Alpine Ski-WM:Die perfekte Hocke von Marco Odermatt

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Marco Odermatt ist auf der Abfahrt der Schnellste. (Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Weltmeister in der Königsdisziplin: Der Schweizer Marco Odermatt komplettiert auf der Abfahrt seine beeindruckende Titelkollektion. Die Deutschen? Hoffen nach einer zähen ersten Woche auf die Tage der Techniker.

Von Johannes Knuth, Courchevel

Marco Odermatt war noch gar nicht aufgebrochen in diese WM-Abfahrt von Courchevel, da kündeten die Boten im Ziel schon von seiner Tat. Kuhglocken lärmten, Schweizer Fans auf der Haupttribüne drängten sich ins Bild, sie trugen Nachbauten jener käsegelben Anzüge, mit denen die Schweizer von 1992 an über die Alpinpisten gerauscht waren. Oder waren es Originale? Es setzte jedenfalls den Ton. Kurz darauf führte Marco Odermatt eine Abfahrt auf, die der Vorfahren würdig war, der Lehmanns, Kernens, Accolas und so weiter. Vielleicht war sie sogar noch viel besser.

Schneller war am Sonntag zumindest niemand in Courchevel. Odermatt stach in perfekter Hocke über die Eclipse-Piste, carvte ruckelfrei auf den Kanten. So sauber schafft das gerade niemand, so leicht lässt niemand das Schwere aussehen. Auf der Abfahrt hatte Odermatt es mit dieser Edeltechnik noch nie zu einem Sieg gebracht, nun nutzte er seine Rolle als zweitgrößter Favorit aus: Ihm gelang, im Gegensatz zum Norweger Aleksander Aamodt Kilde, keine sehr gute, sondern die "beste Fahrt meines Lebens". Der aktuelle Gesamtweltcupsieger, Olympiasieger im Riesenslalom, die Gegenwart und Zukunft des Alpinsports, ist nun also auch Weltmeister, diese Anrede hatte ihm tatsächlich noch gefehlt. Odermatt, nur zur Erinnerung, ist 25 Jahre alt.

"Die beste Fahrt meines Lebens": Marco Odermatt rauscht in Courchevel zu Abfahrtsgold. (Foto: Alain Grosclaude/Getty Images)

Die WM-Abfahrt der Männer war das "gnadenlose Gemetzel", das Christian Schwaiger, der Chefcoach der deutschen Männer, vielleicht einen Hauch zu martialisch prophezeit hatte. Odermatt und Kilde, die sich fast alle Speed-Siege in diesem Winter aufgeteilt hatten, fuhren perfekt oder fast perfekt. Die Rolle des Überraschungsgastes auf dem Podium teilte das Rennen diesmal dem Kanadier Cameron Alexander zu. Dahinter lagen, innerhalb eines Zuckens: Marco Schwarz, Super-G-Weltmeister James Crawford, Maxence Muzaton, Florian Schieder, Miha Hrobat, Dominik Paris, und, mit einer Ewigkeit von 26 Hundertstelsekunden hinter Bronze, Thomas Dreßen auf Rang zehn.

Dreßen lächelte bittersüß in die Kamera, als er im Ziel eintraf. Die Laune war immerhin so gut, dass er die Haupttribüne zur La-Ola-Geste animierte; er warf die Skistöcke in die Luft, aber bis auf ein paar Anwesende machte niemand mit. Was ließ sich daraus ableiten, für den 29-Jährigen und den Deutschen Skiverband überhaupt?

Dreßen nimmt zwei Schmerzmittel, damit er überhaupt fahren kann

Dreßens Anlauf auf diese WM hatte schon wieder Stoff für mehrere Winter bereitgehalten. Er wurde, nach fast 1000 Tagen Wettkampfpause im Weltcup, Achter in der Abfahrt von Lake Louise, nach schweren Eingriffen an Schulter, Hüfte und Knie. Er versuchte danach, die Branchenbesten zu kopieren, statt seinen Stärken zu vertrauen: der runden, längeren Idealspur, auf der Dreßen so viel Tempo aufnehmen kann wie die Besten. Er knüpfte zuletzt erst mal eine Reihe an unvorteilhaften Aktionen aneinander, verletzte sich in Gröden am Oberschenkel, stürzte in Kitzbühel und zuletzt im Training, wurde von einem Magen-Darm-Infekt "niedergestreckt". Und die Teamkollegen, die Dreßen in dessen Abwesenheit immer mal wieder in der Weltspitze vertreten hatten? Schienen mehr mit sich beschäftigt zu sein als mit der Konkurrenz.

