Alpine Ski-WM:Gehaltvoll wie Ravioli aus der Dose

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Würdiger Sieger eines zweifelhaften Wettstreits: Alexis Pinturault gewinnt die Kombination und sichert den Gastgebern die erste Medaille bei der Alpin-WM. (Foto: Alexis Boichard/Getty Images)

Bei der alpinen Ski-WM kredenzt der Weltverband ein Programm, das Kritik provoziert: Traditionsevents ohne Kundschaft treffen auf neue Formate ohne große Zukunft. Sieht so der moderne Skisport aus?

Von Johannes Knuth, Courchevel

Die Einpeitscher gaben wirklich alles, Fahnen zur linken Seite schwenken, zur rechten Seite, dann die La Ola, so hielten sie die Tribüne im Ziel von Courchevel auf Trab. Für ein paar Minuten waren dann keine Regieanweisungen nötig - Bestzeit für den Franzosen Alexis Pinturault, die große Hoffnung der WM-Gastgeber in der Kombination am Dienstag. Gemeinsam verfolgten sie dann still und brav, wie ein paar Konkurrenten sich an Pinturaults Zeit vergeblich mühten, nach neun Startern waren die Medaillen schon verteilt. Jetzt packte auch Pinturault die Freude, er nahm eine TV-Kamera in die Hände und schrie seine Freude hinein. Wer gewinnt, hat immer seinen Spaß.

Und der Rest?

Wenn die ersten Tage der 47. Ski-Weltmeisterschaften in Courchevel und Méribel den Appetit der Ski-Gemeinde anregen sollten, dann war das, was der Weltverband Fis kredenzte, in etwa so gehaltvoll wie "Ravioli aus der Dose", lästerte der Schweizer Blick. Die Allrounder, die einst etwa die Kombination prägten, den traditionsreichen Zweiklang aus Speed und Technik, gibt es fast nicht mehr - zu voll sind die Rennkalender, zu stark die Spezialisten. Auch am Dienstag reüssierten die Slalomkönner, die den Super-G am besten überstanden, der mittlerweile die Abfahrt ersetzt hat. Die Hochgeschwindigkeitsexperten - von Aleksander Kilde bis zu Sofia Goggia - nutzten die Super-Gs lieber zum Warmfahren, als Kostprobe vor den Hauptgängen am Mittwoch (Frauen) und Donnerstag (Männer). Ein überschaubarer Rest tat sich den Slalom an: 20 Starterinnen bei den Frauen (von 33, die den Super-G bestritten hatten), 35 bei den Männern (von 54). Ist das der moderne Alpinsport, von dem die Fis gerade ständig erzählt?

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Lange hat sich die Kombination im Spielplan der großen Meisterschaften gehalten, sie war noch olympisch, und was olympisch ist, gibt man so leicht nicht her - wer weiß, ob man den Platz noch mal zurückbekommt. Irgendwann ersann die Fis ein Tauschgeschäft, die Kombination sollte von den Parallel-Einzelrennen ersetzt werden, die 2018 mithilfe des Teamevents ins Olympiaprogramm eingegliedert wurden. Vor vier Jahren beschloss der Fis-Rat dann plötzlich, der Kombination doch nicht die Lebensader zu kappen - Lobbyarbeit hatten rein zufällig jene Nationen geleistet, deren Athleten in der Kombinationen Medaillen gewannen. Es wurde dann noch eine Weile an Format und Startreihenfolge getüftelt, oder wie es Wolfgang Maier heute beschreibt, der Sportvorstand im Deutschen Skiverband (DSV): "Man schustert herum und findet doch keine gescheite Lösung."

