Skifahrerin Petra Vlhova:19 000 Schwünge und eine "Spionage-Affäre"

Ski alpin: Weltcup Slalom der Damen

Freundliche Gesichter - nur für die Kameras? Mikaela Shiffrin (l.) und Konkurrentin Petra Vlhova.

(Foto: Martin Baumann/dpa)
  • Petra Vlhova ist zur Rivalin von Mikaela Shiffrin aufgestiegen, in Flachau fügt sie der Favoritin die zweiten Slalom-Niederlage in Serie zu.
  • Längst wird das Duell von Nebengeräuschen überlagert.

Von Johannes Knuth, Flachau

Die slowakischen Unterstützer bewiesen große Ausdauer. Sie schwenkten ihre Fahnen, sie bliesen herzhaft in ihre Tröten, der Zielraum verströmte phasenweise das Flair eines afrikanischen Fußballstadions. Aber die Anhänger mussten sich ja noch eine Dreiviertelstunde warm halten, ehe Petra Vlhova an der Reihe sein würde, ihre Landsfrau, die beim Nachtslalom in Flachau die beste Zeit im ersten Lauf gefahren war und nun als letzte Starterin in den zweiten aufbrechen würde. Manchen Athleten würden da die Nerven vibrieren, der Weltcup in Flachau mit seinen knapp 15 000 Zuschauer fühlt sich meist wie ein Volksfest an, durch das zufällig eine Rennpiste verläuft. Am Dienstag war es ein sehr slowakisches Fest.

Aber Petra Vlhova, 24, aus Liptovsky Mikulas in der Zentralslowakei hat das in der jüngeren Vergangenheit immer wieder unterstrichen: dass sie längst nicht nur eine Fahrerin für ein Rennen ist, sondern für einen Winter und darüber hinaus. Vor einem Jahr, bei der WM in Are, gewann sie Gold im Riesenslalom und Silber in der Kombination, es waren die ersten Einzelmedaillen überhaupt für ihren kleinen Verband. Sie ist die Einzige, die Mikaela Shiffrin in den vergangenen zwei Jahren im Slalom bezwingen konnte, in dem die Amerikanerin 43 ihrer 62 Weltcupsiege beschafft hat.

Hat Vlhova Shiffrins Training ausspähen lassen?

Zuletzt gewann Vlhova sogar zwei Mal hintereinander: in Zagreb und am Dienstagabend in Flachau, auch wenn sie am Ende nur 0,10 Sekunden vor der Schwedin Anna Swenn-Larsson und 0,37 vor Shiffrin ins Ziel rettete. "Er hat alles gesetzt, was ich nicht mag", sagte Vlhova über den kurvigen Kurs, den Shiffrins Trainer Mike Day im zweiten Lauf ausgeflaggt hatte (die Kurssetzer werden vor der Saison ausgelost).

Dann fügte Vlhova an: "Aber ich habe gewonnen."

Was für eine Frau ist das also, die da gerade langjährige Gewissheiten durcheinanderwirbelt? Der Pfad zu Antworten führt zu Vlhovas gewaltiger Kraft, zu ihrem Arbeitseifer und zu Livio Magoni. Der Italiener leitet seit drei Jahren Vlhovas Privatteam, und als ein Reporter ihn kürzlich in kleiner Runde fragte, was das Ausgefallenste sei, das er über seine Vorgesetzte berichten könnte, sagte er: "Keine Ahnung. Sie ist recht einfach gestrickt." Er meinte es wohlwollend. Vlhova sei nun mal voll und ganz Athletin, sie trainiere, esse, schlafe. Er kenne sie fast nur im Trainingsoutfit.

Vlhovas Heimat liegt eine halbe Fahrstunde von Jasna entfernt, in dem kleinen Skiresort lernte sie den Sport, 2014 wurde sie dort Junioren-Weltmeisterin im Slalom. Ihre Eltern lenkten früh alles Geld, das das bescheidene Familienbudget hergab, in die Karriere der Tochter, im Alpinsport muss man früh in gute Trainer, schnelles Material und lange Reisen investieren. "Ich habe das Glück, dass meine Eltern und mein Bruder ihre Träume für meine geopfert haben", hat Vlhova zu Saisonbeginn einem slowakischen Magazin gesagt: "Ansonsten wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Ich hoffe, dass ich das eines Tages zurückzahlen kann." Und das, sagt Magoni, ist durchaus wörtlich gemeint: Vlhovas Preisgelder, 76 000 Euro allein in Flachau, fließen auch in die Familie zurück.

