Skifliegen in Oberstdorf:Mit angeschraubten Tragflächen

Skifliegen in Oberstdorf

Mit einem gewagten Sprung auf Platz zwei: Der Deutsche Andreas Wellinger fliegt auf der neuen Schanze in Oberstdorf einen Rekord.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Andreas Wellinger setzt seine Podest-Serie beim Skifliegen fort. Haarscharf wird er hinter dem Österreicher Stefan Kraft Zweiter. Dabei gelingt ihm ein perfekter Flug.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Andreas Wellinger zählt nicht zu den lauten Sportlern und auch nicht zu den gestenreichen Jublern. Viele Skispringer boxen nach der Landung Rechts-Links-Kombinationen in die Luft oder hauchen Kusshände in die Kamera, der Ruhpoldinger Wellinger ist da zurückhaltender. Auch bei seinem zweiten Weltcupsieg, vor sechs Tagen in Willingen, hat er hauptsächlich einfach nur gestrahlt. Mit dieser Contenance war es nun vorbei.

Es war der erste Skiflugweltcup dieser Saison auf der renovierten Heini-Klopfer-Schanze in Oberstdorf, und Andreas Wellinger, 21, hat im ersten von zwei Springen seine kleine Podest-Serie fortgesetzt. Zweiter ist er mit 434,8 Punkten geworden hinter dem österreichischen Vierschanzen-Tournee-Sieger von 2015, Stefan Kraft (439,9 Punkte), und vor dem polnischen Tournee-Sieger von 2017, Kamil Stoch (425,4). "Das vor dieser geilen Kulisse, das muss ich erst mal sortieren", sagte er. Markus Eisenbichler und Richard Freitag kamen als Achter und Zehnter noch in die Top Ten.

Nach zwei Flügen weit über die 200 Meter trennten Kraft und Wellinger also nur 4,1 Punkte - eine Winzigkeit. Seit fünf Weltcups steht Wellinger nun stets unter den besten Drei: Erster im Team in Zakopane, dort dann auch Zweiter im Einzel, danach Team-Dritter und Einzel-Sieger in Willingen und nun Zweiter in Oberstdorf. So eine Welle des Erfolges ist für einen Skispringer immer prickelnd, was das derzeit größte deutsche Sprungtalent diesmal aber aus dem Häuschen brachte, das war sein Sprung am Samstagnachmittag im ersten Durchgang.

Nach der Landung riss er die Arme hoch, warf den Kopf zurück, ballte die Fäuste, sprang in andere Arme und so weiter, das ganze Programm der Freude. Wellinger ahnte bereits, dass dies Schanzenrekord war, auf dem zugegebenermaßen erst einen Tag alten Klopfer-Schanzen-Neubau war er 234,5 Meter weit geflogen - aber wie: Er hatte den wohl gewagtesten Absprung seit seinem schweren Sturz in Kuusamo vor zweieinhalb Jahren durchgezogen. In Finnland war er damals zu weit in Vorlage geraten, hatte das Gleichgewicht verloren und sich die Schulter erheblich verletzt. Aber viel Vorlage braucht ein Springer eben, sonst schafft er es nicht mal unter die besten Zehn. Es kommt also auf die Abstimmung an, auf den kontrollierten Hecht gegen den Luftwiderstand. Und das war diesmal "nahezu perfekt", sagte Bundestrainer Werner Schuster.

Sieger Kraft springt kürzer als Wellinger, hat aber schlechtere Bedingungen

Es trug ihn weit hinunter, bis in jene Zone, in der das Publikum schon tost, noch ehe der Springer gelandet ist - jenseits der neuen Oberstdorfer Hillsize-Linie von 225 Metern, nochmal neun Meter weiter. "Sein bester Skiflug", sagte Schuster in der ARD, "das war so, wie es sein muss." Wellinger war auch der Übergang in die Flugphase ohne Ecken und Kanten gelungen, hoch schwebte er über dem Vorbau und dem Absprunghang dahin, mit scheinbar angeschraubten Tragflächen. Das war dermaßen souverän, dass die meisten übrigen Topspringer zurückblieben, und man rätselte, wer Wellinger heute noch schlagen sollte.

Domen Prevc, der Slowene mit dem riskanten Stil, scheiterte an Wellinger, auch der zurzeit beste im Gesamtweltcup, Kamil Stoch, musste zu früh aufsetzen. Nur der Bischofshofener Kraft, der nach seinem auch krankheitsbedingten Rückschlag bei der Vierschanzentournee wieder in Topform ist, setzte sich davor. Im zweiten Durchgang flog Kraft dann zwar um 4,5 Meter kürzer, aber sein Punktepolster aus Durchgang eins reichte. Wellinger behielt Platz zwei, und dazu den Rekord, wobei er aber auch den besten Aufwind und noch den längsten Anlauf hatte, ehe die Jury aus Sicherheitsgründen verkürzte.

Im Getöse um die Podest-Entscheidung gingen ein wenig die kleineren Erfolge anderer Springer unter, die wie Wellinger seit geraumer Zeit am Comeback ihrer Form arbeiten. Der österreichische Rekord-Weltcup-Sieger Gregor Schlierenzauer, der nach überstandenem Kreuzbandriss und Motivationsloch seit drei Wochen mal mäßige, mal ordentliche Sprünge abliefert, überzeugte mit einem 214,5-Satz im zweiten Durchgang, und wurde insgesamt Neunzehnter. Peter Prevc aus Slowenien, Gesamtweltcup- und Vierschanzen-Sieger 2016 und das größte Formrätsel dieser Saison, zeigte unter starkem Rückenwind mal wieder, was er eigentlich kann und katapultierte sich nach vorne auf Platz sechs. Und Daniel Andre Tande, dem leichtfliegenden Norweger, der wie Kraft bei der Tournee wegen äußerer Umstände (einem herausgerutschten Bindungsstab) den Sieg verlor, gelang mit 229 Metern der weiteste Sprung im zweiten Durchgang. Damit wird es zunehmend spannend für die WM in drei Wochen, und außerdem hat auch Tande mal wieder exzessiv gejubelt.

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