Skicross:Spaß im Pulk

Sport Bilder des Tages FREE STYLE - FIS SX WC Idre IDRE,SWEDEN,23.JAN.21 - FREESTYLE SKIING - FIS World Cup, Ski Cross,

„Wenn man dann mit 80 im Rudel den Berg runter rast und nebendran ist noch einer: Damit kommt nicht jeder gleich klar.“ – Niklas Bachsleitner (rechts).

(Foto: Daniel Götzhaber/GEPA pictures/imago)

Der Höhepunkt einer ungewöhnlichen Sportler-Laufbahn: Nach zwei Kreuzbandrissen innerhalb eines Jahres und einer mittelprächtigen Alpin-Karriere schafft es Niklas Bachsleitner beim Skicross-Weltcup in Idre-Fjäll aufs Podium. Dabei hilft ihm seine BMX-Erfahrung.

Von Thomas Becker

Dass ihm ein paar Zentimeter fehlten, daran hat sich Niklas Bachsleitner gewöhnt. "Was Größe und Gewicht angeht, war ich ein brutaler Spätentwickler", sagt der Partenkirchener, der in Grainau lebt. 1,83 Meter groß ist der 24-Jährige, was völlig ausreicht für seinen Sport, aber am Wochenende hätten ihm ein wenig längere Arme einen noch größeren Triumph beschert. 16 Hundertstel lag er beim Skicross-Weltcup in Idre-Fjäll (Schweden) hinter dem Sieger, der Zweite lag um Daumenbreite vor ihm. Dabei hatte Bachsleitner das ganze Rennen über auf Platz vier gelegen, ehe er sich immer näher an die Führenden heran saugen konnte. "Ich hatte immer Windschatten. Das ist in Idre das Wichtigste. Wenn man den richtig nutzt, kann es weit vorgehen", sagt Bachsleitner, "ich bin mehr als happy." In der ersten richtigen Weltcupsaison das erste Podium zu erreichen, nach zwei Kreuzbandrissen innerhalb eines Jahres und einer mittelprächtigen Alpin-Karriere - viel Geld hätte wohl niemand auf diese Entwicklung gesetzt.

Vier Winter hatte er sich in Slalom und Riesenslalom in Fis-Rennen versucht, mit wenig Erfolg

Er auch nicht. Mit 19 stellte er die Rennski frustriert in die Ecke. Vier Winter hatte er sich in Slalom und Riesenslalom in Fis-Rennen versucht, mit wenig Erfolg. "Für den DSV-Kader war ich nicht gut genug", sagt Bachsleitner, "und ich war körperlich unterlegen: 1,50 Meter groß, dann diese Skier mit 30 Metern Radius und Startnummer 100! Als dann der Wachstumsschub kam, bin ich gar nicht mehr klar gekommen mit meinem Körper." Nachzulesen in den Ergebnislisten: Einmal hatte er 18 Ausfälle hintereinander. "Da hat's überhaupt keinen Spaß mehr gemacht." Schlussstrich also. Fach-Abi nachgeholt, Ausbildung zum Bürokaufmann, Skilehrerprüfung, vormittags Skischulkurse, nachmittags Renntraining für seinen Klub, den SC Partenkirchen. "Ich war den ganzen Tag am Hang", blickt er zurück, "das machen in Garmisch ja viele nach der Karriere." Nur dass seine doch extrem früh geendet hatte.

Was nun? Seine Idee: raus in die große weite Welt. Wie die Schwester wollte er nach dem Abi nach Australien, für ein Jahr. Doch dann schwärmte ihm sein Kumpel Tobias Baur, zuletzt Sechster beim Weltcup in Arosa, mal wieder von seinem Sport vor: Skicross, diese winterliche Spielart des römischen Wagenrennens, Mann gegen Mann mit Tempo 80 durch Steilkurven, über Schanzen und Wellen. Das reizte ihn dann so sehr, dass er Down Under auf die Warteliste setzte. Der neue Plan: "Statt ein Jahr Australien spendiere ich mir ein Jahr Skicross und probiere es mal. Wenn ich in den Kader komme, mache ich weiter, wenn nicht, hab' ich's probiert." Mutig, findet Heli Herdt, der Sportliche Leiter der DSV-Skicrosser: "Er ist ein Jahr auf eigene Kosten gefahren, hat einfach Spaß daran gehabt." Eine Erklärung für Platz drei in Idre hat Herdt auch parat: "Niklas kommt vom BMX, die fahren ja auch so im Pulk. Dieses Wellenfahren, dieses Pumpen ist genau das, was man in Idre braucht. Das ist schon sein Ding. Da hat Niklas Erfahrungswerte."

Schon mit fünf sauste Klein-Niklas mit dem BMX-Rad über die Bahn in Garmisch, er kam am Anfang kaum über die Hindernisse. Mit sechs war er schon Zweiter in der Bayernpokal-Serie, mit acht Zweitbester in Südbayern, mit neun fuhr er für das Team Crupi Bundesliga-Rennen, mit zehn wurde er Fünfter bei der Deutschen Meisterschaft. "In Garmisch gab's noch zwei andere Gute, jedes Wochenende waren wir auf Rennen", erinnert er sich. Mit 13, 14 war Schluss, der Ski-Rennlauf wurde wichtiger - und jetzt hilft ihm die Wellenreit-Erfahrung beim Skicross: "BMX hat mir enorm geholfen, Fuß zu fassen. Es ist ja mehr oder weniger das Gleiche, nur auf Skiern und bergab. Aber dieses Wellen- und Sprünge-Lesen, dieses Gefühl, dass jemand hinter, vor oder neben dir ist, das ist fast genauso." Das sei schwierig für Disziplinwechsler vom Alpinen: "Die sind in der Quali gut, wenn man den Kurs allein fährt, aber wenn man dann mit 80 im Rudel den Berg runter rast und nebendran ist noch einer: Damit kommt nicht jeder gleich klar."

"Hey, da kommt einer, mit dem können wir was anfangen!", wusste der DSV-Sportleiter Heli Herdt

Bachsleitner schon. Seit seinem Debüt 2017 geht es bergauf, trotz zweier Kreuzbandrisse. Heli Herdt sagt: "Letztes Jahr hat er gute Ergebnisse im Europacup gebracht, ist nun im Weltcup mit hoher Startnummer in die Top Ten gefahren. Da wussten wir: Hey, da kommt einer, mit dem können wir was anfangen!" Den Charakter des Partenkircheners, der bei Landespolizei in Ausbildung ist, beschreibt er so: "Harter Arbeiter, konsequent, zielstrebig, umgänglich, ein Teamplayer, der die anderen mitzieht, wenn's drauf ankommt. Und ein gutes familiäres Umfeld, das voll hinter ihm steht. Kurz: Es hat sich alles sehr positiv entwickelt."

Wer weiß, wo das noch hin führt. Schließlich findet die WM im Februar ebenfalls in Idre-Fjäll statt. "Da brauche ich mich nicht zu beschweren", sagt Bachsleitner lachend, "am Anfang war mein Ziel, mich für jedes Rennen zu qualifizieren, also Top 32 von 50, 60 Startern. Aber beim Weltcup in Arosa habe ich den Anspruch gleich mal auf Top 16 hochgesetzt. Das Podest hat Hunger gemacht auf mehr." Stillen kann er den Appetit schon am Wochenende im Schwarzwald, wo der nächste Weltcup ansteht. Niklas Bachsleitner wird keinen Zentimeter herschenken.

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