"Wenn eine Mannschaft nichts zu verlieren hat", sagte Dreßen vor der Abfahrt, "dann wir."

Man hätte sehr gerne gesehen, was ein Dreßen ohne Prellungen in Knie und Schulter am Sonntag auf der "Eclipse" (zu deutsch: Finsternis) fabriziert hätte, auf einer Abfahrt, die "prädestiniert ist für Tom", wie DSV-Cheftrainer Schwaiger reklamierte. So konnte sein Vorzeigefahrer nur jenes Können heben, das ihm sein geschundener Körper bereitstellte. Weil die Schulter zwickte, konnte er sich am flachen Start nur bedingt abstoßen, später verlor er wenig Zeit auf Odermatt, aber "mehr war heute einfach nicht drin", sagte Dreßen. Als das Adrenalin aus dem Körper gewichen war, humpelte er durchs Ziel, setzte sich in den Schnee, massierte das Knie, humpelte zum nächsten Interview. Wenn man bedenke, dass er "zwei unterschiedliche, sehr starke Schmerzmittel nehmen musste, damit ich überhaupt fahren kann", sagte Dreßen, könne man sich ausmalen, wie es ihm gerade gehe. Das klang weder vielversprechend noch sehr nachhaltig. Dreßen beteuerte aber, dass er aus den vergangenen Wochen viel Erbauliches für die Zukunft ableite: "Ich bin wieder auf dem Weg dorthin, wo ich hinwill und meiner Meinung auch nach hingehöre." Nach ganz oben also.

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Die Teamkollegen? Waren davon am Sonntag weit entfernt. Romed Baumann mag solche Abfahrten wie in Courchevel ebenfalls, er habe sich in den vergangenen Tagen im Training aber etwas bei der Materialabstimmung verpokert, viel Kraft gelassen, räumte er ein nach seinem 19. Platz. Andreas Sander, der WM-Zweite von Cortina, zuletzt Neunter im Super-G, unterlief der gleiche Lapsus am Sonntag im Rennen - mit "null Grip" reichte es für Platz 29. Josef Ferstl rätselte indes, weshalb es ihn ohne grobe Fehler auf Rang 27 geweht hatte. Seine WM sei jedenfalls "miserabel" verlaufen, im Super-G war er früh ausgeschieden.

"Manchmal", hatte Wolfgang Maier zuletzt gesagt, der Sportvorstand im DSV, müsse man den Athleten auch mal wieder die Sinne schärfen; ihnen sagen, "dass du alles dafür tun musst, dass du die Leistung bringst". Das konnte man auch so lesen, dass der Auswahl, die sich über Jahre gemeinsam zu Erfolgen gezogen hat, gerade etwas der Zug fehlt.

Bleibt die Hoffnung im DSV auf die zweite WM-Woche, auf die Tage der Techniker, bei denen gerade mehr Zug drin ist. Und dann war da noch die Erkenntnis, die Kira Weidle nach der Abfahrt beschlich, die sie auf Platz acht beendet hatte, dem besten DSV-Resultat der ersten WM-Woche neben Emma Aichers achtem Platz in der Kombination. Ihre Abfahrt, sagte Weidle, sei "wirklich gut und engagiert" gewesen. Sie hatte nur seltsam viel Zeit im oberen Teil vergeudet, wie viele Favoritinnen. Weil die Sonne die Piste aufgeweicht hatte? Manchmal geht man jedenfalls auch dann leer aus in diesem Sport, wenn man (fast) alles richtigmacht.

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