Ski:Sturz in Hakuba

Konstantin Ottner

"Training, nein, so nennen wir das nicht. Für uns ist es einfach Skifahren." - Konstantin Ottner.

(Foto: Christoph Jorda / oh)

Konstantin Ottner ist der einzige deutsche Skifahrer bei der Freeride World Tour, der Weltmeisterschaft der Extrem-Skifahrer und Extrem-Snowboarder.

Von Nadine Regel

Seine Freunde haben in diesem Winter schon jetzt 40 Skitage auf dem Konto. Davon kann Konstantin Ottner nur träumen. Nach seiner Kreuzband-Operation im Mai vergangenen Jahres musste er sein Knie noch schonen. So stand der 22-Jährige bisher nur 15 Tage auf seinen Brettern. "Das muss zur Vorbereitung einfach reichen", meinte Ottner vor dem Saisonauftakt. Wie sich am Sonntag herausgestellt hat, fehlte ihm wohl doch noch etwas Routine: Er stürzte bei seinem ersten Start bei der Freeride World Tour, der Weltmeisterschaft der Extrem-Skifahrer und Extrem-Snowboarder, im japanischen Hakuba - dem ersten von insgesamt fünf Tour-Stopps, und wurde dadurch nur 19.

von 23 Teilnehmern. Der Kaufbeurener wirkt dennoch entspannt, verletzt hat er sich nicht. Sein Lachen ist in der Szene sein Markenzeichen. Ottner ist neben dem Snowboarder Elias Elhardt der einzige Deutsche, der bei der WM an den Start geht. Qualifiziert hatte er sich schon 2018, musste damals aber aufgrund einer Schulterverletzung seine Teilnahme auf 2020 verschieben. Anders als beim alpinen Skifahren bewegt sich der Freerider abseits der Piste. Das birgt besondere Risiken, weil man neben der eigenen Physis auch objektive Gefahren wie Lawinen und plötzliche Wetterumschwünge beachten muss. Deswegen planen die Veranstalter immer ein Zeitfenster von mehreren Tagen ein. Schaut man sich Ottners Abfahrt in Hakuba an, wird schnell klar, warum eine gute Sicht und sichere Verhältnisse eine Rolle spielen. Die Athleten und Athletinnen stürzen sich mit breiten Ski oder Snowboard eine teils felsdurchsetzte Steilwand mit bis zu 45 Grad Neigung hinunter, überwinden insgesamt 370 Höhenmeter und erreichen dabei Spitzengeschwindigkeiten von über 50 Kilometern pro Stunde.

Das ist Ottners Welt. Erste Wettkampferfahrung sammelte er bei klassischen Ski-Alpin-Rennen. Das Freeriden kannte er damals nur von Youtube-Videos. "Instagram gab es ja noch nicht", sagt er. Irgendwann kamen dann breite Freeride-Ski auf den Markt, die durch ihre Eigenschaften das Fahren im Tiefschnee und schwierigen Schneebedingungen ermöglichen. "Von da an bin ich regelmäßig abseits gefahren", sagt Ottner. Den ersten Freeride-Wettbewerb fuhr er 2012 in Fieberbrunn in Österreich - - neben Austragungsorten in Andorra, Kanada, Japan und der Schweiz auch einer der fünf Stopps der diesjährigen Tour. Die Junioren fuhren an einem Hang direkt neben den Profis. "Es war cool, die anderen so nah zu sehen", sagt er. Das seien seine Vorbilder gewesen.

Diese Saison gehört er selbst zu den Profis. "Style" ist für Ottner beim Fahren das Wichtigste. Eine Abfahrt ohne Sprünge und Trick-Elemente, wie man sie vom Freestyle-Skifahren kennt, wird kaum überragende Ergebnisse erzielen. "Mit jedem Hüpfer bekommt man Punkte oben drauf", sagt Ottner. Oberste Maxime bei der Beurteilung der "Runs", also der Abfahrten, ist aber der Faktor Kontrolle. Übertriebene Risikobereitschaft wird direkt abgestraft. Das kann Landen in Rückenlage sein, aber auch unangepasste Geschwindigkeit in absturzgefährdetem Gelände. Weitere Kriterien der Jury sind Linienauswahl, Technik, Kreativität und Fluss. Die Jury sitzt der Abfahrtswand gegenüber, nutzt Fernglas, Liveübertragung und Videobeweis, um die "Runs" zu beurteilen.

