrümmten, vom Schweizer Simon Ammann erfundenen Bindungsstab zu springen, der die Tragflächenwirkung bei Schrägstellung der Ski so gut verbessert, dass bald so gut wie alle mit dem Krummstab sprangen. Schlierenzauer aber konnte darauf verzichten, weil seine Gelenke elastisch genug waren, womit sein System auch so ideal auf dem Luftkissen lag. Als aber der Druck, endlich wieder unter die Besten zu kommen, dann anstieg, versuchte er es doch, gebracht hatte ihm die andere Technik letztlich nichts.

Dennoch, seine Leistungen verhalfen ihm in der ersten Zeit auch zu einer herausragenden Position in der österreichischen Mannschaft, die damals den Namen Superadler trug, womit sie sich auch auf dem Teambus ankündigte. Diese sieben, acht Akteure unter Chefcoach Alexander Pointner beherrschten jahrelang die Szene, auch wenn sich die beiden Leitspringer Schlierenzauer und Thomas Morgenstern regelmäßig, beharrlich und auch etwas eifersüchtig bekriegten, wie Pointner in seiner Autobiografie berichtet.

Womöglich gab dies dem Gesamtsystem aber auch die richtige Energie und Spannung. Morgenstern hörte bereits mit 27 Jahren auf, im September 2014 nach zwei schweren Stürzen in der Olympiasaison. Schlierenzauer dagegen machte weiter, hoffte sieben Jahre lang auf die zweite große Form. Und wie sein alter Teamfreund und Rivale Morgenstern wartete er ebenfalls noch mal einen Sommer lang auf die Rückkehr des Selbstvertrauens, das so wichtig ist in diesem Sport - und verkündete nun doch sein Karriereende, auch im September.

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