Alpine Ski-WM:Zwölf Götter, sieben Mal Blech und eine gerupfte Henne

Alpine Ski-WM: Dankgebet an höhere antike Mächte? AJ Ginnis zelebriert seine Silbermedaille im Slalom.

Dankgebet an höhere antike Mächte? AJ Ginnis zelebriert seine Silbermedaille im Slalom.

(Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

Ein Halb-Grieche feiert im Slalom einen vollen Erfolg, die verrückten Kanadier machen ihre Vorfahren stolz, die Österreicher hätten zumindest im Sprücheklopfen Gold verdient: Geschichten von den Ski-Weltmeisterschaften.

Von Johannes Knuth, Courchevel/Méribel

Alpine Ski-Weltmeisterschaften fühlen sich für die Athleten oft wie ein Fiebertraum an: Einen Winter lang redet man darüber, sagt, dass man noch gar nicht daran denkt, ehe man es heimlich doch tut oder auch nicht. Und dann rauschen die zwei WM-Wochen, wie zuletzt in den französischen Alpen, so rasch vorbei, dass man sich fragt, ob sich das überhaupt ereignet hat: Silbergewinner aus Griechenland, verrückte Kanadier und gerupfte Österreicher, unter anderem? Zeit für eine Rückschau.

Griechische Götter

Alpine Ski-WM: Mit Crowdfunding und College-Freunden aufs Podest: AJ Ginnis, 28.

Mit Crowdfunding und College-Freunden aufs Podest: AJ Ginnis, 28.

(Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Der Skirennläufer Alexander John Ginnis, Rufname "AJ", ging auf Nummer sicher. Er verließ sich nicht nur auf Tagesform und perfekt zurechtgeschliffene Skier, er betete auch "alle zwölf" griechische Götter an, bevor er sich auf die finstere Piste in Courchevel warf. Es half offenbar: Schneller als Ginnis war in diesem wilden WM-Slalom nur Henrik Kristoffersen. Es war die erste bedeutende Medaille im Wintersport für Griechenland, unter dessen Flagge Ginnis mittlerweile fährt: Er kam 1994 in Athen zur Welt.

Das war natürlich auch ein Geschenk für die Marketingabteilung des Weltverbandes Fis. Dort verbreiten sie ja gerne die (bedingt haltbare) These, dass der Wintersport die Welt umspannt. Aber zur Wahrheit gehört schon: Ginnis verbrachte viele freie Minuten seiner Kindheit am knapp 2500 Meter hohen Parnass-Berg (der übrigens dem Frühlingsgott Apollon geweiht ist), zweieinhalb Fahrstunden von Athen entfernt, auf immerhin knapp 40 Pistenkilometern. Sein Vater betrieb dort ein Ski-Geschäft, der Sohn trug den Berufswunsch Skirennfahrer offenbar früh mit sich herum. Seine Freunde fanden das absurd, die Eltern unterstützten ihn. Sie zogen erst nach Kaprun und später in die USA, die Heimat der Mutter, beziehungsweise in die alpinen Ausbildungsschmieden in Vermont. Ginnis schaffte es ins US-Slalomteam - bis der Verband 2018 die Förderung kappte.

Ginnis verstand das, nach allein fünf Knieoperationen, denen eine sechste folgen sollte. Aber wenn er sich nun schon durchschlagen musste, dann wenigstens für das Land, das seine Liebe zum Skifahren entflammt hatte. Der 28-Jährige sammelte Geld, verpflichtete zwei Freunde aus College-Zeiten als Trainer, klammerte sich an den Glauben, dass er es wieder in die Nähe der Weltspitze schaffen könnte. Und jetzt: Platz zwei zuletzt im Weltcup, Silber gar bei der WM - ein Ausweis des Durchhaltevermögens? Man müsse schon eher durchgeknallt sein, um so lange dran zu bleiben, scherzte Ginnis. Wie damals, als Kind am Parnass-Berg.

Crazy Canucks

Alpine Ski-WM: Laurence St-Germain auf dem Weg zum WM-Titel - ihrem ersten Podestbesuch im Slalom überhaupt.

Laurence St-Germain auf dem Weg zum WM-Titel - ihrem ersten Podestbesuch im Slalom überhaupt.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Apropos durchgeknallt: "Sie sind wirklich verrückt", sagte Doppel-Weltmeister Marco Odermatt aus der Schweiz, als er auf die Erfolge der Kanadier angesprochen wurde. Er habe keinen Schimmer, so Odermatt, wie sie das seit Jahrzehnten anstellten: verlässlich beim Großereignis aus dem Schatten der Außenseiter zu preschen. James Crawford gewann diesmal den Super-G, den alle Odermatt zugedacht hatten, Cameron Alexander wurde Dritter auf der Abfahrt, dazu Platz drei im Teamevent und Slalomgold durch Laurence St-Germain. Die 28-Jährige war auch schon mal aus der Förderung gerutscht, studierte in Vermont Informatik, arbeitete sich zurück in den Sport, war im Weltcup aber nie besser als Sechste. Dann schlug sie in Méribel Mikaela Shiffrin und den Rest der Welt gleich mit.

