Skilanglauf:Aus der Einsamkeit in die Weltspitze

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Lerneffekt: Nach zehn Kilometern wurde Katharina Hennig 27., mit 2:45 Minuten Rückstand.

(Foto: Sven Simon/imago)

Die 20-jährige Katharina Hennig steht für die Hoffnung, dass es im deutschen Langlauf-Team in absehbarer Zeit wieder einen Aufschwung geben könnte. Ein Talent wie sie hat es im deutschen Langlauf schon lange nicht mehr gegeben.

Von Volker Kreisl, Lahti

In der Gegend um Oberwiesenthal lag im Winter noch viel Schnee. Die Loipen führten durch einsame Wälder, und jenseits der Grenze, in Tschechien, konnte man über Stunden langlaufen, ohne dieselbe Strecke zweimal zu befahren. Langsam und locker ging es dahin, erzählt Katharina Hennig, und zwischendurch kehrte die Familie in einer Gaststätte ein. So verbrachte Hennig die Wochenenden ihrer Kindheit, und deshalb liebt sie heute das Langlaufen, wobei die Betonung auf "lang" liegt, sie sagt sogar: "Je länger, desto besser."

Zurzeit ist sie allerdings nicht in der Einsamkeit des Erzgebirges unterwegs, sie läuft bei den Nordischen Weltmeisterschaft in Lahti in Finnland gegen die Weltbesten. Die fuhren ihr am Dienstag beim 10-Kilometer-Rennen im klassischen Stil mal wieder etwas deutlicher davon. Katharina Hennig kam mit einem Rückstand von gut zweieinhalb Minuten an. Gewonnen hatte Marit Björgen: Die Norwegerin baute ihren Titel-Rekord auf 16 Erfolge aus. Dahinter versammelte sich die bekannte Elite des Langlaufs, Zweite wurde Charlotte Kalla (Schweden), Dritte Astrid Jacobsen (Norwegen). Beste Deutsche war Steffi Böhler (10.) vor Nicole Fessel (16.), Victoria Carl (21.) - und Hennig.

Platz 27 wurde es am Ende, und dass dieses Resultat jetzt sogar ein bisschen enttäuschte, sagt alles über die vergangenen sechs Monate im Langlauf-Leben der 20-Jährigen. Denn eigentlich steht die 1,63 Meter große Hennig für die Hoffnung, dass es doch noch einen Aufschwung geben könnte in ihrem Verband. In Sotschi, bei den Winterspielen 2014, hatten die Deutschen noch eine Staffelmedaille geholt (Bronze), seitdem hat die Disziplin im eigenen Land immer mehr an Bedeutung verloren. Mit den vorderen Plätzen haben die deutschen Frauen und erst recht die deutschen Männer nichts zu tun, die Zuschauer wenden sich ab, und in diesem Winter gab es nur noch einen einzigen Heim-Weltcup, den in Oberstdorf.

Aber dann tauchte die kleine Hennig auf, zunächst mit großem Läuferherz, dann auch mit großer Läuferlunge. In der Staffel von La Clusaz in Frankreich hatte sie sich eingebildet, sich am Tempo der vorneweg stürmenden Björgen orientieren zu müssen, was sie überforderte und die Deutschen zurückwarf, ihre Teamleitung aber doch beeindruckte. Sie setzten sie in der Staffel von Ulricehamn/Schweden als Startläuferin ein, und Hennig dachte, "jetzt mach ich's anders". Sie hängte sich hinter die Norwegerin Ingvild Östberg, achtete aber auf den eigenen Puls und hatte bei der Übergabe nur elf Sekunden Rückstand. Am Ende kam das Team vor den Schweden auf Platz zwei, es war der erste Weltcup-Podestplatz der Frauenstaffel seit sieben Jahren. Das Rennen in Ulricehamn hatte eine "extreme Bedeutung", sagt der Norweger Torstein Drivenes, der seit zwei Jahren die deutschen Langläuferinnen trainiert. Weil neben Hennig auch Victoria Carl zum Einsatz gekommen war, hat er nun plötzlich fünf Läuferinnen für ein Staffel-Quartett zur Auswahl.

Im Nachhinein erwies sich Denise Herrmanns Wechsel zum Biathlon demnach als große Chance. Für sie kamen Hennig und Carl ins Weltcuptraining, was den internen Trainings-Wettstreit umgehend befeuerte. Und am Donnerstag stehen womöglich beide in der Staffel (14.00 Uhr, MEZ).

Die Deutschen will Drivenes technisch verbessern, vor allem aber fehlt es an der Ausdauer. 800 bis 1000 Trainingsstunden pro Jahr bewältigen norwegische Läuferinnen, aber um dieses Maß zu erreichen, braucht es Geduld. "Nach zwei Schritten nach vorne kommt immer einer zurück", sagt Drivenes. Der Abstand zur Weltspitze lässt sich also nur ganz allmählich verkürzen, ein paar Prozent Steigerung, ein Paar Prozent mehr an Selbstüberwindung veranschlagt der Norweger pro Jahr.

Langlaufen ist anstrengend, und die alten Trainer hatten früher nicht selten geklagt, dass im Vergleich zu skandinavischen Top-Talenten den deutschen Kids die Fähigkeit fehle, sich selber zu quälen. Das klingt gut, aber es ist eben auch nicht zeitgemäß. Moderner ist es, wenn sich Schüler an langen Wochenenden ganz selbstverständlich an den Wald und die Loipe gewöhnen und dann wie Katharina Hennig noch als 20-Jährige nichts lieber machen, als im Wald beim Training alleine zu sein "und die Gedanken schweifen zu lassen". Und geradezu ideal ist es, wenn sie trainieren, ohne es zu merken.

In den ersten Einheiten im Nachbarort, wo sie als Kind übte, war das so. "Wir haben Fangen gespielt und Volleyball", erzählt sie, "und wir sind mit den Skiern durch Slalom- und Hindernis-Parcours gesprintet." Spätestens seit diesem ersten WM-Freitag, seit dem 15-km-Skiathlon, gilt sie nun als die Läuferin, die ähnliche Anlagen hat wie Olympiasiegerin Claudia Nystad. In dieser Doppel-Disziplin, die Klassik und Freistil enthält, kam Hennig als beste Deutsche auf Platz elf ins Ziel.

Sie hat trotzdem noch viel zu lernen, sie muss die Rennen besser überblicken und ihre Gegnerinnen verstehen. Und so wie am Dienstag wird sie immer wieder einen Schritt zurück machen. Und dann wieder zwei nach vorne.

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