Skifliegen:Die Luft ist dick genug

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Andreas Wellinger steht nach einer langen Rückkehr-Phase endgültig in der Weltspitze. In Oberstdorf erzielt er Bestweiten und wird zweimal Zweiter hinter dem Österreicher Stefan Kraft.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf/München

Das Kissen ist dick. Die Luft trägt Andreas Wellinger verlässlich, und er fliegt darauf immer weiter zu Tal. Er findet unmittelbar vor der Schanzenkante den perfekten Punkt zum Absprung, schlüpft sofort in die Flugposition, nimmt die richtige Dosis aus Höhe und Geschwindigkeit mit - und legt sich auf die Luft, die von vorne an seine Ski strömt.

Beim ersten Skiflugwochenende in diesem Winter hat sich das 21-Jährige derzeit größte Talent in der Sprungabteilung des Deutschen Skiverbandes somit weiter gesteigert und mit zwei zweiten Plätzen den fünften und sechsten Podestplatz in Serie geholt. Wellinger war also schon sehr souverän, aber ein anderer war noch souveräner: Stefan Kraft, der Tourneesieger 2015 aus Österreich. "Ich habe mir mit Krafti einen extrem coolen Wettkampf geliefert. Und wenn man weit fliegt, will man immer mehr", sagte Wellinger. Gebremst hat ihn dann aber die Rennleitung, wegen Windes wurde der zweite Durchgang gestrichen.

Somit zählte nur der erste Teil: Wellinger war mit 238 Metern Schanzenrekord gesprungen, eine Weite, in der eine Telemarklandung zu gefährlich war. Die vorgeschriebenen Abzüge musste Wellinger hinnehmen, Kraft landete darauf zwar kürzer, aber mit geringerem Anlauf und eleganterer Landung. Schon am Samstag hatte Wellinger das Publikum im neu angelegten Rund der renovierten Heini-Klopfer-Schanze verzückt. Und auch wenn er eine Woche zuvor in Willingen bei ebenfalls idealen Bedingungen und vor grandioser Kulisse den zweiten Weltcupsieg seiner Karriere gefeiert hatte, so waren seine Vorführungen beim Oberstdorfer Skifliegen die nächste Steigerung.

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

In der idealen Flugposition: Andreas Wellinger in Oberstdorf.

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(Foto: Christof Stache/AFP)

Beim ersten Skiflugwochenende in diesem Winter steigert sich das 21-jährige größte Talent in der Sprungabteilung des Deutschen Skiverbandes weiter.

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Schon am Samstag fliegt Wellinger am weitesten von allen, stellt mit 234,5 Metern einen neuen Schanzenrekord auf...

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

...und freut sich nach der Landung über seinen großen Erfolg.

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Am Ende des ersten Tages in Oberstdorf steht Andreas Wellinger (li.) als Zweiter auf dem Podest. Erster wird Stefan Kraft (M.) aus Österreich, Dritter der Pole Kamil Stoch.

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(Foto: Matthias Schrader/AP)

Am Sonntag gibt es nur noch einen Durchgang - der zweite wird wegen Regen und Windes abgesagt.

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(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Am Ende holt Wellinger erneut den zweiten Platz und verbessert den Rekord auf der Heini-Klopfer-Schanze noch einmal.

Wellinger flog schon zum Auftakt am weitesten, es war mit 234,5 Metern neuer Schanzenrekord, und er freute sich, wie noch nie als landender Skispringer. Sonst ist er eher ein bedächtiger Jubler, nun geriet aus dem Häuschen, beim Abbremsen legte er sich zurück und riss die Arme in die Höhe. Dass er am nächsten Tag noch einmal erhöhen würde, war nur logisch. Der Ruhpoldinger ist im Erfolgsfluss, er hat nach seinem heftigen Sturz vor zweieinhalb Jahren lange genug an der Rückkehr unter die Besten gearbeitet. Jetzt, sagt Bundestrainer Werner Schuster, "hat er das Skispringen wieder verinnerlicht".

Skispringen ist immer auch ein Wagnis, Glück und Verzweiflung gibt es wechselweise, und im Skifliegen besonders. Einen Rückschlag erlitt am Sonntag Gregor Schlierenzauer, der Weltcup-Rekordsieger aus Österreich. Er stürzte im Training zum zweiten Oberstdorfer Weltcup. Nach dem Aufsprung hatte er das Gleichgewicht verloren, er fiel seitwärts zu Boden und blieb zunächst regungslos liegen.

Per Unfallwagen wurde der 27-Jährige ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht, wo nach längerer Untersuchung am frühen Abend eine schwere Brustprellung sowie ein Hämatom im rechten Oberschenkel diagnostiziert wurde. Befürchtungen, Schlierenzauers vor neun Monaten operiertes Knie könnte in Mitleidenschaft gezogen worden sein, bestätigten sich nicht. Er wird aber eine weitere Untersuchung in Innsbruck vornehmen lassen. Vor einem Jahr hatte Schlierenzauer noch in einem Motivationsloch gesteckt, und sich später beim Skifahren auch noch das Kreuzband gerissen. "Ich hoffe, er ist bei der WM dabei", sagte Österreichs Trainer Heinz Kuttin.

Eine halbe Stunde später begann dann der erste Durchgang, ein Wettkampf, der sich ähnlich entwickelte, wie schon der am Tag zuvor. Flug-Spezialisten wie der Slowene Jurij Tepes, die auf den kleineren Schanzen zu wenig Zeit zum Schweben haben, brillieren für den Moment. Und manche Topleute, die zuletzt an mysteriösen Formeinbrüchen litten, nutzen das Fliegen als eine Art Heilmittel. Peter Prevc aus Slowenien, der Dominierende des vergangenen Winters, zeigte an beiden Tagen, welch grandioses Fluggefühl er hat und sprang mal wieder unter die besten Sechs. Der Rest der deutschen Mannschaft dagegen hielt zu den Besten weiterhin einen gewissen Abstand.

Markus Eisenbichler (Siegsdorf) und Richard Freitag (Aue) steigern sich in diesen Tagen zwar, aber sie haben noch nicht die Konstanz, die Wellinger gerade auszeichnet. Freitag, der in Zakopane nach zwei Jahren mal wieder auf das Podest gesprungen war, hat sich danach in der Region um Weltranglistenplatz zehn eingependelt, einer guten Vorführung folgte eine mäßiger Platz 23 in Willingen, nun, beim ersten Skifliegen des Winters kam er auf Platz zehn und elf. Ähnlich ergeht es Eisenbichler, seine Kurve zuletzt: Rang 22, 4, 18, 8 und 22. Der viertbeste in der Mannschaft, Stephan Leyhe aus Willingen, hat seine Form zuletzt ein wenig verloren, er wurde nun 34. und 29., er ist kein großer Flieger. Aber er bleibt eine verlässliche mittlere Größe, und für die WM in Lahti/Finnland in zweieinhalb Wochen dürfte er trotzdem gesetzt bleiben, auch weil Bundestrainer Werner Schuster der bislang beste Flieger Severin Freund wegen Kreuzbandrisses fehlt.

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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