Süddeutsche Zeitung

Ski-WM:Geschlagene Gratulanten

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Die erste WM-Woche der Deutschen endet durchwachsen. Lindsey Vonn gewinnt im letzten Rennen ihrer bewegten Karriere noch mal Abfahrts-Bronze.

Von Johannes Knuth, Are

Das Rennen hatte gerade begonnen, da nahmen die Feierlichkeiten schon ihren Lauf. Lindsey Vonn verbeugte sich im Ziel wie eine Theaterspielerin nach der letzten Szene, später gab es Blumen von Ingemar Stenmark, an dessen 86 Weltcup-Siegen sich die Amerikanerin über all die Jahre - letztlich vergeblich - abgearbeitet hatte. Nebenbei hegte sie noch goldene Hoffnungen: Eine Favoritin nach der nächsten scheiterte in der WM-Abfahrt am Sonntag zunächst an Vonns Richtzeit - man mochte sich die emotionalen Erschütterungen nicht ausmalen, hätte die 34-Jährige ihr letztes Rennen tatsächlich noch gewonnen. Die Slowenin Ilka Stuhec und die Schweizerin Corinne Suter waren am Ende zwar besser; für Stuhec war es der zweite Abfahrts-Hauptgewinn nach dem Triumph vor zwei Jahren. Aber Bronze, ihre achte WM-Medaille, sei sowieso das "perfekte Ende", beteuerte Vonn später. Vor zwei Wochen hatte sie in Cortina noch heulend im Ziel gestanden und überlegt, ihre Karriere umgehend stillzulegen.

Und jetzt hatte sie ihrem müden Körper doch noch einen letzten Erfolg abgerungen. Ohne Außenband im linken Knie, nach einem Sturz im vergangenen November, und nach dem Ausflug ins Fangnetz beim Super-G am Dienstag. Viktoria Rebensburg, als Elfte diesmal beste Deutsche, ging vor Vonn sogar kurz auf die Knie. "Wie viel Weltcup-Siege waren es jetzt?", fragte Rebensburg später. 82 sind es, mehr als bei jeder anderen Skirennläuferin. "Das ist schon eine Hausnummer", sagte Rebensburg, und ihre Teamkollegin Kira Weidle assistierte: "Das passt zu ihrer Karriere, sie hat bis zur letzten Sekunde gekämpft, egal, was vorher war."

Lindsey Vonn sagt nach Bronze in ihrem letzten Rennen: "Ich habe alle Tränen schon geweint."

Das war also die Rolle, die für die Mitarbeiter des Deutschen Skiverbandes (DSV) an diesem denkwürdigen Wochenende übrig blieb: die der Gratulanten und Geschlagenen. Rebensburg auf elf, Michaela Wenig auf zwölf, Rang 13 für Weidle und Platz 23 für Meike Pfister - alles in allem eine "Watschn", so sah das zumindest der DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier. Die Männer waren nach ihrer Abfahrt am Samstag noch bedröppelter von dannen gezogen: Dominik Schwaiger war 25. geworden, Josef Ferstl 28., Manuel Schmid 32. Sie hatten sich nicht ernsthaft um Abfahrts-Medaillen beworben, auch wenn Weidle mit der Empfehlung von zwei dritten Rängen in diesem Winter angereist war, aber jetzt klaffte doch eine größere Lücke zwischen Anspruch und Realität. War das schlimm - eine Watschn und zwei knapp verfehlte Medaillen in der ersten WM-Woche, nach Platz vier und sechs im Super-G durch Rebensburg und Ferstl?

Rebensburg war am Sonntag "im Großen und Ganzen echt zufrieden", und das konnte sie auch sein. Die Abfahrten waren ihr zuletzt oft misslungen, die Abstimmung von Ski, Schuh und Bindung hatte selten gepasst, und auch wenn die Konkurrenz den Deutschen bei der Materialtüftelei am Wochenende wieder voraus war - eine Chance bleibt ihr ja noch, im geliebten Riesenslalom am kommenden Donnerstag. Weidle stapfte derweil mit deutlich finsterer Miene davon: Sie hatte den Zielsprung verpatzt und war froh, "überhaupt im Ziel zu sein". Dafür konnte sie mit Recht reklamieren, erst 22 Jahre alt zu sein: "Es ist nur eine WM", sagte sie, ihre zweite übrigens, "es kommt bald wieder eine WM."

Die Männer? Die hatten auf der Abfahrttrasse in Are schon vor der WM fleißig geprobt - doch dann verletzten sich Thomas Dreßen und Andreas Sander am Kreuzband, und die ganz großen Hoffnungen schmolzen zusammen. Am Samstag hatte es zudem stark gewindet, geschneit und genebelt, das Rennen fand auf verkürzter Piste statt, wie bei den Frauen am Sonntag. Die Deutschen kamen damit überhaupt nicht zurecht. "Blöd gelaufen", sagte Ferstl, der Super-G-Sieger von Kitzbühel, der sich auf der chaotischen Anreise vor einer Woche auch erkältet hatte. Dann richtete er noch ein paar kernige Worte an die Jury. Die Piste habe aufgrund des Schneefalls nur eine dünne Fahrrinne geboten, wenn man bloß kurz in den Schnee gesteuert hätte, hätte es gefährlich werden können. Aber gut, es gebe nun mal TV-Verträge, Abmachungen mit Sponsoren, solche Sachen. "Es ist nur leider so, dass oft über den Athleten entschieden wird", sagte Ferstl, "wie es uns geht, interessiert halt manchmal gar keinen." Von den Kollegen gab es durchaus Zuspruch, Beat Feuz, der Weltmeister von 2017 und am Samstag Vierter, klassifizierte die Veranstaltung als "unwürdig für eine WM".

Josef Ferstl richtet noch ein paar kernige Worte an die Jury - und erhält Zuspruch von den Kollegen

Und Vonn? Die war am Sonntag auch sehr bewegt, allerdings vor Freude, es war nur so: "Ich bin ausgetrocknet, ich habe alle Tränen in den letzten Wochen geweint", sagte sie - als sie sich von ihrem Körper zum Karriereende hatte überreden lassen. Das war am Ende vielleicht wertvoller als jede Goldmedaille.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2019
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