Wenn man so will, war jenes Skicross-Rennen, das sich am 17. Februar 2022 bei den Olympischen Spielen in China zutrug, das längste in der noch jungen Geschichte dieser alpinen Disziplin. Und will man einen draufsetzen, könnte man festhalten, dass es immer noch nicht zu Ende ist. Denn was sich da ereignete in den Bergen von Zhangjiakou, knapp 200 Kilometer nordwestlich von Peking, ist jetzt schon als einmaliger Vorgang in die Historie dieses rasanten alpinen Sports eingegangen. Was ist geschehen?
Daniela Maier, deutsche Hoffnung in der Frauenkonkurrenz, erfüllte alle Erwartungen und zog souverän ins Finale ein. Dort wurde sie kurz vor dem Zielsprung von der Schweizerin Fanny Smith behindert, die einen Ski abspreizte und Maier so aus dem Gleichgewicht brachte. Maier kam als Vierte ins Ziel, doch die Rennjury überprüfte die Aktion, kam zu dem Schluss, dass die Aktion der Schweizerin regelwidrig war und sprach Maier die Bronzemedaille zu. Smith und der Schweizer Verband legten Protest gegen die Wertung ein, dem gab die Berufungskommission des Skiweltverbands (Fis) statt und setzte Smith wieder auf den Bronzerang.
Medaillen werden bei Winterspielen aber vom Internationalen Olympische Komitee (IOC) vergeben, was zu der grotesken Situation führte, dass die 26-jährige Deutsche vom IOC als Dritte geführt wird, in den Listen der Fis aber hinter Smith als Vierte. Dagegen hat wiederum der Deutsche Skiverband (DSV) Einspruch erhoben, seither liegt der Fall beim Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne. Das endgültige Ende dieser kuriosen Wettfahrt im fernen China ist also weiterhin offen.
Ein Witz.
Heli Herdt, der Sportliche Leiter der deutschen Skicrosser, die an diesem Wochenende in Val Thorens/Frankreich in die Weltcup-Saison starten und im Februar kommenden Jahres die Weltmeisterschaft als Höhepunkt haben, kann darüber nicht lachen. "Wir gehen im Moment davon aus, dass die Medaille bei Dani bleibt", aber natürlich habe die Ungewissheit bei seiner Athletin Spuren hinterlassen und die Saisonvorbereitung im Sommer gestört. "Klar, ein bisschen nervt es, wenn das Thema noch aufkommt", sagt die 26-Jährige, aber mittlerweile könne sie sehr gut damit umgehen: "Ich glaube meine Eltern und meine Familie nervt es mehr. Sie werden eigentlich täglich über das Thema ausgefragt."
Vielleicht kommt ihr dabei zugute, dass beim Skicross eine große mentale Wettkampfhärte unabdingbar ist, trotz des Hickhacks zeigt sich Maier in beachtlicher Frühform. Bei den ersten beiden Europacuprennen zum Saisonstart belegte sie Platz eins und zwei - in Anwesenheit von Smith und der Olympia-Zweiten Marielle Thompson. Zwar fehlte die dominierende Schwedin Sandra Näslund, die Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Gewinnerin des Skicross-Gesamtweltcups. Aber auch in den Qualifikationen zu den ersten beiden Weltcups am Donnerstag und Freitag in Frankreich war Maier als Vierte und Achte aussichtsreich dabei.
Sportdirektor Heli Herdt formuliert ambitionierte Ziele: "Wir wollen das Podest angreifen. In jedem Rennen."
Herdt formuliert seine Ziele daher durchaus offensiv: "Wir wollen das Podium angreifen, in jedem Rennen, bei den Frauen und den Männern." Was natürlich auch für die WM im Februar in Bakuriani in Georgien gelte. Und nicht zuletzt die Bronzemedaille von Maier, eine von zweien aller DSV-Alpinen in Peking, habe dem aufstrebenden Skicross Schub gegeben: "Wir sind mit den Alpinen auf Augenhöhe", erklärt Herdt, was Struktur und Versorgung betreffe "gibt es keinen Unterschied mehr".
Bei den Männern ruhen die Hoffnungen auf Florian Wilmsmann, der vergangene Saison seine ersten beiden Weltcuprennen gewonnen hat, eines davon auf der WM-Strecke in Bakuriani. Auch Tim Hronek, Niklas Bachsleitner, Tobias Müller oder Routinier Daniel Bohnacker, der ebenfalls bislang zwei Weltcupsiege errungen hat, traut Herdt Spitzenplätze zu. Die gab es immer wieder, zu arbeiten gelte es nun an "der Konstanz", erklärt der Sportdirektor.

Noch stärker schätzt er das kleinere Frauenteam ein. Lag in den vergangenen Jahren die Hauptlast auf den Schultern von Heidi Zacher, die nach langer Leidenszeit und vielen Verletzungen im Sommer zurückgetreten ist, stehen nun Johanna Holzmann und eben Maier im Fokus. "Meine Verfassung ist sehr gut, ich fühle mich gut vorbereitet, sowohl körperlich, mental und auch skifahrerisch", sagt Maier. "Deshalb sind meine Saisonziele, dass ich meine Topleistungen und meine Skicross-Technik konstant abrufen kann."
Es sei Zeit, dass es endlich wieder losgehe, findet die Furtwangenerin, die in der Nähe von Rosenheim lebt. Peking sei für sie abgeschlossen: "Die Medaille liegt wohlbehütet bei mir, ich bin weiterhin sehr stolz auf meine Leistung." Auch das Verhältnis zu Fanny Smith sei intakt, Fair Play im Skicross ohnehin besonders wichtig. Im Gegensatz zu den herkömmlichen alpinen Wettkämpfen stehen im Skicross vier Athletinnen im direkten Wettkampf nebeneinander, was oft zu heiklen Situationen und schweren Stürzen führt. Fairness hat daher bei aller Rivalität große Bedeutung: "Man kann nicht einfach die Ellbogen ausfahren und den Gegner vom Podest checken", erklärt Maier.
Herdt unterstreicht das: "Im Skicross muss man sich mehr als in anderen Disziplinen aufeinander verlassen können, es entwickelt sich eine gewisse Sozialstruktur." Die Fahrerinnen seien sich der Verantwortung untereinander bewusst, jeder müsse sich "ein Stück weit" unterordnen, was so mancher "auf die harte Tour" habe lernen müssen, sagt Herdt: "Denn letztlich geht es darum, gesund runterzukommen."