Bis das Internationale Olympische Komitee (IOC) zuletzt den vorläufigen Spielplan der Winterspiele 2026 vorstellte: Das Team-Event, in dem Männer und Frauen gemeinsam starten, fehlt darin gänzlich. (Das IOC begründet das damit, dass die Wettkampfstätten der Männer in Bormio und der Frauen in Cortina d'Ampezzo mehrere Autostunden auseinanderliegen.) Die Kombination ist nur noch unter Vorbehalt dabei, die Fis soll bis zu diesem Frühjahr offenbar einen Vorschlag präsentieren, wie es mit einer Disziplin weitergeht, die zuletzt nicht mal im Weltcup stattfand. Kürzlich erprobte man bei der Junioren-WM eine mögliche Nachfolgelösung, eine Team-Kombination, und die Beobachter am Ort waren zumindest nicht abgeneigt: Der beste Speed-Pilot bestreitet die schnelle Disziplin, der beste Techniker den Slalom, da war Musik drin - anders als in der Einzel-Kombination, wenn die Speed-Könner oft mit dem Slalom überfordert sind und umgekehrt.

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Die Parallelrennen waren bei vielen Fahrern nicht viel beliebter als Dosenravioli

Schaut man auf die Innovationen, die die Fis zuletzt erarbeitet hat, sollte man sein Hab und Gut allerdings nicht auf einen zügigen Erfolg des Formats verwetten. Die Fis hatte schon die Parallelrennen als Zukunftshit präsentiert, Fahrer gegen Fahrer auf einem Kurs im K.-o.-Format, das sollte auch die jüngere Kundschaft ansprechen. In Méribel und Courchevel haben die Parallelrennen auch (noch) ihren Platz, erst im Team, dann im Einzel zu Beginn der zweiten Woche. "Wenn man mit den Leuten spricht, merkt man sofort: Das fasziniert", sagt Wolfgang Maier, "man sieht sofort: Wer ist der Gewinner, wer ist der Verlierer? Das muss ja gar nicht die zentralen Disziplinen torpedieren, es kann ein Zusatz sein."

Der Weltverband schaffte es zuletzt nur auch, das Reglement so zu verkomplizieren, dass die Parallelrennen bei vielen Fahrern nicht viel beliebter waren als Dosenravioli. Gibt es einen Hin- und Rücklauf? Wie weit sind die Torabstände? Mit viel Rückstand startet ein Fahrer in den zweiten Lauf, wenn er im ersten stürzt? "Manchmal verwirklichen sich da Leute und richten mehr Schaden als Nutzen an", sagt Maier. Er wolle die Schuld nicht allein der Fis zuschieben, er habe es nur so erlebt: Am Schluss müsse man auch mal im kleinen Kreis etwas rechtsverbindlich entwickeln, statt bei 100 Nationalverbänden ständig Meinungen einzuholen.

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Der DSV hatte die Parallelevents zuletzt stärker gefördert, im Training und bei nationalen Meisterschaften - stets im Glauben, dem Format gehöre die Zukunft. Kopf an Kopf im K.-o.-Modus, das fördere auch die Konsequenz im Wettkampf, finden sie im DSV, das geht selbst ihren Profis manchmal etwas ab. Die Kombination? Fördern sie schon lange nicht mehr. Ein paar Wackere machen noch mit, wie Simon Jocher, am Dienstag 13.; andere Kandidaten wie Linus Straßer haben sich abgewendet. "Die Kombi ist für mich am Schluss ein bisschen eine Lachnummer geworden", sagte er zuletzt: "Warum soll ich in etwas meine Energie investieren, von dem nicht mal die Fis weiß, was sie will?"

Selbst der neue Weltmeister, ein großer Fürsprecher der Kombination, meldete am Dienstag seine Bedenken an: "Wenn sich niemand darauf fokussiert und es keine Rennen gibt, wird es natürlich schwer." Da müsse sich der Weltverband auch fragen, ob er künftig vielseitige Athleten fördern wolle, die über Jahrzehnte die Geschichtsbücher des Sports befüllt hatten.

Immerhin eines habe sich geändert, hat Wolfgang Maier beobachtet, was die künftigen Pläne der Fis angehe: "Da entscheidet dann einer, und wir passen uns an." Wenn man sich bei der derzeitigen Führung der Fis dagegenstemme? Sei das "eh sinnlos".

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