Ski-WM: Abfahrt:Furchterregende Sturzserie

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Schon wieder eine Überraschung: Der Kanadier Erik Guay narrt in der Abfahrt die Favoriten. Für die größeren Diskussionen sorgen jedoch die vielen Stürze im Ziel - die Athleten kritisieren die Konstruktion der Strecke.

Carsten Eberts, Garmisch

Erik Guay erzählte einfach seine Geschichte. Wie er Tage zuvor die schwierige Kandahar-Piste abgelaufen war, zu Fuß von oben bis unten, wie er sich jede Welle einprägte, und vor dem "Freien Fall", der steilsten Stelle überhaupt, sogar mehrere Minuten verharrte. "Ich wusste, dass das Rennen hier gewonnen wird", sagte der Kanadier in ausgesprochen sachlichem Ton.

Der Slowene Rok Perko stürzt im Ziel in die Matten - wie so viele andere Fahrer auch. (Foto: AFP)

Es soll ja Leute geben, die vor Freude übersprudeln, wenn sie gerade Weltmeister geworden sind. Guay ist keiner von ihnen.

Sein überraschender Abfahrtssieg ist der nächste Beweis dafür, dass diese Ski-WM keine Meisterschaft der großen Favoriten ist. Nicht die des Amerikaners Bode Miller, der abgeschlagen 14. wurde und nach satten 2,42 Sekunden Rückstand wortlos die Arena verließ. Auch nicht die des Österreichers Michael Walchhofer, der auf seiner letzten WM-Abfahrt noch einmal angreifen wollte, jedoch lediglich auf Platz 24 ankam, mit fast vier Sekunden Rückstand.

Einzig Didier Cuche, der favorisierte Schweizer, kratzte ernsthaft an Guays Bestzeit. Doch auch er war 32 Hundertstel langsamer. "Ich mag die Kanadier. Und Erik hat vollkommen verdient gewonnen", gratulierte Cuche anschließend anerkennend. Hinter ihm kam der Italiener Christof Innerhofer auf Platz drei - nach Gold im Super-G seine zweite Medaille.

Im Nachhinein verwunderte es ein wenig, dass niemand Guay auf der Rechnung hatte. 2007 holte der Kanadier auf der Kandahar seinen ersten Abfahrtssieg, gewann 2010 im Super-G, anschließend auch den Disziplinen-Weltcup. In dieser Saison waren die Ergebnisse jedoch schlechter, so dass er in die frühe Startgruppe rutschte - was ausgerechnet an diesem Tag von Vorteil war.

Guay fegte über alle Wellen und Schläge hinweg, nach ihm wurde die Piste jedoch weicher, was die Favoriten bremste. Die warmen Temperaturen hatten die Eispiste aufgeweicht, der Schnee wurde grobkörniger, die Strecke leicht brüchig. "Von meiner Startnummer habe ich ein bisschen profitiert", sagte Guay: "Aber Garmisch war schon immer gut zu mir. Es sollte wohl einfach so sein."

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Die Abfahrt bei der Ski-WM ist schwer - so schwer, dass es viele Fahrer im Zielbereich vor Erschöpfung hinhaut. Das Rennen in Bildern.

Mit diesem entwaffnenden Argument hatte Guay alles gesagt. Die größere Debatte des Tages war ohnehin eine andere. Nicht der Überraschungssieger wurde diskutiert, auch nicht der junge Deutsche Andreas Sander, der spektakulär im Fangnetz landete und erst nach kurzer Berappelungszeit aufstand. (Der 21-Jährige erlitt dabei einen Innenbandriss im rechten Knie.) Es ging um eine wahre Sturzserie - jene kurz nach der Ziellinie.

Ohne größere Zwischenfälle hatten fast alle Fahrer die Strecke gemeistert, auch den "Freien Fall" kurz vor dem Zielschuss. Im Ziel wurden sie kurz bejubelt - und dann herrschte oft Stille. Es waren beklemmende Momente, denn einen nach dem anderen zerlegte es furchterregend. Manche überschlugen sich (wie der Norweger Aksel-Lund Svindal), andere krachten mit voller Wucht kopfüber in die Matten. Mindestens acht Fahrer stürzten erheblich; dass sich niemand schlimmer verletzte, war ein glücklicher Umstand.

Die Ursache für die Stürze lag offensichtlich in der Konstruktion der Strecke. "Der Auslauf war zu unruhig, da war es schwierig zu bremsen", erklärte Cuche, der Tageszweite. Die Schläge und Wellen auf der Strecke hatten ihn nachdenklich gemacht. "Das war ein Kampf von oben bis unten. Niemand konnte mir bislang erklären, weshalb es so viele Schläge waren."

Auch andere Fahrer äußerten Kritik. "Die Strecke war okay. Aber zehn Meter Auslauf mehr wären nicht schlecht gewesen", sagte der Italiener Werner Heel. "Der 'Freie Fall' kurz vor Schluss nimmt sehr viel Kraft. Dafür war der Auslauf eigentlich zu kurz", erklärte auch der Norweger Svindal, der nach seinem Sturz von zwei Betreuern gestützt werden musste. Ob er am Montag in der Super-Kombination starten kann, wollte er erst nach einem Arztbesuch entscheiden.

Erik Guay stürzte selbstverständlich nicht. Es war schließlich sein Tag. Der Kanadier fing sich rechtzeitig ab, wartete anschließend geduldig in der Box des Führenden, bis auch die Kasachen und Ukrainer aus der letzten Startgruppe im Ziel waren. "Das ist schon eine perfekte Geschichte", sagte Guay, als ihm der Sieg schließlich gewiss war. Auf seinen sachlichen Ton verzichtete er auch diesmal nicht.

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