Mit 34 Jahren ist Schluss: Felix Neureuther beendet seine Karriere als Skirennläufer. Am Ende muss er sich auch seinen Verletzungen ergeben. Sein Herz und vor allem sein Körper hätten ihm "in den letzten Monaten deutlich zu verstehen gegeben, dass es an der Zeit ist, dieses für mich so wunderschönes Kapitel Skirennsport zu beenden", schreibt er in den sozialen Medien. 16 Jahre dauerte seine Karriere, er erlebte dramatische Momente, Erfolge, Verletzungen. Über seine Zeit als Skirennfahrer sagt Neureuther: "Ich habe meinen Kindheitstraum in vollen Zügen leben dürfen, und dafür bin ich so unendlich dankbar."
17. Februar 2013: Felix Neureuther sollte später sagen, es sei "das Anstrengendste, was ich bis jetzt im Leben gemacht hab, aber auch das Schönste". In seiner bis dahin besten Saison geht der damals 28-Jährige als Favorit in den WM-Slalom von Schladming. 40 000 Zuschauer machen das Rennen zu einem der größten Spektakel, die der Sport je erlebt hat. Und Neureuther? Hat er bei Großveranstaltungen nicht schon immer schlecht ausgesehen?
Hat er. Aber diesmal nicht. Diesmal fährt er im ersten Durchgang die zweitschnellste Zeit und behält auch im zweiten, extrem spannenden Lauf die Nerven. Die Österreicher am Hang verstummen fast, weil der Deutsche so gut unterwegs ist. Als er die Ziellinie überquert, dauert es nur kurz, ehe der 28-Jährige weiß: Führung, Silber sicher, der größte Augenblick der Karriere. Erschöpfung und Emotionen drücken Neureuther in die Knie, er schreit seine Freude heraus. Nur geschlagen von Marcel Hirscher gewinnt der Partenkirchner die Silbermedaille.
28 Jahre zuvor, 1985, ahnt der einjährige Felix Neureuther noch lange nichts von seiner Karriere als Skifahrer und der Berühmtheit seiner Eltern Rosi Mittermaier und Christian Neureuther. Gemeinsam mit Schwester Ameli spielt er im Garten.
Mit 13 Jahren entscheidet sich Neureuther, der bis dahin gemeinsam mit seinem Kumpel Bastian Schweinsteiger in der Bayern-Auswahl auch noch Fußball spielte, ganz fürs Skifahren. Nachdem er bei den Deutschen Meisterschaften 2000 bis 2002 (im Bild) noch leer ausgeht, wird er 2003 zum ersten Mal Deutscher Meister.
Zusammen mit Maria Höfl-Riesch, damals noch Maria Riesch (rechts im Bild), gilt er 2004 als große deutsche Zukunftshoffnung. Die erfüllt Neureuther zum ersten Mal bei der Weltmeisterschaft 2005 in Bormio. Gemeinsam mit Hilde Gerg, Monika Bergmann Schmuderer, Martina Ertl, Florian Eckert und Andreas Ertl gewinnt er überraschend Gold im Teamwettbewerb.
Für die Olympischen Spiele in Turin 2006 wird Neureuther nominiert, obwohl er die Kriterien nicht erfüllt hatte. Im Slalom stürzt er spektakulär, auch im Riesenslalom scheidet er aus. "Ich bin als ganz kleiner Mann heimgekommen", sagt er später. Groß ist sein Jubel dann am 3. Dezember 2006, als er beim Slalom in Beaver Creek seinen ersten Podestplatz im Weltcup belegt.
Vor der Saison 2009/2010 peilt Neureuther seinen ersten Weltcupsieg an. Während eines DSV-Sommer-Trainings in Garmisch-Partenkirchen balanciert er in sechs Metern Höhe auf einer Slackline. Und seine Vorbereitung hat Erfolg, denn am 24. Januar 2010 gewinnt er endlich sein erstes Weltcuprennen. Die große Erlösung ausgerechnet im Slalom am Ganslernhang in Kitzbühel. Genau dort hatte sein Vater Christian vor 31 Jahren den letzten seiner insgesamt sechs Weltcupsiege gefeiert.
Mit großen Erwartungen fährt Neureuther anschließend zu den Olympischen Spielen in Vancouver. Doch im Slalom scheidet er aus, im Riesenslalom wird er Achter.
Nur kurze Zeit später gewinnt er am 13. März 2010 seinen Heim-Weltcup in Garmisch-Partenkirchen. Er siegt im Slalom auf der WM-Strecke. Ausnahmsweise sind auch seine Eltern vor Ort. Rosi Mittermaier und Christian Neureuther freuen sich mit ihrem Sohn. Vor allem sein Vater kommt nur selten zu Weltcuprennen. "Das hier ist seine Spielwiese, sein Feld, nicht das der Eltern", sagte er einmal.
Alles läuft auf die WM 2011 im heimischen Garmisch-Partenkirchen zu. "Daran denke ich jeden Tag - und das ist für mich als Garmischer einfach der Wahnsinn. Da muss mindestens eine Medaille her. Da geht nix anderes", sagt er einmal in der FAZ. Doch die WM gerät zur großen Enttäuschung. Im Slalom schafft es Neureuther nicht in den zweiten Durchgang, im Riesenslalom landet er auf Platz 34.
