Gold und Silber bei der Ski-WM:"Ich hab' nur gewusst, ich will Weltmeister werden"

Nordische Ski-WM Seefeld

Schweben ohne Schwingen: Markus Eisenbichler steuert vor großer Kulisse am Bergisel die Goldmedaille im Einzel an (oben). Mit Karl Geiger (unten) glückt der erste Doppelerfolg für die DSV-Springer seit Martin Schmitt und Sven Hannawald 1999.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)
  • Gold und Silber für die Zimmerkollegen: Markus Eisenbichler holt den WM-Titel im Skispringen, Karl Geiger wird Zweiter.
  • Beide können im entscheidenden Moment ihre Stärken ausspielen.
  • Die anderen Favoriten schwächeln.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Wie die beiden an diesem Abend wohl eingeschlafen sind? Vielleicht nicht unbedingt allerbeste Freunde, aber doch sehr, sehr gute Skisprungkumpels sind Markus Eisenbichler und Karl Geiger, schließlich teilen sie seit vier Jahren das Hotelzimmer, und da feiert und bespricht man doch so Einiges. Aber Eisenbichler sagte, "da wird wohl nichts mehr passieren", man werde bald einschlafen, es gehe ja schließlich weiter mit dem WM-Programm.

Eisenbichler hat noch nie einen Weltcup gewonnen. Karl Geiger zuletzt zwar schon, und doch kämpfte auch er gegen den Ruf, im entscheidenden Moment nicht den Punch für einen echten Triumph zu haben. Doch am Samstag, bei der Ski-Nordisch-WM, da haben sie sich auf der tückischen Bergiselschanze in Innsbruck allen negativen Tendenzen entgegengestellt. Und als das Springen von der Großschanze zu Ende war, hatte Eisenbichler Gold gewonnen und Geiger Silber. Und dann sagen sich die beiden am späteren Abend wie immer gute Nacht und schlafen einfach ein?

Normalerweise sind dies doch die Nächte, in denen zwei Freunde vor Aufregung stundenlang plaudern, und nochmal alles gemeinsam durchgehen: Als Erstes, so stellt man sich vor, redet man darüber, wie man vorhin noch im Wind auf dem Gegenhang dieser speziellen Schanze auf dem Siegerpodest stand. Eisenbichler in der Mitte, Geiger rechts daneben, der Schweizer Überraschungsdritte Killian Peier links, dahinter die schneebedeckte, atemberaubend schöne Bergkette über Innsbruck. "Hast du die Nordkette gesehen?", könnte Geiger bereits im Bett in die Dunkelheit hinein gefragt haben, und Eisenbichler könnte antworten: "Nee, ich hatte die Augen zu, weil, ich hab's genossen."

Bundestrainer Schuster hebt selbst kurz ab

Markus Eisenbichler, 27, aus Siegsdorf in der Nähe des Chiemsees, ist ein Sportler, der laut schreiend jubelt, aber dann auch schnell wieder die Stille sucht. Er liebt den Rückzug in seine Heimat nach der langen Reise durch den Winter. Als nun die Hymne eingespielt wurde, hat er sich für einen Moment in sich selber zurückgezogen und für sich mitgesungen, oder vielleicht eher mitgemurmelt. Eisenbichler neigt zu Extremen, Karl Geiger, 26, aus Oberstdorf ist eher ausgeglichen. Beide haben an diesem Tag ihre jeweiligen Stärken ausgespielt.

Eisenbichler war vor dem entscheidenden zweiten Sprung im Finale noch oben auf der Schanze, als dieses Springen in seine letzten acht Minuten ging, in ein für den Deutschen Skiverband und für dessen Trainer Werner Schuster dramaturgisch perfektes Finale. Schuster hört nach elf Jahren demnächst als DSV-Trainer auf. Auf dem Trainerstand ist er dann selbst kurz abgehoben, weil Geiger sich mit einem fabelhaften Satz an die Spitze setzte, womit mindestens eine Medaille für die Deutschen schon sicher war.

