Süddeutsche Zeitung

Ski-WM:"Das tut sehr weh"

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Von Matthias Schmid, St. Moritz

Viktoria Rebensburg saß schon im Hotel, als die neue Weltmeisterin Tessa Worley aus Frankreich im Zielraum den Blumenstrauß entgegennahm. Rebensburg, die Olympiasiegerin von 2010 in dieser Disziplin, war am Donnerstag bei der alpinen Ski-Weltmeisterschaft in St. Moritz bereits im ersten Durchgang nach weniger als 30 Sekunden ausgeschieden. Sie war von einer Welle ausgehoben worden und hatte einen Sturz gerade noch verhindert, indem sie spektakulär auf einem Bein ein paar Meter weiter fuhr, während das rechte quer in der Luft hing. "Es ist extrem bitter, beim zweiten Durchgang zuschauen zu müssen", bekannte die 27-Jährige vom Tegernsee.

Die beste deutsche Rennläuferin hatte sich an diesem "perfekten Tag", wie sie selbst sagte, so viel vorgenommen. Sie wollte nach ihrem vierten Platz im Super-G endlich eine Medaille gewinnen, die erste für die deutsche Nationalmannschaft in der Schweiz. Sie war so zuversichtlich. "Ich habe mich beim Aufwärmen extrem wohl gefühlt, es hat alles gepasst", hatte sie kurz vor dem Start noch gesagt.

Doch dann endete der Tag mit großer Frustration. "So ein kleiner Fehler, und man steht da und schaut den anderen zu. Das tut sehr weh", haderte sie. Sie musste tatenlos mit ansehen, wie sich Worley ihren zweiten WM-Titel im Riesenslalom nach 2013 sicherte, die Französin siegte vor der amerikanischen Slalom-Olympiasiegerin Mikaela Shiffrin und Sofia Goggia aus Italien.

Rebensburg hatte im ersten Durchgang noch eine ganze Weile an der Stelle ausgeharrt, wo sie das Tor verpasst hatte. Erst nach einer Viertelstunde fuhr sie über die Ziellinie und wählte den kürzesten Weg aus dem Zielraum. Sie wollte nur noch raus, schnell weg von hier. Es war nicht ihre WM. Sie hatte schon ernüchternd begonnen, als ihr im Super-G um die Winzigkeit von 17 Hundertstelsekunden der dritte Platz verwehrt blieb. Auf einer Skala von eins bis zehn ordnete Rebensburg die Weltmeisterschaft in St. Moritz nach dem Aus im Riesenslalom mit "zehneinhalb" ein, wie sie bekannte. Sie lachte, doch ihr war in diesem Moment eher zum Weinen zumute. Sie verbarg ihre Augen hinter einer Sonnenbrille, aber ihre Stimme stockte ein bisschen, als sie sagte, "dass heute viel möglich gewesen wäre". Selten hat man Rebensburg aufgewühlter nach einem Rennen erlebt, der frühe Ausfall quälte sie, weil die Voraussetzungen günstig waren.

Sie hatte eine gute Startnummer, als Zweite nach Worley katapultierte sie sich auf die Piste, der Schnee war da noch fest und schnell, bevor sich ob der intensiven Sonne rasch tiefe Furchen bildeten. Rebensburg, die WM-Zweite von 2015, mag den Hang auf der Engiadina, die flache Neigung mit den sanften Wellen. Im vergangenen Jahr hatte sie beim Weltcup-Finale an gleicher Stelle den Riesentorlauf gewonnen. Doch nun wurde eine Bodenunebenheit nach der ersten Zwischenzeit, bei der sie zu den Besten gehört, zum Verhängnis. "Mir ist der Ski am Tor weggefahren und auf der kleinen Welle hat der Ski dann wieder Druck gegeben, hinten gegriffen und mich ausgehoben und verdreht." Sie hätte mit einem starken Bremsschwung, das nächste Tor noch erreichen können. "Aber die Zeit wäre sowieso weggewesen", sagte sie. Also stoppte Rebensburg.

Wie so oft in diesem Winter hat sie ihr Mut, ihre Risikobereitschaft nicht erfolgreich ins Ziel getragen. Zwei dritte Plätze in der Abfahrt und im Riesenslalom waren Rebensburgs beste Ergebnisse. Vor der Saison hatte sie sich im Training auf dem Pitztaler Gletscher so schlimm verletzt, dass sie den Saisonauftakt in Sölden verpasste. Ein unverschobener Schienbeinkopfbruch in ihrem rechten Knie wirbelte alle Pläne durcheinander, erst Ende November stieg sie im amerikanischen Killington in den Weltcup ein. Der 19. Rang im Riesenslalom war das erste Menetekel dafür, dass sie in ihrer Spezialdisziplin noch brauchen würde, um in Form zu kommen. Ihr fünfter Platz in der Abfahrt von Lake Louise zeigte, dass sie im Speedbereich schneller die Grundgeschwindigkeit und das Vertrauen in die eigene Stärke fand.

Sie tat sich mit den längeren Skiern bei der Materialabstimmung sehr viel leichter. "Das Setup muss passen", wiederholte Rebensburg immer wieder. Das Setup, das ist das Zusammenspiel zwischen Skier, Bindung und Schuhen. Kurz vor der WM, nach Trainingsfahrten in Ehrwald, wähnte sie sich auf einem guten Weg. "Ich kann im Riesenslalom wieder schnelle Schwünge fahren", sagte sie in St. Moritz.

Doch nun wird sie den Ort im Oberengadin frustriert verlassen. Fast trotzig klang es am Ende wieder, als sie betonte, dass die Saison noch nicht beendet sei. "Beim nächsten Rennen in Crans-Montana möchte ich meine Serie mit vierten und fünften Plätzen endlich beenden", sagte Rebensburg. Es werde allerdings einige Tage dauern, gab sie mit leiser Stimme zu, "bis ich das hier alles verdaut habe."

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