Das Finale der Skicross-WM in St. Moritz hatte mal wieder einiges zu bieten, was Skicross so einzigartig macht: Einen Medaillenkandidaten, der schon am ersten Hindernis einen Ski verlor, zwei Konkurrenten, die sich ein paar Schwünge später gegenseitig auf die Skier fuhren, sodass der Dritte im Bunde ausweichen und am Tor vorbeirauschen musste. Was in einer Siegerehrung mündete, vor der der vermeintliche Zweite disqualifiziert wurde, und der mit gewaltiger Verspätung als Dritter ins Ziel Gerutschte doch noch zum WM-Zweiten deklariert wurde. Und damit herzlichen Glückwunsch, Tobias Müller!
Ein Silbermedaillengewinner, mit dem auch Experten nicht gerechnet hatten: Der 32-jährige Oberstdorfer, vielfacher Telemark-Weltmeister, meinte nach getaner Tat: „Ich kann’s noch nicht ganz fassen. Ich hatte eine schwierige Vorbereitung und solche Schmerzen, dass ich noch mal rausgehen musste. Hinten raus bin ich dann immer mehr ins Fahren gekommen. Aber für mich selbst ist es schon auch eine Überraschung.“ Heli Herdt, der Sportliche Leiter der DSV-Skicross-Abteilung, ordnet das so willkommene wie unerwartete Edelmetall wie folgt ein: „Eine Wahnsinns-Story! Tobi hat sich im letzten Frühjahr die Hüfte operieren lassen, ist mit relativ wenig Skitagen zum ersten Weltcup nach Val Thorens, hat es danach wieder bleiben lassen, drei Rennen ausgelassen, einen Reha-Block zum Aufbauen eingelegt, ist erst auf der Reiteralm wieder eingestiegen, und ab da ist es ihm deutlich besser gegangen.“
Wohlwollend formuliert, angesichts folgender Platzierungen: Rang 40 und 34 in Veysonnaz, 33 und zwölf im Val di Fassa, 37 und 43 in Georgien sowie acht und elf in Kanada. Klar, aufsteigende Tendenz, aber als Favorit reiste Müller nun wahrlich nicht zur WM, hatte es in acht Weltcup-Jahren doch zu nicht mehr als drei Top-Ten-Platzierungen gereicht.

Doch dann lief es einfach im Engadin. Das irre Finale mit den Kollegen Youri Duplessis Kergomaard (später disqualifiziert), Ryo Sugai (früh gestürzt, dennoch Bronze gewonnen) und dem Schweizer Sieger Ryan Regez beschreibt Müller so: „Ich wusste schon: Es wird eng. Der Franzose kam von innen und hat mir so den Weg abgeschnitten, dass ich keine Chance mehr hatte, das Tor zu kriegen. Ich dachte, dass mir diese Aktion jetzt eine Medaille gekostet hat und war erst mal richtig sauer, habe dann aber realisiert, dass es den Japaner vorher geschmissen hat, heißt: Es müsste Bronze sein. Aber weil der Franzose dann eine gelbe Karte bekam, ist es jetzt Silber für mich. Ich bin einfach überglücklich.“ Sportchef Herdt sagt: „Dass er als Leichtgewicht der Mannschaft auf einer relativ flachen Piste wie in St. Moritz so performen kann, war überhaupt nicht zu erwarten.“ Den verrückten Rennverlauf ordnet er so ein: „Da darf das Massel auch mal auf unserer Seite sein. Hatten wir oft genug nicht gehabt. Ein gewisses Quäntchen Glück muss man sich manchmal erarbeiten.“ Was gerade für den Müller Tobi gelte, der mit 32 seine erste WM fuhr: „Davor war er entweder verletzt oder es hat nie gelangt“, sagt Herdt, „er war immer dabei, aber nie so richtig ganz vorn.“
Daniela Maier gewinnt nach WM-Bronze auch ein Rennen beim Saisonabschluss und wird Dritte im Gesamtweltcup
Dort hatte man eher Müllers Teamkollegen Florian Wilmsmann erwartet. Doch so erfolgreich der Tegernseer in dieser Saison auch war (drei Weltcupsiege, sechs Podiumsplätze, 14 Top-Ten-Ergebnisse): Bei der WM reichte es nur zu Platz zwölf. Als Gesamt-Führender war er zudem ins letzte Weltcup-Wochenende ins schwedische Idre Fjäll gereist – und nach einem enttäuschenden (Aus im Achtelfinale) und einem guten Rennen (Platz sieben) als Gesamt-Dritter wieder nach Hause gekommen. „Ich bin dennoch stolz auf mein Skifahren in dieser Saison“, kommentierte Wilmsmann die letzten seiner insgesamt 19 Weltcup-Rennen: „Jetzt ist der Tank total leer, und ich bin froh, dass es vorbei ist.“
Sein nächster Tagesordnungspunkt: Urlaub in Indonesien. Sportchef Herdt lobt: „Noch nie war ein Deutscher so nah an einer Kugel dran. Der Wilmsi war zwar schon mal Dritter im Gesamtweltcup, aber so eine starke Saison mit so vielen Siegen ist er noch nie gefahren. Wenn man sieht, auf welchem Niveau die besten acht fahren: Da passt keine Handbreit dazwischen.“ Am Ende fehlten dem Mann vom TSV Hartpenning in der Gesamtwertung nur etwas mehr als hundert Punkte auf Sieger Reece Howden.

Auch bei den Frauen ging es eng zu: Daniela Maier holte in Schweden ihren dritten Saisonsieg und landete in der Gesamtwertung hinter der Schweizerin Fanny Smith auf Platz zwei. „Das war meine bislang beste Saison“, sagte Maier, „daraus kann ich viel lernen. Gut, dass auch das Ende so positiv war, das gibt mir viel Selbstvertrauen.“ Sportchef Herdt jubelt: „Das war wohl die stärkste Saison, die wir mit den Frauen je hatten. Dazu noch WM-Bronze von Dani und Silber von Tobi: ziemlich coole Ausbeute, da kann man nicht meckern.“