Freeride-Ski„Nicht verspielt, sondern: bumm!“

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Inmitten einer Felslandschaft: Lena Kohler beim Finale in Verbier.
Inmitten einer Felslandschaft: Lena Kohler beim Finale in Verbier. (Foto: Domdaher/oh)

Als Rookie in die Saison gestartet, landet Lena Kohler in der Gesamtwertung auf einem starken vierten Platz der Freeride World Tour. Wer die Entwicklung dieses Sports über die Jahre verfolgt hat, kann sich nur die Augen reiben.

Von Thomas Becker

Es ist zwei Minuten vor zwölf, als Lena Kohler sich in den Abgrund stürzt. Eine Minute später scheint er vorbei zu sein, der Traum vom nächsten Podium. Den ersten Sprung über einen dieser angsteinflößenden Felsen am Bec Des Rosses übersteht sie ohne Sturz, sie verliert dann aber doch noch das Gleichgewicht und landet auf dem Hosenboden. Das war es dann wohl, scheint sich die 24-Jährige zu denken und fährt den Rest des Abhangs nurmehr kontrolliert nach unten. Kein Backflip mehr, über den sie vorab nachgedacht hatte. Zu schwierig sind die Bedingungen im frühlingshaften Verbier, wo sich wieder die besten Freeride-Skifahrer versammelt haben, um die Sieger der Freeride World Tour (FWT) zu küren.

Weltmeister Max Hitzig musste in diesem Winter verletzungsbedingt pausieren, dennoch hat Team Germany zwei Eisen im Feuer: Tiemo Rolshoven, der Gesamt-Neunter wird – und eben Lena Kohler aus Memmingen. Als Rookie in die Saison gestartet, landet sie am Ende in der Gesamtwertung auf einem starken vierten Platz, vor Fahrerinnen wie der dreimaligen Weltmeisterin Arianna Tricomi. Denn trotz des Missgeschicks nach dem ersten Cliff reicht es in Verbier noch zu Platz drei, ihrem bereits dritten Podium – weil auch die Konkurrenz diesen Höllenritt nicht schadlos übersteht.

Seit 2008 werden diese Weltmeisterschaften für Freeride-Skifahrer und -Snowboarder ausgetragen. Seit die FWT vor zwei Jahren unter das Dach des Weltskiverbandes Fis geschlüpft ist, macht man sich Hoffnung, 2030 olympische Disziplin zu werden. Vom Spektakelfaktor her sicher ein Gewinn – und eine Disziplin, die bei der jungen Generation gut ankommt. Denn wer die Entwicklung dieses Sports über die Jahre verfolgt hat, kann sich nur die Augen reiben. Galt vor einer Weile noch ein Rückwärtssalto im unverspurten Gelände als maximal grenzwertig, so kommen manche Fahrer nun längst mit zweifachen Backflips daher, wohlgemerkt inmitten einer Felslandschaft, bei der man innerhalb von zwei Minuten alle nur möglichen Schneearten unter die Skier bekommt.

In Andorra war sie mit einem selbstverschuldeten Crash gestartet: „Der schlimmste Schnee meines Lebens.“

„Toughe conditions“, wie Kohler sagt, herrschten auch beim vorletzten Tour-Stopp in Fieberbrunn. Am Wildseeloder in Tirol schaffte die Deutsche die Qualifikation für das Finale in Verbier, wodurch sie auch in der kommenden Saison in der Elite-Liga starten darf. Zur Belohnung gab es vom Veranstalter einen roten Superman-Umhang, den sie auch gleich auf der Talabfahrt trug. 15 Grad zeigte das Thermometer im Tal, „oben waren es nicht viel weniger“, sagt Kohler und lacht: „Freeriden ist halt nicht immer Powder.“ Ein ziemliches Auf und Ab sei ihre erste Saison gewesen, „auch mental“. In Andorra war sie mit einem selbst verschuldeten Crash gestartet: „Der schlimmste Schnee meines Lebens. Nicht die cleverste Idee, da so reinzupacen. Voll überpowert, mich hat es komplett zerlegt, so einen Crash hatte ich noch nie. Das kratzt mental schon am Ego. Aber ich dachte mir: gleich mal ein Streichergebnis weg.“

Beim nächsten Event am möglichen Olympia-Wettkampfort von 2030 in Val Thorens lief es mit Platz drei schon besser, wie auch in Kicking Horse (Kanada), wo sie ebenfalls Dritte wurde: „Da war ich sehr happy mit meiner Line, null am Limit, in der Komfortzone. Hat richtig Spaß gemacht.“ In Georgien war sie körperlich am Ende von der anstrengenden Anreise inklusive Location-Wechsel und einer Woche Wartezeit auf besseres Wetter. „Da muss man die Motivation wieder finden, die richtige Line sowieso, sich fragen: Wie viel Risiko gehst du ein? Ich bin ja eher so der Typ all in. Aber manchmal muss man einfach smart fahren und möglichst viele Risikofaktoren ausschalten.“ So wie beim Finale in Verbier.

Alle Wettkampfhänge waren Neuland für Kohler. Nachdem sie die klassische Rennkarriere mit 16 aufgegeben hatte, kam sie erst nach dem Abitur beim Auslandssemester in Japan auf den Geschmack in Sachen Freeride – trotz des „schlechtesten Winters, den Japan je hatte“. Danach wollte sie zum Studium nach Innsbruck, „denn da kann man fast nicht nicht freeriden“. Sie lernte viel von Freunden, wurde Schritt für Schritt mutiger, sprang irgendwann den ersten Backflip, hatte eigentlich genug von Wettkampf und Druck, ließ sich aber doch von einem Kumpel zu einem ersten Wettkampf überreden – und marschierte dann im Geschwindschritt durch die Qualifikationsebenen wie einst die TSG Hoffenheim unter Ralf Rangnick durch die Fußballligen. Ihren Stil beschreibt sie so: „Schnell, technisch, aggressiv, nicht verspielt, sondern: bumm!“ Schwächen? „Auf jeden Fall die Tricks. Ich kann sie, aber im Wettkampf ist es halt Kopfsache, dass ich mich überwinden muss. Aber das ist okay. Es ist ein Prozess, man lernt jedes Jahr dazu, muss es nicht erzwingen, wenn es noch nicht auf dem Level ist.“ Ganz schön abgeklärt für einen Rookie.

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