Süddeutsche Zeitung

Skibergsteigen:Erfolge für den Opa

Antonia Niedermaier, 18, aus Bad Aibling verblüfft als Quereinsteigerin im Vertical. Bundestrainer Bösl versichert ihr Chancen auf eine Olympiateilnahme - "obwohl sie fast noch zu jung ist".

Von Nadine Regel

Wenn es nach Antonia Niedermaier geht, ist dieses Rennen seinem Namen nicht gerecht geworden. "Die Strecke war zu flach", sagt die 18-Jährige. Vertical, so heißt die Disziplin, in der am Wochenende die deutsche Meisterschaft im Allgäu stattgefunden hat. Beim Vertical geht es darum, so schnell wie möglich mit Ski und Fellen einen Berg hinaufzusteigen. Niedermaier schaffte die 680 vertikalen Meter in 37 Minuten und 27 Sekunden, belegte damit den ersten Platz bei den U20-Juniorinnen und war Zweite bei den Frauen mit 15 Sekunden Rückstand auf die Erstplatzierte Tatjana Paller. "Das hat ganz gut gepasst", sagt die Schülerin aus Bad Aibling. Ganz schön bescheiden für eine, die als Quereinsteigerin erst 2019 zum Skibergsteigen gekommen ist und direkt große Erfolge eingefahren hat.

Bis zum Schluss war nicht klar, ob das Rennen wie geplant stattfinden kann. Doch der heiß ersehnte Schnee kam gerade noch rechtzeitig, sodass die Athleten und Athletinnen am Mittagberg in Immenstadt an den Start gehen konnten. Für die Originalroute reichte es dennoch nicht. Der Aufstieg verlief zu Beginn über die recht flache und rutschige Rodelbahn. Die Rodler waren gleichzeitig auch Zuschauer und machten gute Stimmung, sagt Niedermaier. "Und meine ganze Familie war auch da." Nur ihr Opa habe gefehlt, der sah sich das Rennen von daheim an. Von "ihrem wichtigsten Begleiter in ihrem Leben" habe sie auch ihren Ehrgeiz geerbt: "Ich denke immer vor dem Rennen an meinen Opa und widme ihm meine Erfolge." Noch heute überwindet der 85-Jährige täglich 250 Höhenmeter mit dem Rad.

Obwohl sie auch beim Individual gute Leistungen erziele, habe sie da noch Nachholbedarf, sagt Bösl

Mit dem Skifahren hat Niedermaier früh angefangen, doch mit acht Jahren legte sie eine Pause ein. "In der Zeit war ich ein richtiges Pferdemädchen. Ich hatte mein Pony und damit war ich glücklich", sagt sie. Erst mit 14 begann sie mit Skitouren, und ein Jahr später startete sie erfolgreich bei Bergläufen - einer in den Bewegungsabläufen und der Belastung relativ ähnlichen Sportart. Durch ihre regionalen Erfolge wurde bald Thomas Bösl auf Niedermaier aufmerksam. Der Bundestrainer im Skibergsteigen fragte sie 2019, ob sie ins Team kommen wolle - was sich für beide Seiten als gute Idee entpuppte. Niedermaier belegte bei der WM in Villars-sur-Ollon in der Schweiz direkt den dritten Platz bei der U18 im Vertical. Zudem nahm sie an den Olympischen Jugendspielen in Lausanne teil und legte eine starke Saison 2020/2021 hin. Sie holte zweimal WM-Gold bei den U18-Juniorinnen im Vertical und Individual in Comapedrosa in Andorra und holte den ersten Platz im Vertical-Gesamtweltcup der U20. Die DM in Immenstadt war nun für Niedermaier das erste Rennen der noch jungen Saison 2021/2022.

Thomas Bösl ist nach dem Wochenende verhalten zufrieden mit seinen Athleten und Athletinnen, die er seit drei Jahren trainiert. "Bei den Herren waren die Ergebnisse durchwachsen", sagt der 47-Jährige. Bei den Senioren gebe es im Team noch Lücken, aber "der Nachwuchs steht schon in den Startlöchern, und da ist ziemlich viel Potenzial da". Wie zum Beispiel bei Antonia Niedermaier. Das Vertical, quasi die reine Ausdauerleistung, sei ihre Paradedisziplin, sagt Bösl. Obwohl sie auch beim Individual gute Leistungen erziele, habe sie da noch Nachholbedarf. In dieser Disziplin geht es um die Mischung aus technischen Elementen wie Anfellen und Abfellen, Hochsteigen und Abfahren. Letzteres bereite ihr noch Mühe. Den Außenstehenden wundert es nicht, gleicht doch das Abfahren auf den mit 55 bis 65 Millimeter unter der Bindung extrem dünnen Skimo-Ski eher Harakiri als Skifahren. Die Bedingungen sind teils sehr schwierig. Das Gelände ist zerfahren, der Schnee festgepresst, verweht oder sulzig.

Vergangene Saison hat sie sich auch auf dem Rad ausprobiert - und errang bei der EM eine Silbermedaille

Dennoch versichert Bösl Niedermaier Chancen auf eine Olympiateilnahme 2026. Dann feiert der Sport sein Olympiadebüt im italienischen Cortina d'Ampezzo. "Obwohl sie dann fast noch zu jung ist", sagt der Bundestrainer. Den Leistungshöhepunkt beim Skimo, die Abkürzung für Skimountaineering, habe man mit Mitte bis Ende 20, weil sich erst über die Jahre Ausdauerleistung und Erfahrung aufbauen. Hinzu kommt aktuell ihre Doppelbelastung: Antonia Niedermaier ist nicht nur beim Skibergsteigen unterwegs, sondern hat sich in der vergangenen Saison auch auf dem Rad ausprobiert. Sie errang im Zeitfahren der U18 bei der EM in Trient eine Silbermedaille und wenig später Bronze bei der WM in Belgien. Für Bösl erscheint es unmöglich, parallel zwei so ausdauerintensive Sportarten zu betreiben. "Als Grundlagenausdauertraining ist Radfahren im Sommer absolut in Ordnung", sagt er. Aber nicht als zweiter Hauptsport.

Für Niedermaier stellt das aktuell noch keinen Widerspruch dar. "Ich habe Angebote von Worldtour-Teams erhalten und denke nach, ob ich das machen soll", sagt sie. Olympia im Skibergsteigen sei für sie aber ein wichtiges Ziel - bis 2026 bleibt sie also dem Skimo vorerst erhalten. Am Mittwoch geht es weiter zum Weltcup in Andorra. Erst am Ende der Saison im April wird sich dann zeigen, ob sie der Doppelbelastung standhält. Aber dann steht für die Schülerin erstmal das Abitur an.

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