Ski alpin:"Bumm, kriegste noch einen drauf"

Audi FIS Alpine Ski World Cup - Men's Slalom

Ein bisschen schüchtern im Stangenwald von Adelboden: Felix Neureuther fuhr der Elite erneut hinterher.

(Foto: Getty Images)
  • Die deutschen Skirennfahrer sind drei Wochen vor der WM ein Team, das mit sich selbst hadert.
  • Stefan Luitz kugelt sich die Schulter aus, Felix Neureuther enttäuscht im Slalom von Adelboden, und die Kollegen stecken im Formtief oder sind verletzt.

Von Johannes Knuth, Adelboden

Kurz bevor es dann losging mit dem zweiten Lauf in Adelboden, erhielt Felix Neureuther noch einen Rat aus feindlich-freundlichem Lager: von Ante Kostelic, Spitzname "Gips", den seit jeher die Aura eines kroatischen Felix Magath umgibt. "Felix, nicht denken! Kämpfen", rief Kostelic. Und wenn einer was vom Kämpfen versteht, dann ist das Kostelic, dessen Kinder Janica und Ivica früher oft die Berge hochstapften, weil das Geld nicht für den Liftpass reichte. Außerdem hielt der Papa das für ein gutes Training.

Wie das jedenfalls so ist mit Ratschlägen zwischen zwei Slalomläufen: die gewünschte Lösung lässt gerne auf sich warten. Neureuther wirkte im zweiten Lauf oft wie einer, der gleichzeitig kämpft und denkt. Er wurde 15., fast drei Sekunden hinter Marcel Hirscher, der am Wochenende seinen 66. und 67. Weltcup-Sieg sammelte. Neureuthers Analysen kamen derweil mit kräftigen Moll-Tönen daher. Sein erster Lauf: "Zum Vergessen". Der Punch: fehlte "bei jedem Schwung, so gewinnst du keinen Blumentopf".

Er musste sogar befürchten, die Beförderung in den zweiten Lauf zu verpassen, die für ihn eigentlich so gewöhnlich ist wie die biergeschwängerte Luft im Adelbodener Weltcup-Dörfli. Der zweite Versuch gelang "viel besser", Neureuther stimmte dennoch einen nachdenklichen Schlussakkord an: Er warte derzeit vergeblich auf die Lust am Risiko, warum, das wisse er nicht so recht. Als gesichert galt nur, dass der 34-Jährige damit durchaus stellvertretend für die Technik-Auswahl des Deutschen Skiverbands steht, die derzeit weniger mit der Weltspitze als mit sich selbst beschäftigt ist. Am Samstag, im Riesenslalom, hatte Stefan Luitz sich auch noch die Schulter ausgekugelt.

Der nächste Kreuzbandriss

Olympiasiegerin Anna Veith, 29, muss die WM-Saison nach einer weiteren schweren Verletzung vorzeitig beenden. Die Österreicherin hat sich beim Riesenslalom-Training in Südtirol einen Kreuzbandriss im rechten Knie zugezogen. Sie wurde noch am Samstag operiert. Veith bekam beim Training in Pozza di Fassa einen Schlag ab und brach die Einheit mit Schmerzen im Knie ab. Ob und wie es mit ihrer Karriere weitergeht, ist offen. Eine Stellungnahme gab es von ihr zunächst nicht. Die Super-G-Olympiasiegerin von 2014 hatte in den vergangenen Jahren immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. 2015 riss sie sich bei einem Trainingssturz Kreuzband, Innenband und Patellasehne im rechten Knie. 2017 wurde sie wegen chronischer Probleme an der Patellasehne im linken Knie operiert. Dennoch fuhr die dreimalige Weltmeisterin bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang zu Silber im Super-G hinter Sensationssiegerin Ester Ledecka (Tschechien). Der ÖSV verliert in Veith drei Wochen vor der WM in Schweden (5. bis 17. Februar) bereits die vierte prominente Athletin. Die Olympia-Dritte Katharina Gallhuber, Christine Scheyer und Stephanie Brunner erlitten allesamt Kreuzbandrisse. SID

Wenn im Januar, zwischen den alpinen Klassikern und drei Wochen vor der WM, von Schulterluxationen und fehlenden Blumentöpfen die Rede ist, ist das jedenfalls kein so gutes Zeichen.