Schuster selber sagte später in der Mixed Zone, er habe den ganzen Tag über ein gutes Gefühl gehabt, weil seine beiden momentan Besten immer stabiler wirkten, und weil die Konkurrenz schwächelte: "Kobayashi hatte nicht mehr diese Konstanz." Olympiasieger Kamil Stoch aus Polen und der Titelverteidiger Stefan Kraft (Österreich), die anderen beiden Sieg-Anwärter, hatten schon nach dem ersten Sprung zu weit zurück gelegen. Kobayashi sprang, fiel hinter Geiger zurück, worauf dieser auf dem Leader-Podest auf einmal riesige, glasige Augen bekam, denn nun war bei ihm der Groschen gefallen: Er, der immer unterschätzte Karl Geiger, bis vor dieser Saison allenfalls Ergänzungsspringer, er hatte nun eine WM-Medaille.

Dann ging der Blick nach oben, denn nun saß Freund Eisenbichler auf dem Balken.

Der ist in dieser Saison durch Höhen und Tiefen gegangen. Eisenbichler hatte sich vor der Vierschanzentournee zwar stabilisiert, war dann aber in Innsbruck zurückgefallen und letztlich Tournee-Zweiter geworden. Die Bergiselschanze mit dem engen Radius hatte ihm schon viele Tiefschläge verpasst, aber in diesen Tagen schien Eisenbichler sie im Griff zu haben. "Bei der Tournee fällt mir die Umstellung von Garmisch auf Innsbruck schwer", erzählte er später in der Mixed-Zone, denn zwischen beiden Springen seien nur ein, zwei Tage Zeit. "Diesmal hatte ich genügend Zeit zu üben", schloss er.

Aber dann: wieder diese Eisenbichler-Wackler

Er ging in die Spur, um Anlauf zu nehmen für den bislang wichtigsten Sprung seiner Karriere, und hob ab. Sein "System" funktionierte sofort, also die korrekte Haltung von Armen, Beinen, Kopf und Rumpf, somit die Verwandlung eines Menschen in einen Gleitschirm. Aber dann: wieder diese Eisenbichler-Wackler, die leicht sinkenden, bremsenden Skispitzen. Eisenbichler aber war entschlossen, wie er später übers Stadion-Mikrofon im Kurz-Interview den 11.400 Zuschauern direkt erzählte: "Ich hab' nur gewusst, ich will Weltmeister werden." Er streckte seinen Oberkörper durch, legte sich nach vorne, zog voll durch, wie es immer heißt, und setzte schließlich bei 135,5 Metern auf, zweieinhalb Meter unter dem Schanzenrekord. Danach natürlich: Hiebe in die Luft, unterkieferbelastende Schreie, und oben, am Ende des Gegenhanges, entgegenlaufende, ebenfalls schreiende Teamgefährten. Es war ein Sprung wie ein Statement, eine Weite, die Killian Peier, der Letzte, der noch oben stand, nicht mehr kontern konnte.

Nach der Siegerehrung absolvierten die beiden Zimmerkumpels die übliche Tour über die TV-Stationen und durch die Mixed-Zone, wurden von Innsbruck hinauf nach Seefeld geshuttelt, ins eigentliche Zentrum dieser WM, zur offiziellen Pressekonferenz und schließlich zur Medaillenübergabe, bei der es wieder laut wurde, weil die Grenze, hinter der Eisenbichlers und Geigers Fans wohnen, ja nicht weit ist. Danach fuhr man ins Hotel, mit dem gesamten Team feierte man noch ein bisschen, ehe es aufs Zimmer ging, denn am Sonntagnachmittag folgt ja schon das Teamspringen der WM.

"Ein bisschen fies ist es ja schon", hat dann vielleicht Eisenbichler den Faden im Bett nochmal aufgenommen, "nur einer kann Weltmeister werden, und jetzt bist du der Zweite, dabei haben wir's irgendwie beide verdient!" - "Ach was", hat der grundsolide Geiger dann vermutlich geantwortet, "Silber ist okay." Dann könnte es kurz still geworden sein, ehe Geiger vielleicht doch nochmal was einfiel: "Außerdem bin ich letztes Jahr bei Olympia in Pyeongchang besser in Form gewesen und hab' Silber mit dem Team gewonnen und du musstest zuschauen", worauf beide müde lachten.

So oder so ähnlich könnte das Gespräch zwischen diesen vom Sport-Schicksal überrumpelten Gold- und Silbergewinnern gelaufen sein. Gut möglich aber auch, dass sie tatsächlich gleich eingeschlafen sind, denn es sind ja letztlich doch Skisprung-Profis.

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