Frauenslalom in Gurgl:Plötzlich steht Albanien auf dem Stockerl

Lesezeit: 3 Min.

Überrascht und überwältigt: die 18 Jahre alte Lara Colturi, geboren in Italien, doch im Skiweltcup für den albanischen Verband am Start. (Foto: Johann Groder/AFP)

Wer ist Lara Colturi – und warum starten so viele Skirennläufer nicht mehr für ihr Heimatland? Antworten aus dem österreichischen Gurgl, wo die 18-Jährige Geschichte geschrieben hat.

Von Korbinian Eisenberger, Gurgl

Es war alles angerichtet für die große Katharina-Show. Vier Österreicherinnen hatten sich beim Heimslalom in Gurgl für den zweiten Durchgang qualifiziert: Katharina Truppe, Katharina Huber, Katharina Gallhuber und Katharina Liensberger. Die Letztgenannte schob sich am Samstag als letzte der österreichischen Katharinen-Gruppe ins Starthäuschen, nach der drittbesten Zeit im ersten Lauf. In Levi, Finnland, war sie vor einer Woche auf Rang zwei gefahren. Die österreichischen Skihoffnungen lasten auf ihr. Unten im Zielraum schwenkten die knapp 8000 Zuschauer hunderte rot-weiß-rote Flaggen und Kuhglocken. Und wer Katharina Liensberger oben im Starthäuschen ins Gesicht sah, durfte erahnen, dass diese Fahrt kompliziert wird.

Liensberger wirkte nervös, und so fuhr sie dann auch: verhalten, mehr darauf bedacht, nicht auszuscheiden, statt die in Führung liegende Mikaela Shiffrin zu attackieren. So landete sie bei der Frauenpremiere in Gurgl am Ende auf Rang sieben. Profitiert hat davon unter anderem Lena Dürr aus München, die sich nach zwei soliden Rennläufen noch von Rang sechs auf Rang fünf verbesserte. „Neuer Hang, es war alles sehr interessant heute“, sagte Dürr danach: „Wenn es dann so eng hergeht, denkt man sich im Nachgang, dass man vielleicht doch noch ein paar Hundertstel herausquetschen könnte.“

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Im unteren flachen Stück raste Dürr in Lauf zwei wie an einem unsichtbaren Seil gezogen durch die Stangen. „Ich hab’ die Ausfahrt unten sehr gut erwischt“, fand Dürr. Wäre der Lauf noch einige Tore länger gesteckt gewesen, womöglich hätte es für die Frau vom SV Germering noch weiter nach vorn gereicht. So fehlten ihr im Ziel fünf Hundertstelsekunden auf die Vierte Wendy Holdener und 23 Hundertstel auf die Dritte Camille Rast (beide aus der Schweiz). Eine kleine Slalomwelt vor allen anderen kam Mikaela Shiffrin ins Ziel und sicherte sich ihren 99. Skiweltcupsieg. Seit 2013 stand sie bei ihren 21. Slalomrennen in Österreich immer auf dem Podium der besten Drei. Mit fast hundert Erfolgen hat sie längst den Schweden Ingemar Stenmark (86) und ihre Landsfrau Lindsey Vonn (82) überholt. Nummer hundert könnte sie in einer Woche ausgerechnet bei ihrem US-Heimrennen in Killington einfahren. „Ich denke mal, es ist nicht unmöglich“, sagte sie im Ziel: „Es sieht vielleicht einfach aus, aber es ist nicht einfach.“

Die Rennen von Levi und Gurgl zeigten, dass hinter Shiffrin eine Vielzahl schneller Frauen unterwegs ist, von denen mindestens zehn aufs Podium fahren können. Zu ihnen zählt seit Samstag erstmals eine Frau, die für Albanien startet: Die 18 Jahre alte Lara Colturi raste mit der hohen Startnummer 27 in Lauf eins auf Rang vier  – und schob sich im Finale noch auf Rang zwei vor. So sicherte sich Colturi ihren ersten Platz auf dem Stockerl, wie sie im Ötztal sagen – und den größten Erfolg für den albanischen Skiverband, für den das Top-drei-Ergebnis eine Premiere war. Und nicht wenige im Zielraum fragten sich: Wer ist diese junge Frau – und warum fährt sie für Albanien?

Tatsächlich stammt Colturi, wie der Nachname erahnen lässt, aus Italien. Sie ist die Tochter von Olympiasiegerin Daniela Ceccarelli und Alessandro Colturi, einem nicht ganz unbekannten Skitrainer aus dem Piemont. Vor zwei Jahren wechselte sie zum albanischen Verband, wo sie unter anderem von ihrer Mutter gecoacht wird, die albanische Wurzeln hat. Im Alter von 16 Jahren ist es im Fis-Regelwerk erlaubt, den Verband ohne Zustimmung des Heimatlandes zu wechseln. Der italienische Skiverband war mit der Entscheidung alles andere als zufrieden.

Colturi stellte mit dem Wechsel ihres Verbands auch sicher, dass sie selbst Werbeverträge abschließen kann

Mit ihrem Wechsel hatte Colturi sichergestellt, dass sie weiterhin mit ihren Eltern trainieren konnte. Im Team Italien wäre das dem Vernehmen nach nicht so einfach möglich gewesen. Außerdem kann sie so selbst Werbeverträge abschließen – ein Faktor, der im Skibusiness offenbar immer wichtiger wird. Lucas Braathen etwa wechselte nach einem Streit mit dem norwegischen Verband über seine Werbepartner den Verband, pausierte ein Jahr und startet seit dieser Saison für Brasilien, das Heimatland seiner Mutter. Der Österreicher Marcel Hirscher indes gab sein Comeback – nach fünf Jahren Pause – für den Verband der Niederlande, dort stammt seine Mutter her. Auch Hirscher bestimmt damit über seine Partner und fährt werbewirksam die eigene Skimarke.

Und dann ist da noch Lindsey Vonn, die ihrerseits nach fast sechs Jahren Pause im Alter von 40 Jahren ihre Rückkehr angekündigt hat. Dem Vernehmen nach plant sie, als Vorläuferin  – also außer Konkurrenz – beim Super-G in Beaver Creek Anfang Dezember zu fahren und schließlich kurz vor Weihnachten beim Super-G in St. Moritz wieder ernsthaft ins Weltcupgeschehen einzugreifen. Anders als Newcomerin Colturi und die Comebacker Hirscher und Braathen bleibt Vonn offenbar ihrem Heimatland treu. Ihre vom Skiweltverband Fis genehmigte Wildcard für Startnummer 31 hatte der US-Verband beantragt.

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