Skifliegen:Gestanden und bestanden

Skifliegen: Erste Siegerin: Die Slowenin Ema Klinec fliegt beim Debüt in Vikersund in Norwegen zweimal am weitesten - jeweils über 200 Meter.

Erste Siegerin: Die Slowenin Ema Klinec fliegt beim Debüt in Vikersund in Norwegen zweimal am weitesten - jeweils über 200 Meter.

(Foto: Geir Olsen/NTB/Imago)

Der erste Skiflug-Wettbewerb der Frauen gelingt. In Vikersund segeln 15 Akteurinnen ohne Sturz vom Monsterbakken und dokumentieren: Einer kleinen Serie, wie sie die Männer haben, steht nichts im Wege.

Von Volker Kreisl

Eine Party ist dann gelungen, wenn der Gastgeber an alles gedacht hat, wenn die Gäste zum Gelingen beitragen konnten, ein Gemeinschaftsgefühl entstanden ist und am Ende alle in den Morgenstunden zufrieden nach Hause gehen, wissend, dass diese Stimmung so schnell nicht zu überbieten ist. Die Party der Skifliegerinnen am 19. März 2023 erfüllt diese Kategorien, und noch einige mehr.

Es entstand in diesen Tagen eine Art Gemeinsinn, wie er vielleicht bei Seilschaften herrscht, weil sich jede um ihre Nächste sorgt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Skifliegens trugen die Skispringerinnen einen Vergleich auf einem Monsterbakken aus. Wobei es weniger um den Sieg ging als um den Beweis, dass Frauen in diesem gefährlichen Sport auch dies können: fliegen, und zwar weit und ohne einen Sturz. Der Hauptdarsteller dieses Wochenendes auf der Riesenschanze in Vikersund in Norwegen war also der Wettkampf selbst.

Niemand wollte diejenige sein, die diese Premiere mit einem Sturz kaputt macht

Am Ende hat dieser performt, wie er sollte. Fast alles war enthalten, was zu einem Skispringen gehört - jedoch kein allzu großes Risiko, kein falscher Ehrgeiz. Dafür eine souveräne Siegerin, die Slowenin Ema Klinec, und ein interessanter Kampf um die weiteren Plätze. Am Ende landete die Oberstdorferin Katharina Althaus auf Platz vier, hinter der zweitplatzierten Norwegerin Silje Opseth und der Dritten, Yuki Ito aus Japan. Die beiden anderen aus dem Trio der deutschen Springerinnen, Selina Freitag und Anna Rupprecht, kamen auf die Plätze zehn und 14.

Der Wettkampf hat dann auch immer wieder seine spezielle Bedeutung hervorgehoben, also das, was alle an diesen Tagen spürten: den Wintermantel der Historie. "Es war mega geil, hier zu fliegen und Geschichte schreiben zu dürfen", sagte Althaus. Angespannt bis erleichtert bis aufgekratzt gaben sich die Springerinnen nach gelungener Darbietung im Auslauf, denn keine wollte diejenige sein, die diese Premiere mit einem Sturz kaputtmacht. Fast alle Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren ja bereits überwunden, eigener Weltcup, Weltmeisterschaften, Olympiapremiere 2014, nun fehlten nur noch zwei Höhepunkte im Winter: neben dem Fliegen die Vierschanzentournee. Letztere dauert wohl noch bis zum Jahreswechsel 2024/2025, das Fliegen funktionierte nun trotz Nervosität reibungslos.

Die Aufgabe war durchaus heikel. Was, wenn etwas schiefgeht? Jene älteren Mahner würden sich dann melden, die das Skispringen schon immer als Männersport ansehen oder sich ohne nähere Kenntnisse um die Gesundheit der Springerinnen sorgen. Abgeraten, zumindest fürs Erste, hatten aber auch qualifizierte Beobachter wie der langjährige Fis-Renndirektor Toni Innauer. Er sah viele der Springerinnen als technisch noch nicht so weit entwickelt an, um mit den Kräften des Windes und der Erdanziehung bei diesen Flügen sicher umzugehen.

Althaus ärgerte sich über ihr verpasstes Ziel - die 200-Meter-Marke

Die Organisatoren hatten deshalb auch nur 15 Fliegerinnen zugelassen, nämlich die aktuell Besten im Weltcup, und dies auch unter leichteren Bedingungen. Ein möglicher Erfolgsdruck wurde dadurch genommen, dass die Flugdebütresultate nicht in die Weltcupwertung eingingen, um das Gesamtbild des Winters nicht zu verzerren. Zudem hatte man alles getan, um den Monsterbakken friedlich zu stimmen, mit einem engen Korridor für die Windverhältnisse, weshalb die Fliegerinnen trotz annehmbarer Luftbewegung lieber nochmal warten mussten. Hilfreich war auch der hohe Vorbau in Vikersund, man fliegt kaum höher als drei Meter, womit ein offensives Springen leichter fällt.

Es war also vieles geboten an diesem Vormittag. In Ema Klinec die vielleicht erste Springerin, die offenbar verstanden hat, wie man weit fliegt, wie man im unteren Teil der Reise das Luftkissen spürt und sich so lange wie möglich darauf hält. 226 Meter im ersten und 223 im zweiten Durchgang erreichte sie und blieb die einzige unter allen Flugdebütantinnen, die sofort Weltklasse segelte. Katharina Althaus ärgerte sich später offen über ihr verpasstes Ziel, nämlich die 200-Meter-Marke zu überfliegen, und auch die weiteren Gegnerinnen hatten in mindestens einem Flug noch Fehler im System - was aber wiederum die Spannung auf Höhe hielt.

Der Hauptdarsteller des Tages indes hatte sich gefreut. Die Szenen im Ziel schmeichelten noch einmal diesem gelungenen Wettkampf. Jede Fliegerin wurde nach der Landung von einem Empfangskomitee in die Arme genommen, nicht wie sonst nur vom eigenen Team, sondern von Gratulantinnen kreuz und quer aus den konkurrierenden Teams, man fiel einander in die Arme, hüpfte und klatschte sich ab wie auf einer gelungenen Party.

Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis diese sportliche Seilschaft zur spannenden Gegnerschaft wird. Denn es ist nur der erste Schritt getan, den nächsten setzen die Skifliegerinnen wohl erst wieder in einem Jahr. Bis der Wettkampf hochklassig wird, braucht es noch einige Jahre, es sei denn, die Frauen fliegen wie die Männer mehrmals in der Saison. Der Anfang aber ist gemacht.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusSZ Serie zur Zukunft des Wintersports
:Schnee von morgen

Bald wird es in den Alpen zu warm sein, um im Winter die Pisten zu beschneien. Und dann? Anderswo sind Alternativen zum Schnee schon im Einsatz: Bürsten, Wellen und Kunststoffspaghetti - eine Reise in die Zukunft des Skifahrens.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: