Es war ein kleiner, ganz kurzer Moment, doch diese kleinen, ganz kurzen Momente machen im Slalom den Unterschied. Die deutsche Skirennläuferin Lena Dürr ließ ihre Skier mit hoher Geschwindigkeit gleiten, als die Piste in den Steilhang überging. Und fast wäre es um sie geschehen gewesen. Das hohe Tempo führte dazu, dass die 33-Jährige mehrere Slalomstangen in höchster Not umkurvte, nahe am Kollaps carvte, wie eine fleißige Trinkerin finnischen Sahti-Bieres nach einer Frischluftwatschn. Dürr taumelte, doch sie hielt stand, kämpfte sich zurück in die Spurrillen und hätte kurz vor dem Ziel beinahe noch die Bestzeit geknackt.
Dürrs aggressive Linienwahl im Übergang vom Flachstück in die Steilpassage kostete ihr beim Slalom in Levi, Finnland, wahrscheinlich den zweiten Platz; vier Hundertstelsekunden fehlten ihr nach zwei Läufen am Ende auf die Österreicherin Katharina Liensberger. Nach ihrem Fahrfehler am Kernpunkt dieses Slalomhangs rettete sie Platz drei und 60 Weltcuppunkte ins Ziel und hinterließ Hinweise, dass sie sich auch im fortgeschrittenen Skifahrerinnenalter abermals in beachtlicher Frühform befindet.
SZ Serie zur Zukunft des Wintersports:Schnee von morgen
Bald wird es in den Alpen an vielen Skiorten zu warm sein, um im Winter die Pisten zu beschneien. Und dann? Anderswo sind Alternativen Schnee schon im Einsatz: Bürsten, Wellen und Kunststoffspaghetti. Ein Blick in die Zukunft des Skifahrens.
„Es waren keine leichten Bedingungen heute in Levi“, sagte Dürr nach ihrer zweiten Fahrt am Samstag: „Ein Superstart mit dem Podium, dementsprechend bin ich sehr sehr glücklich.“ Die sogenannte „Levi Black“-Piste, 170 Kilometer nördlich des Polarkreises, liegt ihr offensichtlich besonders gut. Zum fünften Mal in den vergangenen sieben Rennen erreichte die Münchnerin hier das Podest, überhaupt war sie in diesem Zeitraum nie schlechter als Vierte. Nur eines gelang ihr in Levi noch nie: ganz oben zu stehen.
Seit 2021 zählt die Frau vom SC Germering zu den weltweit besten Slalomfahrerinnen. 13 Mal fuhr sie in dieser Zeit unter die besten drei im Weltcup, hinzu kommen zahlreiche Top-Ten-Platzierungen. Gewonnen hat Dürr allerdings erst einmal ein Slalomrennen im Weltcup, und das hat wohl nicht nur Lena Dürr selbst zu verantworten, sondern eine Frau namens Mikaela Shiffrin.
Manche fragen sich: Hört das denn nie auf mit den Siegen von Mikaela Shiffrin?
Die US-Amerikanerin hat am Samstag in Levi mal wieder einen ihrer fulminanten Auftritte hingelegt. Zunächst zeigte sie einen skifahrerisch nahezu perfekten ersten Durchgang und fuhr dabei sechs Zehntelsekunden auf die nach Lauf eins auf Rang zwei gelegene Dürr heraus, eine kleine Slalomwelt. Und im Finale legte die 29-Jährige ein Finish nach Shiffrin-Art hin: Anders als kurz zuvor Dürr nahm sie vor der Kuppe in den Steilhang etwas Tempo vom Ski und umkurvte die folgenden Stangen fast schon entspannt, wie ein Finne vor dem nächsten Saunaaufguss, es sah wie Genussskifahren aus. Im Ziel hatte Shiffrin ihren Vorsprung auf Rang zwei gar auf 79 Hundertstelsekunden ausgebaut. Die nächste Shiffrin-Show also, auch in dieser Saison: Weltcupsieg Nummer 98. Und nicht wenige dürften sich gefragt haben: Hört das denn nie auf?
Lediglich der Slowakin Petra Vlhova war es in den vergangenen Jahren gelungen, Shiffrin in Levi zu bezwingen, sie fehlt aber wegen einer Knieverletzung wohl noch bis Ende Dezember. In der Weltspitze angemeldet hat sich indes eine 21 Jahre alte deutsche Rennfahrerin vom SC Mahlstetten in Baden-Württemberg: Emma Aicher, die in allen Disziplinen startet, qualifizierte sich anders als noch beim Riesenslalom in Sölden diesmal mit hoher Startnummer als 22. für den zweiten Durchgang. Und sie legte dort eine Fahrt hin, die eventuell gar im Team von Mikalea Shiffrin vernommen wurde.
76 Hundertstel nahm Aicher der Amerikanerin während dieser knapp eine Minute währenden Fahrt ab, legte die Laufbestzeit aller 30 Qualifikantinnen im Finale hin und wurde am Ende Tagesneunte. Klar: Aicher startete als Neunte im zweiten Lauf, Shiffrin als 30. und letzte, hatte also eine zerfahrene Piste und schwierigere Bedingungen zu bewältigen. Aber Laufbestzeit bleibt Laufbestzeit.
„Ich konnte oben sehr gut pushen“, sagte Aicher, „es hat richtig Spaß gemacht.“ Dürr wirkte angesichts des Ergebnisses ihrer Teamkollegin fast erleichtert: „Das tut uns allen gut. Wir freuen uns schon auf die nächsten Wochen, weil jetzt geht’s Schlag auf Schlag.“ Nach dem Männer-Rennen am Sonntag (10/13 Uhr, BR und Eurosport) geht es für die Slalom-Spezialistinnen in Gurgl/Österreich weiter. Auch dort gibt es eine Flach- und eine Steilpassage. Dürr sagte: „Ich habe das Gefühl, es sind hier und da noch einige Reserven.“