Skispringen:Die Rechnung bleibt offen

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Flug auf Platz drei: Katharina Althaus in Villach. (Foto: Stefan Adelsberger/Expa/dpa)

Katharina Althaus musste viele Rückschläge bei den jüngsten Großereignissen verarbeiten. Bei der Silvester-Tournee bleibt sie die bestimmende deutsche Skispringerin.

Von Volker Kreisl

Die Neugierde goss das Fundament für die Karriere. Katharina Althaus hatte sich durchgesetzt, sie wollte unbedingt zuschauen, wie ihr älterer Bruder von einer Schanze auf Skiern weit nach unten springt. Zeugen berichten glaubhaft, sie sei sehr beeindruckt gewesen, weshalb Althaus sich dann abermals durchsetzte und auch damit begann, auf Skiern zu fliegen - und nun schon seit Jahren die beste deutsche Skispringerin ist.

In den vergangenen Tagen hat die Oberstdorferin diesen Status noch mal verteidigt - auch wenn sie nicht ganz zufrieden war mit ihren Auftritten bei der erstmals ausgetragenen Silvestertournee. Und auch wenn es zum Abschluss am Sonntag Selina Freitag vorbehalten war, mit dem ersten Podestplatz ihrer Karriere das beste deutsche Tagesergebnis beizusteuern. Rang neun, Rang zwei, Rang drei und zum Abschluss Rang 14, das waren Althaus' Resultate bei den vier Springen in Villach/Österreich und Ljubno/Slowenien. Das bedeutete in der Gesamtwertung den fünften Platz, die beiden dominierenden Athletinnen dieser Veranstaltung waren die Österreicherin Eva Pinkelnig und Anna Odine Ström aus Norwegen.

Im Skispringen wirkt es manchmal, als gäbe es zwei Arten von Athleten, auch bei den Frauen. Die einen wie etwa einst die Japanerin Sara Takanashi sammeln Siege im Weltcup, wie andere Gartenzwerge horten. Andere tauchen zuweilen lange ab im Sprungalltag, gewinnen dafür Gold bei Großveranstaltungen, wie etwa die Deutsche Carina Vogt, die mit dem einen großen Sieg bei der Olympiapremiere der Skispringerinnen 2014 in Sotschi jedem Wintersportfan ein Begriff bleiben dürfte. Wo Katharina Althaus irgendwann einmal einzuordnen sein wird, lässt sich schwer prognostizieren.

In Topform: Katharina Althaus, 26. (Foto: Memmler/Eibner/Imago)

Das hängt damit zusammen, dass sie gefühlt schon seit Ewigkeiten Ski springt und dies wohl auch noch Ewigkeiten so fortsetzen wird. Denn sie hat die Zeit genutzt, nachdem sie als Sechsjährige ihren Bruder fliegen gesehen hatte. Sie hat die Skisprungerziehung auf den kleinen, mittleren und großen Schanzen in Oberstdorf schnell hinter sich gebracht und mit 15 Jahren schon ihren ersten Weltcup bestritten, Dreiunddreißigste wurde sie da. Wenige Jahre später war sie festes Mitglied des A-Kaders im Skispringen, und elf Trainingssommer, elf Weltcupwinter mit elf Großereignissen später ist sie immer noch erst 26 Jahre alt.

Andreas Bauer, der Vorgänger von Frauen-Bundestrainer Maximilian Mechler, antwortete einmal auf die Frage, was denn Althaus' Stärke sei, es gebe nicht diese eine Stärke. Es sei mehr die Mischung aus allem: "Katharina hat einen sehr guten Absprung, kann aber auch hervorragend fliegen." Vielseitig sei sie, weil sie auch im alpinen Slalom eine saubere Technik beherrsche, zudem den Telemarkstil eingeübt habe, was sich nun im nordischen Skispringen fast immer in guten Haltungsnoten niederschlägt. Und schließlich habe sie sich schon früh die Erkenntnisse vom Sportpsychologen zunutze gemacht. Eine Winter-Mehrkämpferin, wenn man so will.

Sie hat noch bei keinem Großereignis Einzel-Gold gewonnen

Und dennoch hat sie bis heute eine Rechnung offen, mit den Olympischen Spielen, mit den Weltmeisterschaften. Denn sie hat zwar diverse Siege mit der Mixed-Auswahl und im Team errungen, aber noch bei keinem Großereignis eine Goldmedaille im Einzel gewonnen, das dem Publikum womöglich jahrelang im Gedächtnis haften bliebe. Im Gegenteil, Althaus hatte auf subtile Art des Schicksals besonders hart verloren, mit ihren beiden olympischen Silbermedaillen in Pyeongchang 2018 und Peking 2022.

Bei den Spielen in Pyeongchang hatte sie in einem verwehten Finale im zweiten Sprung die sichere Führung abgegeben - was sie, nachdem sie sich kurz zurückgezogen hatte, noch annehmen konnte mit den Worten: "Medaillen verliert man nicht, die gewinnt man, und heute habe ich Silber gewonnen." Und ähnlich dachte Althaus wohl auch, als sie bei den Weltmeisterschaften in Seefeld/Österreich den Einzeltitel um nur 0,5 Punkte verpasst hatte. Vier Jahre später aber, in Peking 2022, da verlor sie dann doch eine Medaille, nämlich die goldene. 1,10 Meter fehlten ihr, auch weil der sanfte Wind plötzlich stärker blies, anders als bei den Konkurrentinnen zuvor. Nur ein guter Meter zwischen Gold und dem Rest - da fiel Althaus irgendwann doch auf die Knie, verbarg ihr Gesicht und vergoss Tränen.

Bei solchen Karriereverläufen, die bei Bestform stets knapp unterhalb des Sieges stecken bleiben, haben Topsportler oft den Beinamen des ewigen Zweiten weg. Das klingt nach Pechvogel, es klingt auch nach einem Athleten, dem im entscheidenden, ganz großen Moment die Nerven versagen, der trotz allen Trainings nicht an sich glaubt. Abgesehen davon, dass solche Urteile nie wirklich treffend sind, wäre bei Katharina Althaus jeglicher Beiname verfrüht. Sie steht ja trotz der langen Zeit, die sie bereits auf hohem Niveau Ski springt, fast noch am Anfang ihrer Laufbahn.

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