Die "Rider", also Athleten, schauen sich vor dem Wettbewerb den Hang an. "Schon vor der Abfahrt weiß ich genau, welche Route ich fahre, wie ich einen Sprung anfahre und wo ich Schwünge setze", sagt Konstantin Ottner. Seine Route hat er beim Start am Sonntag defensiver geplant als üblich. Um sein Knie nicht zu überfordern, baute er nur zwei Hauptelemente, als Sprungvarianten, ein. Zunächst einen etwas kreativeren Sprung, der ihm glückte. Beim Backflip ein paar Schwünge später verpasste er knapp den perfekten Abfahrtswinkel und kam danach so ungünstig wieder auf, dass er sich überschlug.

Und ein Sturz wird mit hohem Punktabzug bestraft - beweist er doch am deutlichsten einen Kontrollverlust.

Auf die Frage, wie sein Training als Profi aussieht, antwortet er mit einem Lachen: "Training, nein, so nennen wir das nicht. Für uns ist es einfach Skifahren." Spaß stehe immer im Vordergrund. Dazu passt, dass der Sport in Deutschland keine Verbandsstrukturen kennt. Freeride trägt nicht umsonst das Wort Frei im Namen. Was andere Training nennen, ist für ihn Grenzen austesten, neue Sprünge probieren, mit Freunden einen Skitag verleben. Dabei handelt es sich beim Freeriden einerseits, wie bei Ottner, um einen Profisport. Es zieht aber viele junge Menschen auch hobbymäßig weg von den Pisten, die Skiindustrie hat das erkannt und sponsort, so rechnen sich die Profiveranstaltungen.

Wintersport - Ski Freestyle - Konstantin Ottner

Den ersten Freeride-Wettbewerb fuhr er 2012 in Fieberbrunn und bestaunte die Profis – jetzt ist Konstantin Ottner selbst einer. Seine Lehre zum Industriemechaniker hat er abgebrochen.

(Foto: OH)

"Der Sport boomt ziemlich" sagt Ottner. In Hochfügen im Zillertal, seinem Lieblingsskigebiet, sei an einem sonnigen Tag nach Schneefall innerhalb einer halben Stunde alles verspurt. Das berge aber auch Gefahren. "Wenn irgendwo Spuren drin sind, fahren alle Leute einfach hinterher", sagt Ottner. Teilweise ohne Sicherheitsausrüstung und die nötige Erfahrung. Öfters halfen sie schon Skifahrern aus steilen Passagen, weil diese nicht weiterkamen. Am Ende sei es egal, bei wie vielen Leuten vor einem alles gut gegangen ist, sagt Ottner: "Wenn man einen Schwachpunkt erwischt, dann rutscht der Hang weg."

Die Gefahren sind Ottner bewusst, dennoch bestimmt der Sport sein Leben. Er finanziert sich über Sponsorengelder, die ihm gerade so reichen. Wenn es knapp wird, arbeitet er nebenbei als Skilehrer oder als Bike-Guide. Die Verträge würden meist auf zwei Jahre abgeschlossen. Im zweiten Jahr sei der Leistungsdruck dann schon sehr hoch. Um sich ganz seinem Sport widmen zu können, zog Ottner vor mehr als einem Jahr nach Innsbruck, in die Freeride-Hauptstadt, wie er sagt. Seine Lehre zum Industriemechaniker brach er damals nach zehn Monaten ab.

Seinen Rückflug aus Japan hat Ottner nun vorverlegt. Zum Skifahren seien die Bedingungen diese Woche eh nicht mehr so gut. "Daheim gibt es auch bissel was zu tun", sagt er und meint damit: Physiotherapie für sein Knie. Am 2. Februar geht es zum nächsten Stop nach Kanada.

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