Felix Neureuther bei der Ski-WM:"Ich fühle mich endlich wieder als Athlet, nicht mehr als fahrendes Wrack"

Men's Slalom - Alpine FIS Ski World Championships

Seinen besten Schwung bei einer WM hatte Felix Neureuther vor sechs Jahren, da holte er in Schladming Silber - hinter, na klar, Marcel Hirscher.

(Foto: Alexis Boichard/Getty)

Von Johannes Knuth, Are

Um 14.32 Uhr, die Ausschläge der Seismografen ließen keine Zweifel, wurde die Skination Österreich von einer Schockwelle erfasst. Marcel Hirscher krank! Die große Goldhoffnung! Ausgerechnet jetzt, da die bisherigen Goldhoffnungen der Österreicher bei der WM in Are so zuverlässig zerbröselt waren! Und nun also: ein Kratzen im Hals, das Hirscher am Mittwoch veranlasst hatte, seinen Auftritt vor der Weltpresse zu stornieren - bist du deppert?!

Eine Stunde nach dem ersten Beben traf Stefan Illek, Hirschers Pressesprecher, im Pressezentrum ein. Keine Sorge, beruhigte er, der Start im Riesenslalom am Freitag und im Slalom am Sonntag sei nicht gefährdet. Aber so leicht ließen die österreichischen Reporter nicht locker. Wie die Anreise verlaufen sei? Im Privatjet, sagte Illek, Hirscher habe da ein wenig geschlafen. Die ersten Worte bei der Ankunft? "Windig hier." Habe er sich trotzdem gefreut? Jo eh! Und wie geht es am Donnerstag weiter? Aufstehen, Müsli löffeln, dann vermutlich trainieren, sagte Illek. Aha, so, so, die Nachfragen waren jetzt nicht mehr ganz so ernst, das Müsli mit Beeren oder wie? Nein, Knusper mit Schokostückchen. Im Grunde, sagte Hirschers Sprecher, "gibt's eh keine G'schicht zu erzählen".

Die G'schichten am Donnerstag klangen dann übrigens so: "Er kam, sah und ging ins Bett" (Salzburger Nachrichten). Und im Kurier, auf der Titelseite: "Hilfe, Hirscher hat Halsweh!"

Felix Neureuther war ein paar Tage zuvor in Are eingetroffen, und der erfolgreichste deutsche Skirennfahrer hatte es immerhin geschafft, sein Krankenbulletin persönlich vorzustellen.

Das Knie, in dem vor einem Jahr das Kreuzband riss? "Zwickt nicht mehr." Der Daumen, den er im November in Levi gebrochen hatte? "Keine Schiene mehr, kein Tape." Der Kopf, der seit einem Sturz im Dezember brummte, Schleudertrauma inklusive? "Kann ich auch wieder nach links und rechts bewegen." Und dem Rücken gehe es auch erstaunlich gut, "ich komme in der Früh normal aus dem Bett", sagte Neureuther, "ich fühle mich endlich wieder als Athlet, nicht mehr als fahrendes Wrack." Das will er am Sonntag im Slalom noch mal belegen; es ist vielleicht sein letztes großes Rennen, nach der WM in Are könnte ja doch bald Schluss sein.

Aber reicht es davor noch mal für ein weiteres Hurra? Wie bei der WM vor zwei Jahren, als er nach mancher Panne im Vorfeld noch Bronze im Slalom gewann?

Ein Auf und Ab für Neureuther

Felix Neureuther hat einen mühsamen Weg nach Are hinter sich. Nach dem Comeback im vergangenen Dezember hatte er das ja erst mal verdauen müssen: dass es nach langer Pause nicht mehr so einfach vorangeht in und mit einem 34 Jahre alten Körper. Anfang Januar dann, in Adelboden, wirkte er ernüchtert. In Kitzbühel lief es wieder besser, er sei bei der Material-Abstimmung vorangekommen, sagte Neureuther, jetzt könne er sich wieder aufs Skifahren konzentrieren. Zwei Tage später haderte er dann erneut mit dem Set-up seiner Ski, die auf der Eispiste in Schladming sichtbar keinen Grip fanden. Mit Platz acht egalisierte er immerhin seine beste Platzierung im aktuellen Winter. Danach allerdings: erneut eine Erkältung.

"Im Training sind wieder sehr gute Schwünge dabei", sagte er nun in Are - was freilich ein paar nicht so gute Schwünge implizierte - aber wenn es so weitergehe, "dann kann man ein Stück weit mit mir rechnen." Ein Stück weit?

Neureuther setzt auf ein kleines Notfallprogramm

Es geht im Skirennsport ja längst nicht mehr darum, nur einen wehrhaften Körper mit sich zu führen; die Tüftelei am Material ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Die Kanten der Ski, die Bindungsplatte, die Härte der Skischuhe, am Renntag dann die Anpassung all dieser Faktoren an stündlich wechselnde Bedingungen - in Are sind das gerade Tauwetter und Windböen mit bis zu 50 Kilometer pro Stunde -, das alles erfordert Monate an Forschung und Renn-Erfahrung.

Neureuther hat seinen Rückstand auf die Besten, den er sich durch viele Krankschreibungen eingefangen hatte, zuletzt nur bedingt aufgeholt; er spielte vor Are also ein kleines Notfallprogramm auf: Er habe "aufs Altbewährte" zurückgegriffen, sagte er, "das in den letzten Jahren funktioniert hat". Aber das sei eigentlich eh' nicht so wichtig. Man müsse hier "mit einem Lächeln am Start" stehen, den "alten Neureuther auspacken". So wie der Norweger Aksel Lund Svindal, der in Are in seinem letzten Rennen den alten Svindal ausgepackt hatte und zur Silbermedaille gerauscht war.

Auch Stefan Luitz, die größte Hoffnung der Deutschen für den Riesenslalom am Freitag, hatte es auf dem Weg nach Are nicht leicht. Er hatte Anfang Dezember, im zweiten Rennen nach seinem Kreuzbandriss, prompt den Riesenslalom in Beaver Creek gewonnen - sein erster Weltcup-Sieg, nach vielen Rückschlägen. Dann kam heraus, dass Luitz zwischen den Läufen künstlichen Sauerstoff inhaliert hatte. Die Welt-Anti-Doping-Agentur erlaubt das, der Ski-Weltverband Fis nicht, Letzteres hatten alle Betreuer am Ort übersehen. Die Fis nahm ihm Sieg und Preisgeld wieder ab, Luitz legte Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof ein, kam nebenbei sportlich wieder in Schwung. Und dann: Sturz in Adelboden, Schulter ausgekugelt, Pause bis zur WM. "Ich bin froh, dass ich überhaupt hier bin", sagt Luitz in Are, aber der Schulter gehe es wieder "echt okay". Er könne am Start anschieben, die Torstangen touchieren, nur mit dem Jubeln könnte es im Ernstfall schwierig werden.

An guten Tagen, das haben sie im DSV immer wieder übereinstimmend berichtet, sei Luitz der Beste hinter Hirscher, mindestens das. Derzeit müssen sie aber hoffen, dass Luitz und auch Neureuther am Wochenende die bestmöglichen Versionen ihrer selbst auspacken - und die Favoriten nicht ihre beste Fassung erwischen.

Hirscher ging es am Donnerstag übrigens nicht mehr ganz so rosig: Er leide an "Halsweh, Ohrenweh, Schnupfen, Gliederschmerzen", sagte er, hörbar verschnupft.

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