Süddeutsche Zeitung

Parallel-Rennen im Ski-Weltcup:"Ich fühle mich verschaukelt"

  • Prominente Skirennfahrer poltern gegen die Parallel-Rennen im Weltcup - sogar ein Boykott wird erwogen.
  • Die größte Kritik ruft die Verkürzung des Formats hervor: In diesem Winter gibt es nur noch einen Lauf. Das wird als unfair empfunden.
  • Der Ski-Weltverband Fis hatte sich dem Format ursprünglich viel stärker verschrieben - hielt dann aber die Kombination am Leben. Nun scheinen im Wettkampfkalender zwei Disziplinen halbherzig auf.

Von Johannes Knuth

Alexander Schmid hat sich durchaus ordnungsgemäß gefreut, nachdem er am Wochenende im Parallel-Riesenslalom von Chamonix auf den dritten Rang vorgeprescht war. Er lächelte aufrichtig in die Kameras, nahm den Applaus des Publikums entgegen. Später versammelte er seine Trainer und Teamkollegen, die ihn auf die Schultern nahmen und hochleben ließen. Schmids sportliche Anstrengungen waren ja zweifelsohne beachtlich gewesen; so wie seine bisherige Saison überhaupt hochseriös verläuft: Der 25-Jährige vom SC Fischen ist im Riesenslalom bislang sogar der verlässlichste Mitarbeiter des Deutschen Skiverbandes (DSV). Und jetzt hatte er auch noch seinen ersten Podestbesuch im alpinen Ski-Weltcup organisiert. "Das hätte ich vorher nie für möglich gehalten", sagte Schmid. Er sei sehr dankbar und zufrieden - und die Parallel-Events an sich finde er auch "wirklich cool".

Was letztere Wortmeldung betrifft, würde Schmid bei aktuellen Umfragen im Kollegenkreis aber eher keine absolute Mehrheit erreichen. Am deutlichsten formulierte es der Franzose Alexis Pinturault, der 27-malige Weltcupsieger und einer der derzeit ambitioniertesten Kandidaten im Gesamtklassement. "Ich fühle mich verschaukelt", polterte er jetzt in den sozialen Netzwerken: "Wir Athleten werden als Spielfiguren einer Show angesehen und nicht als Akteure einer Sportart. Seit wann ist im Sport Glück wichtiger als Leistung?"

Viele Kollegen bekundeten Zustimmung. Sogar der Schweizer Loic Meillard triefte nicht gerade vor Freude über seinen Erfolg - dabei hatte er in Chamonix nicht nur das Rennen gewonnen und damit seinen ersten Weltcup, sondern auch die erstmals ausgeschriebene Disziplinenwertung für Parallelevents. "Die Kristallkugel ist sicher etwas Schönes", sagte Meillard im Schweizer Fernsehen, "aber ich hätte lieber eine im Slalom oder Riesenslalom. Die Kugel soll ja den Besten der Saison auszeichnen." Das sei bei nur zwei Parallelrennen in einem Winter, nun ja, zweifelhaft.

Die Parallelrennen sollten einmal die Kombination ersetzen - jetzt ist alles wieder ganz anders

Sein Teamkollege Daniel Yule, seit Kurzem Athletensprecher im Ski-Weltverband Fis, trug in den sozialen Medien gar revolutionäres Gedankengut vor: "Sollen wir einen Boykott lancieren?", fragte er.

Die Fis steht seit einer Weile mächtig unter Druck, ihren traditionsreichen Alpinsport mit neuen Formaten zu vitalisieren. Vor vier Jahren präsentierte sie die Parallelrennen, die schon in den Achtzigerjahren in einer eigenen Serie in den USA populär waren - nicht nur dank neonfarbener Anzüge und gewagter Frisuren, mit denen Fahrer wie Hansi Hinterseer unterwegs waren. Zwei Widersacher duellierten sich damals auf je einem Riesenslalomkurs nebeneinander, der bessere zog in die nächste Runde ein. Die Wiederbelebung des Formats im Weltcup sei eine "gute Idee", sagte der Amerikaner Ted Ligety zuletzt. Er fand aber auch: "Sie wurde sehr schlecht von der Fis umgesetzt." Diese Ansicht ist in der Szene schon eher mehrheitsfähig.