Am Anfang, sagt Magoni im Gespräch, "war es hart", das Privatteam am Leben zu halten, ohne Hilfe durch den Verband. Aber mittlerweile haben sie längst keine Sorgen mehr, erfolgreiche Sportler werden in der Slowakei schnell zu Volkshelden erhoben. Sieben Leute arbeiten Vlhova exklusiv zu, unter anderem ein Physiotherapeut, zwei Servicekräfte, die die Ski präparieren, ein Co-Trainer, Vlhovas Bruder, der als Teammanager fungiert, und Magoni, der für alles zuständig ist, was das Training betrifft. "Ich sehe eine Läuferin wie eine Maschine", sagt er, "meine Aufgabe ist es, sie wie ein Auto zu tunen, damit sie alle PS auf die Straße bringt." Seine Trainingslehre - Schwünge, Schwünge, Schwünge - treffe auf eine tief verwurzelte Arbeitermentalität der Athletin. Bis Anfang Januar habe Vlhova 19 000 Trainingsschwünge im Slalom absolviert, 12 000 im Riesenslalom, allein in diesem Winter.

"Ich muss oft schauen, dass sie sich auch mal ausruht"

"Ich muss oft schauen", sagt Magoni, "dass sie sich auch mal ausruht." Zuletzt habe er ihr das Schlagzeugspielen beigebracht, für die Koordination. Vlhova drückt die Skikanten mit ihrer Kraft oft noch zu fest in den Schnee, "ihr fehlt noch ein bisschen das Feingefühl", sagt Magoni, wie ein Sportwagen, dessen Heck auf der Rennstrecke ausbricht.

Was, wenn sie erst mal alle PS auf die Straße kriegt?

Magoni redet langsam und bedächtig, aber wenn man ihn im Weltcup erlebt, hat er alles im Blick, wie eine Katze. Vor einer Woche berichtete das Portal Ski Racing News, dass Vlhovas Team Shiffrins Training immer wieder filme. Magoni gab das auch zu: Er wolle nicht nur lernen, wie die Amerikanerin fahre, sondern wie ihr Team ihr zuarbeite - das sei nicht ganz die feine Art, aber nun mal auch sein Job. Shiffrin war pikiert, sprach von "geistigem Eigentum", das plagiiert werde (was nicht nur ihr Landsmann Ted Ligety "lächerlich" fand). Von einer "Spionage-Affäre" war bald die Rede, das ließ Magoni wiederum "überrascht und enttäuscht" zurück, im Weltcup filme doch ständig jeder jeden. Tatsächlich verbietet kein Paragraf das Gegnerstudium, die Geheimnistuerei spielt sich meist in den Wachskabinen ab, bei der Präparation der Ski. Der Ski-Weltverband Fis, sagt Magoni, bitte ihn seit zwei Jahren trotzdem immer wieder, sich zurückzuhalten - "aber es gibt diesbezüglich nun mal keine Regel". Das sehen nicht wenige im Weltcup ähnlich.

Shiffrin war in Flachau um Deeskalation bemüht: "Da haben die Medien mal wieder etwas Größeres draus gemacht, als es ist", sagte sie und lachte. Nach dem Rennen war sie den Tränen nahe: Ihre sonst so technisch blitzblanken Schwünge waren ihr sichtbar schwer von der Hand gegangen, und zwei Slaloms hintereinander nicht zu gewinnen, das war ihr zuletzt vor fünf Jahren widerfahren. Sie wolle auch klarstellen, dass sie ihre Trainer gebeten habe, niemals einen Lauf zulasten einer Konkurrentin zu setzen, sagte sie. Außerdem fahre Vlhova derzeit eh viel zu gut, als dass man ihr mit einer derartigen Kriegslist beikommen könne. Die Slowakin betonte später noch einmal, dass der Kurs alles gebündelt habe, was ihr nicht schmecke, aber sie respektiere Shiffrin, und das Duell sei ja auch gut für den Sport.

Sie hat langfristig einen Sieg im Gesamtweltcup im Blick

Erst als sie zur Beziehung der beiden befragt wurde, lächelte sie betreten: "Ich würde gerne mit ihr befreundet sein, aber derzeit ist das unmöglich", sagte sie dann, "weil wir so harte Konkurrenten sind."

In der Gesamtwertung führt Shiffrin immer noch mit mehr als 200 Punkten Vorsprung, das ist noch recht komfortabel, im Slalom-Weltcup ist ihr die Slowakin aber schon auf 80 Punkte nahegekommen. In diesem Winter, sagt Magoni, wolle man erst mal eine Disziplinwertung im Weltcup gewinnen, das hat noch kein slowakischer Skirennfahrer geschafft. Langfristig habe man schon die große Kugel im Blick, aber Magoni weiß, wie schwer das wird. Er trainierte einst Tina Maze, auch in der Saison 2012/13, in der die Slowenin mit bis heute unerreichten 2414 Zählern gewann.

Als Vlhova in Flachau gefragt wurde, wie sie sich auf das immer prickelndere Duell mit Shiffrin vorbereite, sagte sie übrigens: "Ich habe einfach noch mehr trainiert."

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