Süddeutsche Zeitung

Ski-Präsident Gian Franco Kasper:Der 75-Jährige, der die Starre personifiziert

  • Der 75-jährige Gian Franco Kasper ist seit 21 Jahren Präsident des internationalen Ski-Verbandes Fis, davor war er 23 Jahre ihr Generalsekretär.
  • Kasper fällt durch absurde Äußerungen zu allen möglichen Themen auf. Zudem treibt er Reformen kaum voran.
  • Bei der jüngsten Wahl fand sich aber kein Gegenkandidat. Kasper setzt auf die Unterstützung von kleinen Verbänden.

Von Johannes Knuth, Are

Wenn man sich in den vergangenen Jahren auf eines im alpinen Skiweltcup verlassen konnte, dann war es das Protokoll bei der Saisoneröffnung. Gian Franco Kasper, der Präsident des Ski-Weltverbands (Fis), ergriff irgendwann das Wort im Veranstaltungszentrum von Sölden, dann sprach er entwaffnend offen über seinen Verband und Verfehlungen im organisierten Sport. Später vertiefte er das gerne in kleinerer Runde, bevorzugt im Raucherzimmer seines Hotels. Das trieb das Lungenkrebsrisiko der Zuhörer zwar massiv in die Höhe, aber die Gespräche waren immer interessant. Oder zumindest unterhaltsam. Oder sie machten einen fassungslos.

Kasper steht seit 21 Jahren an der Spitze der Fis, davor war er 23 Jahre lang ihr Generalsekretär, seit 2000 ist er Mitglied im IOC. Der Schweizer erbte den Fis-Chefposten einst von Marc Hodler, der hatte die Fis zuvor 47 (!) Jahre lang geführt. Ein Klassiker in der olympischen Familie, in der wichtige Ämter gerne mal vermacht werden wie in Erbmonarchien. Kaspers Wahlslogan damals: "Die in ihrer Tradition erstarrte Fis modernisieren". Und es ging dann ja auch einiges voran, doch mittlerweile ist die Fis wieder an jener Gabelung angelangt, an der sie vor 21 Jahren aufgebrochen war: Da ist ein Verband, der in Tradition zu erstarren droht, und ein 75-Jähriger, der diese Starre personifiziert.

Kasper war immer einer von wenigen im Olymp, die das sagen, was andere nur denken oder lieber diskret in der Ringe-Familie verhandeln. Er prangerte Gigantismus und Kostenexplosionen bei Olympischen Spielen an, arbeitete mit Verve und Witz. Wobei er sich immer schon niveaubefreite Äußerungen leistete, zum Beispiel die Bemerkung, dass es Skispringerinnen "bei der Landung die Gebärmutter zerreißen" könnte. Als ein Chor von Kritikern vor den Winterspielen 2018 forderte, die russische Mannschaft für ihr kollektives Doping auch kollektiv zu bestrafen, sagte Kasper: "Ich bin gegen die Bestrafung von unschuldigen Menschen. So, wie es Herr Hitler getan hat: Alle Juden wurden getötet, unabhängig von dem, was sie taten oder nicht." Später entschuldigte er sich, es tue ihm wirklich leid.

Klimawandel nicht bewiesen? Gerne zeigen die Schweizer Kasper die Gletscherschmelze

Vor einer Woche, zum Auftakt der alpinen WM in Are, gestand Kasper dem Schweizer Tages-Anzeiger: Er gehe lieber zum Diktator, weil sich Olympische Spiele dort leichter durchboxen lassen. Ach ja, und an den Klimawandel glaube er auch nicht wirklich. Später teilte er mit, er habe das "nicht wörtlich" gemeint. Dann sagte Kasper in der ARD, dass er die Äußerungen so "selbstverständlich nicht" gesagt habe. Der Tages-Anzeiger veröffentlichte daraufhin die Audio-Aufnahmen von dem Interview. Dort sagt Kasper, offenkundig ohne Spuren von Ironie in der Stimme: "Es ist schon schön, in Diktaturen solche Anlässe haben zu dürfen, das läuft einfach. Also ich persönlich, vom Geschäft her, würde sagen: Wir gehen nur noch in Diktaturen, anstatt mich herumzustreiten mit Umweltschützern und was auch immer." Und angesprochen auf die Klimaerwärmung, entgegnete Kasper: "Vorläufig ist kein Beweis da. Wir haben noch Schnee, und zum Teil sogar sehr viel."

Das Entsetzen war groß, unter Athleten und Vertretern fast aller Couleur. Der Schweizer Daniel Yule forderte Kasper auf, er möge den Rückgang der Gletscher beim nächsten Sommertraining der Schweizer persönlich begutachten. Zum anderen versuchen die Schweden mit der Are-WM gerade, ihre wackelige Stockholmer Winter-Kandidatur für 2026 anzuschieben. Wortmeldungen wie jene von Kasper bringen die Skepsis in der Bevölkerung nicht gerade zum Schmelzen.

Und auch innerhalb der Winterszene wächst der Zorn, angesichts der Trägheit, mit der Kasper den wachsenden Reformstau moderiert. Die alpine Kombination, die schon fast abgewickelt war, möchte er nun doch erhalten, oder vielleicht auch nicht. Als der Österreicher Hannes Reichelt beim Fis-Kongress vor knapp einem Jahr forderte, die umstrittene Startnummernregelung für die Abfahrt abzuschaffen, ließen sie ihn abblitzen. Der Amerikaner Dexter Paine stellte beim selben Kongress ein Reformpaket vor, das verkürzte Amtszeiten für den Fis-Präsidenten und mehr Transparenz versprach. Einen Teil zogen die Amerikaner zurück, den Rest schob Kasper an eine der vielen Arbeitsgruppen, die mit Gefolgsleuten besetzt sind. Wie intensiv dort wohl über ein zerfleddertes Reformpaket beraten wird?

Im Jahr 2020 will er eigentlich aufhören - ob es dazu kommt, bleibt aber ungewiss

Kasper mag sein Stimmrecht im IOC verloren haben, aufgrund der Altersgrenze, aber er hat die Fis noch immer im Griff. Er weiß um die Unterstützung vieler kleiner Nationalverbände, von Amerikanisch Samoa über Lesotho bis Zimbabwe, die an den finanziellen Hilfen des Weltverbands hängen. Sein Verband hält Kongresse in Griechenland, Mexiko und Thailand ab. Er spricht sich auch für Weltcup-Veranstaltungen in Andorra, Bulgarien, Russland und Asien aus, auch wenn das den Reisestress für die Athleten potenziert. Er sieht sich einem Kreis von fünf, sechs potenziellen Herausforderern gegenüber, doch weil sich vor einem Jahr niemand aus der Deckung wagte, hielt Kasper sich im Amt. Einer in diesem Feld an Schattenkandidaten, so war auch in Are immer wieder zu hören, soll weiter Alfons Hörmann sein, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und Mitglied im Fis-Council. Hörmann hatte das immer zurückgewiesen, er teilt auf Anfrage mit: "Es gibt keinen Grund für Spekulationen, und wir beteiligen uns auch grundsätzlich nicht an solchen." Der Fis-Kongress 2020 bringt vielleicht mehr Klarheit. Der findet übrigens in Pattaya statt, obwohl der norwegische Skiverband in Are (erfolglos) um eine Verlegung bat, aus Gründen der Nachhaltigkeit.

Eigentlich, hatte Kasper einst gesagt, wolle er spätestens 2020 abdanken, beim Kongress in Thailand. Zuletzt wollte er sich darauf aber nicht mehr so genau festlegen.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2019/schm/sgö
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