Skispringen:Der Alltag wird attraktiv

Cross Country World Cup 2022

Weit vorne gelandet: Katharina Althaus

(Foto: NTB/Reuters)

Die Olympia-Zweite Katharina Althaus unterstreicht mit ihrem Sieg in Lillehammer ihre starke Form. Für ihre jungen Kolleginnen ist das eine gute Nachricht - sie haben noch etwas Zeit, sich zu entwickeln.

Von Volker Kreisl, Lillehammer/München

Alles geht über einen ruhigen Geist. Die Skispringerin oder der Skispringer trainieren im Kraftraum., sie halten sich fit, aber das ist nur die Grundlage. Geht es in den Wettkampf, dann tauchen sie in den Tunnel, sie warten unten im Team-Container auf ihren Einsatz und versuchen das gute Formgefühl zu erspüren. Sie fokussieren sich dann im Warteraum, oben im Schanzenturm, visualisieren ihren Anlauf, ihre Absprungbewegung, den Schanzenradius, den Wind von der Seite, sie halten dies alles beisammen und fühlen sich irgendwann bereit. Und dann klemmt der Clip.

Da kann man noch so oft gesprungen sein - wenn der Einsatz naht und der Schuh nicht fest am Fuß sitzt, weil ein Feststell-Clip nicht schließt, dann werden auch die erfahrensten Springerinnen nervös. Sie probieren, ruckeln, drücken und versuchen es vielleicht mit Gewalt, wobei der Ärger die Konzentration erst recht verdrängt. Für Katharina Althaus aber wurde rechtzeitig eine Lösung gefunden beim Weltcup in Lillehammer in Norwegen, man gab ihr schließlich mehr Zeit. Sie bekam ihr Schuh-Clip-Problem in den Griff, fuhr an, sprang ab und flog auf Bestweite.

Dass Althaus auf dieser Normalschanze 96 Meter weit flog, kann daran liegen, dass sie nach ihrer kurzen Materialkrise befreit drauf losspringen konnte, in dem Gefühl, dass sie irgendwann nichts mehr zu verlieren hatte. Oder es lag daran, dass Althaus in diesen Tagen eine herausragende eiserne Skisprung-Form hat, der ein kleiner Plastik-Clip nichts anhaben kann. Jedenfalls kam sie in diesem ersten Durchgang weiter als alle anderen, im zweiten auf nochmal auf ein Spitzenresultat und gewann diesen Weltcup, ein Sieg, der für die deutschen Springerinnen eine herausragende Bedeutung hatte.

In dieser Saison wird es doppelt so viele Frauen-Weltcups geben wie bisher

Den in Lillehammer jubelnden Deutschen war so etwas schon lange nicht mehr geglückt: ein Sieg im Weltcup. Die Mannschaft hatte immer eine gute Mischung aus Erfahrenen und Talenten, und man will es auf den ersten Blick gar nicht verstehen, dass ihr der bislang letzte Weltcup-Einzelsieg tatsächlich im März 2019 geglückt war, nämlich durch Juliane Seyfahrth in Russland. Zweieinhalb Jahre, lange her. Das verwundert deshalb, weil diese Mannschaft immer zu den Höhepunkten präsent war. Unvergesslich für die Beobachter sind die Sprünge von Carina Vogt, die 2014 in Sotschi das erste Frauen-Olympiaspringen gewann, im Weltcup aber konsequent die Spitze verpasste. In jenen Jahren holte Vogt neben dem Olympiasieg noch fünf WM-Siege im Einzel und als Mannschaftsführerin. Ihre Sieg-Bilanz über all die Jahre im Weltcup: zwei.

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96 Meter weit: Katharina Althaus (Mitte) nach dem Sieg in Lillehammer neben der zweitplatzierten Österreicherin Marita Kramer (links) und Ursa Bogataj aus Slowenien.

(Foto: Harald Steiner/imago)

Für ein ambitioniertes Team ist dies zu wenig, der Weltcup ist im Frauenspringen zwar nach wie vor in den meisten Stationen eine im Vergleich zu den Springern schlechter besuchte, übertragene und geklickte Veranstaltung. Dennoch bietet die Serie den Akteurinnen eine dauerhafte Präsenz. In dieser Saison wird die Anzahl der Frauen-Weltcups doppelt so groß sein wie bisher. 14 Weltcuporte stehen auf dem Programm, mit 26 Springen. Eine Vierschanzentournee für die Frauen, integriert in das Programm der Männer, kommt zwar frühestens im nächsten Winter in Betracht, aber es gibt doch Zeichen. In Ljubno/Slowenien soll ein Neujahrsspringen für Frauen stattfinden, auch Weltcups mit beiden Geschlechtern an einem Ort stehen auf dem Programm.

Der Alltag wird also attraktiver, umso wichtiger ist es, dass Althaus nun auch zwischen den großen Festen zeigt, dass es voran geht mit den Deutschen. "Saustark" nannte der neue DSV-Cheftrainer für die Frauen, Maximilian Mechler, die Leistung von Althaus am Samstag. Allerdings wird es wohl noch eine Weile dauern, bis auch ein paar mehr deutsche Springerinnen zu einer konstanten Form finden. Von den Podest-Rängen sind Althaus' Kolleginnen doch noch ein größeres Stück entfernt: Selina Freitag, 20, Juliane Seyfarth, 31, Pauline Hessler, 23, und Luisa Görlich, 22, versammelten sich auf den Plätzen 21 bis 24.

Althaus fällt somit eine doppelte Rolle zu. Weiterhin ist sie die konstanteste Springerin, die mit ihren nun acht Weltcupsiegen und Olympia-Silber in Pyeongchang 2018 am ehesten auch unter dem Jahr Erfolge feiern kann, die auch mal in den Nachrichten verlesen werden. Und sie verschafft der versammelten den Kolleginnen aus der jüngeren Generation noch ein wenig Zeit, damit diese ihre eigene Form weiter in Ruhe entwickeln können. Denn unter Druck öffnet sich kein klemmender Verschluss - und meist auch keine Erfolgskarriere.

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