In der Saison 2012/13 zeigt er sich mit bald 29 Jahren in guter Form. Im Weltcup fährt er beständig im Spitzenfeld mit, sechs Mal reicht es vor der WM in Schladming für einen Podestplatz. Auch im Riesenslalom gehört er plötzlich zu den Besten. Nach dem Parallelslalom in München kann Neureuther auch den Slalom in Wengen für sich entscheiden. In Schladming dann erringt er neben Bronze im Mannschaftswettbewerb auch die erste Einzelmedaille seiner Karriere.
An seiner enormen Stärke ändert sich auch 2013/2014 wenig. Neureuther hat sich endgültig zu einem Spitzenfahrer entwickelt. Weiterhin landet er im Weltcup häufig auf den vorderen Plätzen, unter den Besten im Rennzirkus ist er nicht mehr wegzudenken. Im Januar 2014 gewinnt er zuerst den Slalom in Bormio, ehe ihm im schweizerischen Adelboden ein Triumph für die Geschichtsbücher gelingt: Als erster Deutscher seit Max Rieger 1973 gewinnt er einen Riesenslalom-Weltcup. Diesem Erfolg lässt er den Sieg im Slalom von Kitzbühel folgen - damit zählt er bei Olympia in Sotschi zu den Favoriten auf Gold.
Doch die Olympischen Spiele in Russland werden für den Garmischer zur Enttäuschung. Kurz vor den Spielen zieht sich Neureuther bei einem Autounfall ein Schleudertrauma und eine Rippenverletzung zu, in Sotschi belegt er dann im Riesenslalom Platz acht und scheidet im Slalom aus.
Mit 30 Jahren wird Neureuther immer besser. Trotz Verletzungen in der Sommervorbereitung fährt er 2014/15 seine bislang beste Saison. Ergebnisse im Slalom vor der WM: 3, 2, 1, 2, 1, 3, 3. In Beaver Creek klappt es dann auch mal bei einem Großereignis: Fritz Dopfer holt Silber, Felix Neureuther Bronze im WM-Slalom 2015. Und dennoch war es für Neureuther nicht die ganz große Erfüllung. Er holte nur eine Medaille, weil der ewige Rivale Marcel Hirscher im zweiten Durchgang eingefädelt hatte. "Ich weiß schon sehr wohl, dass ich großes Glück hatte", sagt er danach.
Im Anschluss macht Neureuther zunehmend sein lädierter Rücken zu schaffen. Nur ein Mal schafft er es 2015 noch aufs Podest: im Riesenslalom in seiner Heimat Garmisch-Partenkirchen. Seine Führung im Slalomweltcup schmilzt allerdings immer mehr dahin. Im letzten Rennen überholt der Österreicher Marcel Hirscher ihn und sicherte sich den Gesamtsieg.
Monatelang zwingt der Rücken Neureuther zu einer Skipause. "Ich durfte acht Wochen keine Belastung ausüben. Ich habe damals zu den Ärzten gesagt: Ihr müsst mir ehrlich sagen, ob es noch Sinn hat. Wenn ihr sagt, dass das mit dem Rücken keinen Sinn mehr hat, lass ich es sofort", erzählt Neureuther damals im Interview mit der SZ. Doch die Schmerzen lassen nach, das Karriereende ist vorerst kein Thema mehr. Trotz des großen Trainingsrückstands startet Neureuther gut in die Saison 2015/16, kämpft aber im Anschluss mit einigen Formdellen. Erst gegen Saisonende schließt er zur Spitze auf - den Slalom im japanischen Naeba gewinnt er.
Trotz punktueller Erfolge stellt Neureuthers Körper ihn immer wieder vor Probleme. Bei der WM 2017 in St. Moritz erlebt er aber einen emotionalen Höhepunkt. Im Slalom liegt er zunächst nur auf Rang zehn. Doch er schafft es, alle Widrigkeiten für einen Moment in den Hintergrund zu verbannen. "Emotionaler kann es nicht mehr werden", sagte Neureuther, nachdem er noch zu Bronze gefahren war: "Ich bin normal nicht derjenige, der schnell zu weinen anfängt. Aber heute hat es mir die Tränen richtig rausgedrückt."
Im finnischen Levi feiert Neureuther im Februar 2018 dann seinen 13. Weltcupsieg und bekommt ein Rentier geschenkt. Der Slalom-Sieg sollte sein letzter bleiben - auch, weil er sich 13 Tage später das Kreuzband reißt. Olympia verpasst er deshalb.
Danach wischt Neureuther die anhaltenden Gerüchte über ein nahendes Karriereende beiseite, will im Februar 2019 bei der WM in Are/Schweden einen letzten großen Coup - und scheitert doch im Slalom. Danach knüpft er die Fortsetzung seiner Laufbahn an Bedingungen: "So wie es momentan ist, lass ich es bleiben." Am 16. März ist es offiziell: Er lässt es bleiben. Der Slalom beim Saisonfinale in Soldeu/Andorra ist sein 248. und letztes Weltcup-Rennen.