Woher kommt diese Gabe, beim Großevent nicht die Risiken zu sehen, sondern die Chancen? "Wir haben schon viel Druck auf uns, aber nicht so viel Druck wie die großen Favoriten", sagte St-Germain. "Und wir wissen, dass wir bei diesen Großanlässen die meiste Aufmerksamkeit zu Hause kriegen. Da können wir mit einem Erfolg sehr viel bewirken." Kanadas Alpinteam, das muss man dazu wissen, hat immer wieder Geldsorgen, der Bankier Tim Dattels, nebenbei Chef des Aufsichtsrats in Kanadas Ski-Verband, spendete vor diesem Winter rund eine Million Euro seines Vermögens an die Alpin-, Para- und Skicross-Abteilung. So reduziere sich die Summe, die viele kanadische Athleten pro Winter selbst beisteuern müssen, von rund 20 000 auf 14 000 Euro, sagte Dattels. Die WM war insofern nicht die dümmste Werbung.

Hüpfende Hennen

Alpine Ski-WM: Weder schnell noch schön: Johannes Strolz hadert mit dem Super-G in der alpinen Kombination

Weder schnell noch schön: Johannes Strolz hadert mit dem Super-G in der alpinen Kombination

(Foto: Francois-Xavier Marit/AFP)

Die Vierten sind die ersten Verlierer, so will es das Gesetzbuch der großen Leistungsmessen im Sport. Der Österreicher Fritz Strobl erfand anlässlich seines vierten Platzes auf der WM-Abfahrt 1997 einst die Blechmedaille, zur Teamfeier erschien er mit einer platt gedrückten Bierdose um den Hals. Die Blechmedaille war im Österreichischen Skiverband (ÖSV) auch in Frankreich gefragt, die ÖSV-Athleten wurden sieben Mal Vierte, in dieser Statistik lagen sie weit vorne. In der Logik des Fis-Medaillenspiegel indes: keine Goldmedaille - das erste Mal seit 36 Jahren bei einer WM -, drei silberne, vier bronzene. Macht Platz acht, oder den gewohnt bescheidenen österreichischen Maßstäben nach: nicht Platz eins.

Goldträchtig waren dafür, wie gewohnt, die Analysen aller Beteiligten: "Dann fliege ich über den Sprung wie eine gerupfte Henne", haderte etwa Johannes Strolz, vor einem Jahr noch Olympiasieger, diesmal schwer geschlagen in der Kombination. Zur ganzen Woaheit gehört freilich: Sieben Medaillen, das sind genauso viele wie die Schweizer, die den Medaillenspiegel diesmal anführten mit drei Goldmedaillen; mehr Plaketten gewannen sonst auch nur die Norweger (neun). "Wir zählen ja amerikanisch", sagte ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober, also nur die Zahl der Medaillen. Eh kloar!

Deutsche Doppeldeutigkeit

Alpine Ski-WM: Wer Gold gewinnt, wird schnell auf Überlebensgröße aufgepumpt - diese Erfahrung macht auch Parallel-Weltmeister Alexander Schmid.

Wer Gold gewinnt, wird schnell auf Überlebensgröße aufgepumpt - diese Erfahrung macht auch Parallel-Weltmeister Alexander Schmid.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Apropos gerupft: Im Medaillenranking der Fis lag der Deutsche Skiverband (DSV) diesmal sogar vor den geliebten Nachbarn aus der Skination: Allein Alexander Schmids Weltmeistertitel im Parallelrennen wog schwerer als die sieben Nicht-Goldmedaillen der Österreicher. Weil Lena Dürr zudem Bronze im Slalom gewann, diagnostizierte DSV-Sportvorstand Wolfgang Maier "eine Übererfüllung des Solls", zumindest was die Medaillenwünsche betraf. Die WM hatte aber auch, wie befürchtet, die Schwächen dahinter freigelegt, und davon sah Maier seinem Geschmack nach ein paar zu viele. Bis auf Thomas Dreßen habe die Speed-Mannschaft der Männer den Kontakt zur "absoluten Weltspitze" verloren. Und bei den Frauen klafften hinter Dürr und Kira Weidle, bis auf wenige Ausnahmen, enorme Lücken - vor allem im Riesenslalom, dessen Schwünge die Basis legen für fast alle anderen Disziplinen. "Wir finden da keinen Weg, obwohl wir seit Jahren probieren, da etwas zu verändern", sagte Maier. Da hilft nur Geduld, vielleicht ja auch ein Gebet zum Olymp.

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