Neureuther hatte am Freitag noch eine kleine Audienz im Teamhotel gewährt, es ging um eine Saison, die es bislang selten gut mit ihm gemeint hatte. Allein die vergangenen Monate: die Reha nach seinem Kreuzbandriss. Rückenbeschwerden. Eine Haselnussallergie, von der Neureuther erstmals im Sommer erfuhr. Der Daumenbruch in Levi. Das verzögerte Comeback, mit Daumenschiene. Der Sturz im Training, Gehirnerschütterung, wieder Pause. Zwei achte Plätze im Slalom, ein 21. im Riesenslalom, den Neureuther in Adelboden durchwinkte, wegen mangelnder Fitness. "Ich habe schon viele unüberlegte Dinge in meinem Leben gemacht", sagte er, dann fügte er an, halb im Scherz, halb im Ernst: "Wenn die Saison in drei Wochen beginnen würde, wäre es gut."

Neureuther hat nie viele Rennen gebraucht, um sich eine ansprechende Form zu beschaffen, aber man spürte in Adelboden schon, dass die vergangenen Wochen ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. "Da bist du schon so weit", sagte er, "und Bumm, kriegste wieder eine drauf." Da habe er sich schon ein paar schwereren Gedanken hingegeben: "Will mir mein Körper was sagen? Nach dem Motto: Kollege, jetzt ist mal gut so? Deswegen bin ich einfach total dankbar dafür, dass ich die Rennen hier noch mal bestreiten darf."

"Vielleicht ist das ein schöner Abschluss", sagt Neureuther mit Blick auf die WM

Ski alpin Weltcup in Adelboden

Mit Schulterschutzverband: Stefan Luitz.

(Foto: Maximilian Haupt/dpa)

Neureuther hatte vor der Saison den Vertrag mit seinem Ski-Ausrüster bis 2022 verlängert, 2022 finden in Peking die Winterspiele statt, Neureuther wollte das nach seiner schweren Verletzung vor den Spielen 2018 nicht ausschließen. Derzeit klingt er aber eher wie jemand, der sich womöglich schon früher von seinem Sport lösen kann. Oder auch muss. "Jetzt nimmst du schon ganz andere Dinge viel bewusster wahr", sagte er in Adelboden; die Arbeit der Pistenhelfer etwa, oder die Gastfreundschaft im Hotel, das diesmal nicht im Dorf lag, wo die Guggenmusiker in den Jahren davor bis tief in die Nacht vor dem Balkon musizierten ("Das hat mir diesmal schon ein wenig gefehlt"). Neureuther mag den Gedanken nicht: dass er das alles fast so intensiv wahrnimmt wie bei seinem ersten Mal, weil es auch das letzte Mal sein könnte. "Aber ja", sagte er, "you never know, wie es dann auch letzten Endes weitergeht."

Als er auf die nahende WM angesprochen wurde, lächelte er, dann sagte er: "Vielleicht ist das ein schöner Abschluss."

Wohin das noch führt in diesem Winter? Schwer zu sagen. Die ambitionierten Hoffnungen, die sie im DSV zu Saisonbeginn hegten, schmelzen derzeit mit jedem Wochenende etwas zusammen. Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen und Andreas Sander fallen kreuzbandverletzt aus, David Ketterer erlitt zuletzt einen Syndesmosebandriss, Stefan Luitz stand am Sonntag zwar wieder mit milder Stimmung und weinroter Schultermanschette im Zielraum - eine finale Diagnose wird er aber erst am Montag entgegennehmen.

Es war die saure Pointe einer Woche, in der der Weltverband Luitz dessen ersten Weltcup-Sieg abgenommen hatte, wegen unzulässiger Sauerstoff-Einnahme. Luitz mochte dazu nicht mehr viel sagen, bis auf den Verweis, dass er ja vor das höchste Sportgericht ziehe. Und seine Kollegen? "Extrem schwierig", sagte Luitz. Er sprach von mangelndem Selbstbewusstsein bei Fritz Dopfer, der in Adelboden zwei Mal das Finale verpasste, von Verkrampfung bei Linus Strasser, von einem Sog aus schlechten Resultaten, die zu noch mehr Unsicherheiten führten. Und er lobte Dominik Stehle, der als Elfter im Slalom das beste DSV-Resultat des Wochenendes davontrug.

Gewissheiten gibt es längst keine mehr, auch nicht für Neureuther. Der 34-Jährige hatte vor seiner Knieverletzung oft aus sehr wenig Training noch sehr starke Resultate erzielt, dank eines Skigefühls, mit dem er so selbstverständlich prächtige Läufe erschuf wie Monet Wasserlilien zeichnete. Doch dieses Geschäftsmodell stößt offenbar zunehmend an Grenzen in einem Sport, in dem die Branchenführer jede Woche noch einmal die Grenze des Machbaren zu verschieben scheinen. Wenn er eine Lehre aus Adelboden ziehe, sagte Neureuther am Sonntag, dann die, "dass es noch mehr Arbeit ist als gedacht". Ante Kostelic würde das sicher gefallen.

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