Skicross:Baby-Face mit offener Rechnung

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"Ein junger Kerl, für sein Alter extrem abgezockt": Florian Wilmsmann (vorne) fuhr am vergangenen Wochenende beim Weltcup im Nakiska Ski Resort in Kanada auf die Plätze zwei und drei. (Foto: Jeff Mcintosh/Zuma Press/Imago)

Der Hartpenninger Skicrosser Florian Wilmsmann fährt in bestechender Form zu den Olympischen Spielen nach Peking - auch weil er inzwischen gelernt hat, auch mal das Tempo herauszunehmen.

Von Thomas Becker

Wohl jeder Münchner kennt Hartpenning, zumindest vom Durchfahren. Wer ans Brauneck, zum Kloster Reutberg oder zum Kirchsee ausflügelt, fährt da zwischen Holzkirchen und Bad Tölz durch. Überregionale Bekanntheit hat der Weiler vor knapp sechs Jahren erlangt, als Florian Wilmsmann beim Weltcup-Zirkus der Skicrosser erstmals in die Manege stieg. Zwei Siege, zwei zweite und zwei dritte Plätze hat der 25-jährige Junioren-Weltmeister von 2017 seitdem eingefahren, im vergangenen Winter raste er sechs Mal in die Top Ten, wurde Vierter im Gesamtweltcup. Für die Hall of Fame des TSV Hartpenning hat das nicht gereicht. Da stehen bislang nur drei Damen und Herren aus der Welt des Stockschießens, Welt- und Europameister. Doch nun bietet sich Wilmsmann eine Chance: Zu den Olympischen Spielen nach Peking reist der Viertplatzierte des Gesamtweltcups durchaus mit Medaillenchancen.

Doch bevor es für die Skicrosser wieder nach China geht, steht an diesem Wochenende noch der letzte präolympische Weltcup an, in Idre Fjäll. Mit der Strecke in Mittelschweden hat Wilmsmann noch eine Rechnung offen: Ausgerechnet bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Februar erwischte er dort in seinem bis dato besten Winter einen rabenschwarzen Tag und wurde 17. Auch in Sachen Olympia hat der Oberbayer noch Luft nach oben: 2018 in Pyeongchang versemmelte er gleich seine erste Fahrt und landete nur auf Platz 25.

Nun also Peking, wo er mit den ebenfalls nominierten Teamkameraden Niklas Bachsleitner (Skiclub Partenkirchen), Daniel Bohnacker (Ski-Club Gerhausen) und Tobias Müller (SC Fischen) schon Ende November beim Weltcup war, im Resort Secret Garden, 200 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt. Aus sportlicher Sicht sei dort alles "sehr gut gelaufen", sagt Heli Herdt, der Sportliche Leiter der deutschen Skicrosser, "obwohl die dort noch nie so eine Veranstaltung organisiert haben. Der Rennleiter konnte kein Wort Englisch, brauchte für alles einen Übersetzer."

Beim Weltcup in Peking wurde ein DSV-Trainer Corona-positiv getestet - und musste eine Blutentnahme aus 14 Stellen der Hüftarterie, Röntgenaufnahmen der Lunge sowie PCR-Tests per Rektalabstrich über sich ergehen lassen

Und die Begleitumstände des Wettkampfs seien schon grenzwertig gewesen. Das fing schon vor der Abreise an - mit einem acht Millimeter langen Einriss auf der Rückseite eines Reisepasses: keine Chance auf ein Visum, und das wenige Tage vor Abflug. Wenn es denn nur der formale Aufwand vorab gewesen wäre! Das Doggy Bag von Air China: kaum genießbar, also Selbstversorgung mit Brotzeit und Müsli. Nach acht Stunden Flug saßen die Sportler weitere siebeneinhalb Stunden am Flughafen fest, bis alle 350 Passagiere getestet waren. Endlich samt Gepäck im Bus dauerte es nochmal eine Stunde, bis der losfuhr - um nach ein paar Metern in der nächsten Kontroll-Schleuse wieder stehen zu bleiben, für eine weitere halbe Stunde. Man habe dem Busfahrer klar gemacht, "dass wir so langsam mal aufs Häusl müssen", erzählt Herdt, "aber der durfte die Tür nicht aufmachen". Und dann klingelte Herdts Telefon.

Einer der Trainer sei positiv getestet worden und müsse sofort ins Krankenhaus. Bustür auf, alle Mann raus an den Zaun zum Toilettengang - und der Coach, ein ehemaliger Olympionike, ins Hospital. Später erzählte er, wie er dort behandelt worden sei, das könne man keinem Sportler zumuten: Blutentnahme aus 14 Stellen der Hüftarterie, Röntgenaufnahmen der Lunge plus PCR-Tests in Nase, Rachen und per Rektalabstrich. Nach 24 Stunden durfte er raus, um dann ins falsche Tal chauffiert zu werden, zu den Alpinen, wo er eine weitere Nacht hätte verbringen sollen. Erst nach Intervention der Botschaft wurde er dann doch noch zu seinem Team gebracht.

Im Sommer 2020, als es Wilmsmann mit dem Training fast übertrieb, haben sie ihn zehn Tage in Urlaub geschickt

Schwer vorstellbar, dass ein Sportler nach einer solch albtraumhaften Odyssee am nächsten Tag fröhlich auf die Ski steigt. Doch nichts anderes taten die DSV-Asse: Florian Wilmsmann sauste in China auf Rang fünf, Tobias Müller auf acht, Tim Hronek auf elf, Daniela Maier auf sechs. "Alle haben das super weggesteckt", sagt Herdt, "wir wussten: Wir müssen mit allem rechnen." Auch insgesamt ist er bislang zufrieden mit der Saison seiner Schützlinge: eine Handvoll Podestplätze, fünf erfüllte Olympia-Normen bei den Männern für nur vier Startplätze, allerdings mit Daniela Maier (SC Urach) und Johanna Holzmann (SC Oberstdorf) nur zwei Starterinnen bei den Damen. "Wir sind ein gutes Team, breit aufgestellt", sagt Herdt. Dem Mann vom TSV Hartpenning traut er noch einiges zu: "Wenn der gut drauf ist, kann er immer aufs Podium fahren. Er muss halt seine sieben Sachen beieinander haben."

Am vergangenen Rennwochenende in Nakiska, Kanada, hatte Wilmsmann zunächst einen Aussetzer, verbockte im Halbfinale den Start, gewann aber das kleine Finale souverän und holte am Tag darauf Platz zwei. Gefühlt sei Wilmsmann schon ewig dabei, sagt Herdt, "aber immer noch ein junger Kerl, für sein Alter extrem abgezockt. Er ist quasi noch ein Baby-Face, wird aber zunehmend erwachsen. Und er weiß mittlerweile genau, worauf es ankommt, macht, was notwendig ist, und hat auch gelernt, mal rauszunehmen". Im Sommer 2020, als es Wilmsmann mit dem Training fast übertrieb, haben sie ihn zehn Tage in Urlaub geschickt, damit er mal am Strand liegt und nichts tut.

Gut möglich, dass da in Sachen Ausdauer die Familie durchschlägt: Papa Holger ist Ironman-Finisher auf Hawaii, Schwester Lisa-Marie Transalpine-Siegerin und Gewinnerin des Schlierseer Alpen-Triathlons. Mal sehen, wer es von den Wilmsmanns daheim in Hartpenning noch in die Ruhmeshalle schafft.

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