Tatsächlich schraubte die Fis immer wieder an den Spielregeln. Mal wurde ein Parallel-Riesenslalom mit weiteren Torabständen gefahren, mal ein Parallel-Slalom. Mal flossen die Ergebnisse in diese Weltcup-Wertung ein, mal in jene. Der größte Kritikpunkt, der derzeit auch Pinturault erzürnt: In den Finalrunden wird seit diesem Winter nur noch ein Lauf ausgetragen - statt Hin- und Rücklauf, bei dem jeder Fahrer jeden Kurs je einmal befährt. So sei das Format zwar kürzer und leichter für den Zuschauer konsumierbar, aber auch unfair, sagen Kritiker wie DSV-Cheftrainer Christian Schwaiger. Man könne zwei Kurse auf einer Freiluftpiste nun mal nie ganz baugleich präparieren, so sei ein Fahrer immer bevorteilt. Vor diesem Hintergrund, sagte Schwaiger kürzlich, seien die Parallelrennen für ihn "ein Schauwettkampf".

Hinter der jüngsten Debatte wabert ein weiteres Problem: Die Fis hatte sich dem Format ursprünglich viel stärker verschrieben. Der Teamevent im Parallel-Format ist seit 2018 olympisch, im Einzel werden 2021 erstmals WM-Medaillen vergeben. Langfristig, so bekamen die Nationalverbände immer wieder zu hören, werde man auch bei Olympia ganz auf die Parallelrennen setzen und die Kombination streichen. Deren sportlicher Wert ist ohnehin überschaubar, weil es kaum noch Allrounder gibt, die auch diesen alpinen Zweikampf trainieren. Der DSV fördert die Kombination auch deshalb seit Jahren kaum noch, er schulte nicht nur die Profis um, er studierte die Parallelrennen auch früh im Nachwuchs ein.

Im vergangenen Frühjahr war dann auf einmal alles wieder anders: Der Fis-Rat hielt die Kombination am Leben - offenkundig auch dank des Einflusses der Skinationen Österreich und Schweiz, die in diesem Wettbewerb zuletzt viele Medaillen gewonnen hatten. Anstatt eine Disziplin zu stärken, scheinen im ohnehin prallen Wettkampfkalender nun zwei Disziplinen halbherzig auf: Die Kombination, die fast niemand mehr wollte - und die derzeit sogar häufiger stattfindet als die Parallelrennen, die einmal die Zukunft prägen sollten. DSV-Sportdirektor Wolfgang Maier wertete die Volte schon im Vorjahr als Beispiel dafür, warum bei den Alpinen viele Reformvorhaben immer wieder versanden: "Weil die Interessenslagen so konträr sind und Einzelinteressen vorgeschoben werden."

Es sind mal wieder schwere Wochen für den Sport: Am Wochenende mussten fünf weitere Athleten ihre Saison beenden, der Italiener Simon Maurberger erlitt im Parallelrennen einen Kreuzbandriss. Der Amerikaner Tommy Ford und der Schweizer Thomas Tumler prallten beinahe zusammen, was bei Alexis Pinturault weiteren Unmut provozierte ("Wie gefährlich ist dieses Format eigentlich?"). Die Debatte, fand der Franzose, stehe ohnehin für ein größeres Problem, das längst nicht mehr nur die Fis beschäftigt: "Wann", sagte er, "werden endlich die Worte der Athleten gehört?"

Einem Boykott, richtete er aus, sei er übrigens auch nicht abgeneigt.

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SZ vom 11.02.2020/chge
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